Kölner Schweigegang setzt Zeichen gegen Judenhass

"Ein Armutszeugnis, für das man sich schämen muss"

Seit dem 7. Oktober 2023 nehmen auch in Deutschland die Angriffe gegen Juden zu. Mit einem Schweigegang will Stadtdechant Robert Kleine ein Zeichen setzen und den jüdischen Mitbürgern zeigen, dass sie in Deutschland willkommen sind.

Autor/in:
Carsten Döpp
Teilnehmer des Schweigemarsches im Jahr 2023. / © Rolf Vennenbernd (dpa)
Teilnehmer des Schweigemarsches im Jahr 2023. / © Rolf Vennenbernd ( dpa )

DOMRADIO.DE: Letztes Jahr gab es dieses imposante Bild. Köln im Dauerregen und tausende Menschen. Welches Signal soll vom Schweigegang ausgehen? 

Stadt- und Domdechant Msgr. Robert Kleine / © Beatrice Tomasetti (DR)
Stadt- und Domdechant Msgr. Robert Kleine / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Monsignore Robert Kleine (Stadtdechant von Köln): Wir sind ja auch wegen der Reichspogromnacht vom 9. November 1938 versammelt, als auch in Köln die Synagogen brannten. Und wir müssen erleben, dass es diese Anfeindungen und den Judenhass nicht nur damals gab, sondern immer wieder in der Geschichte und dass es ihn auch aktuell wieder gibt; vermehrt seit dem Anschlag der Hamas. 

In Köln werden Menschen aufgrund ihres jüdischen Glaubens angepöbelt und es wird ihnen das Recht auf ihr Leben genommen. Natürlich gedenken wir auch der Opfer beider Seiten im Krieg in Gaza, Israel und dem Libanon. Aber jetzt geht es uns ganz konkret um Menschen des jüdischen Glaubens, oder wie Papst Johannes Paul II. sagte, um "unsere älteren Geschwister", und für die gehen wir auf die Straße. Es ist keine politische Demonstration, sondern ein Glaubenszeugnis. Es wird ein Schweigegang ohne Plakate und ohne Reden. Solidarität mit Menschen des jüdischen Glaubens.

Robert Kleine

"Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil sagt die Kirche ganz klar, dass jeder seinen Glauben leben kann und darf."

DOMRADIO.DE: Das katholische Dekanat Köln, der Katholiken Ausschuss in der Stadt Köln und der Evangelische Kirchenverband Köln und Region rufen gemeinsam zu diesem Schweigegang auf. Welche Rolle können und sollten die Kirchen jetzt dabei spielen? 

Kleine: Ganz klar ist, dass wir Religionsfreiheit haben. Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil sagt die Kirche ganz klar, dass jeder seinen Glauben leben kann und darf. Wir haben auch im Grundgesetz verbürgt, dass niemand aufgrund seiner Religion verfolgt werden darf. Seit dem 7. Oktober vergangenen Jahres erleben wir leider, dass es solche Übergriffe gibt. Auch vorher wurden schon Menschen, die eine Kippa trugen oder als Jude erkennbar waren, angegangen, aber seit dem Angriff nimmt das zu. 

Anstatt Solidarität mit den noch in der Gewalt der Hamas befindlichen Geiseln zu zeigen, werden jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger in unserer Stadt angegangen. Da müssen wir als Kirche aufstehen und ein Zeichen dagegen setzen. Aber diesmal nicht laut, sondern mit Kerzen, schweigend, an die Opfer der Reichspogromnacht erinnern, und an die Opfer des Naziregimes. Und gleichzeitig wollen wir auch sagen: "Nie wieder ist jetzt!"

DOMRADIO.DE: Wie nehmen Sie die Stimmung in der Stadt gerade wahr? 

Kleine: Wenn ich mit Vertreterinnen und Vertretern der Synagogengemeinde spreche, dann sind die vermehrten Angriffe auf Juden eine große Sorge: "Bleiben wir hier?", fragen sie sich. "Wie wird sich Deutschland weiterentwickeln?" Sie beobachten sehr genau die Wahlen. Es gibt ja auch Parteien, die - ich möchte sagen - feindlicher gesinnt sind, gegenüber Menschen jüdischen Glaubens. 

Wenn jetzt eine neue Rechte erstarkt, dann fragen sich nicht wenige in unserer Synagogengemeinde: "Ist das das Land, in dem meine Kinder aufwachsen sollen? Ist das das Land, in dem ich eine Zukunft sehe?" Ich glaube, es ist wichtig, dass wir, die Stadtgesellschaft, die Kirchen und alle anderen Unterstützerinnen und Unterstützer ein klares Zeichen setzen, dass wir die jüdischen Mitbürger hier haben wollen, dass wir an ihrer Seite stehen und für sie eintreten, wenn sich jemand gegen sie stellt. 

DOMRADIO.DE: Am Donnerstag  (7.11.) soll gemeinsam geschwiegen werden. Es wird bewusst auf Reden verzichtet, Transparente und Fahnen sollen zu Hause bleiben. Warum ist das der angemessene Rahmen? 

Kleine: Es geht um Opfer. Es geht um ein Zeichen der Solidarität. Es geht nicht um pro Netanjahu oder kontra Netanjahu. Es geht nicht um pro oder kontra Hamas. Es geht nicht um die Zweistaatenlösung, sondern darum, dass Menschen, die in Deutschland leben, konkret in unserer Domstadt, nicht aufgrund ihres jüdischen Glaubens angegangen werden und dass sie keine Angst haben sollten hier zu leben. Ich finde es furchtbar, dass vor den Synagogen in Köln immer die Polizei stehen muss. 

Das erlebt man anderswo nicht. Aber in vielen Ländern, gerade in Ländern Westeuropas, muss das so sein. Das ist ein Armutszeugnis, für das man sich schämen muss. Dagegen wollen wir aufstehen. Ich freue mich sehr, dass zum Beispiel auch muslimische Verbände, wie DITIB den Schweigegang unterstützen. Ich freue mich über die breite Solidarität in Köln und ich hoffe, dass sich viele Menschen auf den Weg machen werden, um dieses schweigende, aber doch sehr beredte Zeugnis am Donnerstag abzulegen.

Das Interview führte Carsten Döpp.

3.000 Menschen bei Schweigemarsch für Solidarität mit Israel in Köln

Etwa 3.000 Menschen haben 2023 in Köln mit einem Schweigegang ihre Solidarität mit Israel und der jüdischen Bevölkerung angesichts des Terrorangriffs der radikalislamischen Hamas gezeigt. Die stille Kundgebung fand am Vorabend des 85. Jahrestages der Reichspogromnacht am 9. November statt und sollte ein öffentliches Zeichen gegen Antisemitismus, Hass und Gewalt setzen. Unter den Teilnehmenden waren auch der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU), Innenminister Herbert Reul und Medienminister Nathanael Liminski (beide CDU) sowie Justizminister Benjamin Limbach (Grüne).

NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst, Abraham Lehrer, Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland und Vorstand der Synagogen-Gemeinde Köln, Kölns Stadtdechant Msgr. Robert Kleine, NRW-Bildungs- und Schulministerin Dorothee Feller an der Synagoge in der Roonstraße / © Henning Schoon
NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst, Abraham Lehrer, Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland und Vorstand der Synagogen-Gemeinde Köln, Kölns Stadtdechant Msgr. Robert Kleine, NRW-Bildungs- und Schulministerin Dorothee Feller an der Synagoge in der Roonstraße / © Henning Schoon
Quelle:
DR