DOMRADIO.DE: Seit dem Überfall der Hamas am 7. Oktober 2023 befindet sich Israel im Krieg. Wie werden Sie den Palmsonntag unter diesen Umständen heute in Jerusalem begehen?

Matthias Vogt (Generalsekretär des Deutschen Vereins vom Heiligen Lande, DVHL): Nach der Palmsonntagsmesse in der Dormitio-Abtei der deutschsprachigen Benediktiner am Vormittag geht es am Nachmittag auf den Ölberg.
Dort findet eine große Prozession mit sehr vielen einheimischen Christen statt. Sie führt vom Berg herunter durch das Kidrontal in die Altstadt, zum Startpunkt der Via Dolorosa, wo ein großer Abschlussgottesdienst stattfinden wird.
DOMRADIO.DE: Weil auch das jüdische Pessachfest gestern begonnen hat, hat Israels Militär die Alarmstufe im ganzen Land erhöht. Was heißt das für die Palmsonntagsfeierlichkeiten - gibt es da Einschränkungen?
Vogt: Es befindet sich zwar viel Polizei rund um die Altstadt, das ist in Jerusalem und an Feiertagen aber fast normal. Allein schon, um die Pilgerströme ein bisschen zu kanalisieren. Einschränkungen bei den Palmsonntags- und anstehenden Osterfeierlichkeiten wird es wohl nicht geben.
DOMRADIO.DE: Normalerweise beteiligen sich viele Pilgerinnen und Pilger an diesen Prozessionen. Seit die Sicherheitslage so angespannt ist, kommen aber deutlich weniger Menschen ins Heilige Land. Wie erleben Sie das?

Vogt: Es ist eine sehr bedrückende Situation. Früher waren schon bei der Einreise am Flughafen viele Pilgergruppen zu sehen, natürlich auch an den heiligen Stätten in Jerusalem. Dieses wie auch letztes Jahr sind fast keine Pilgerinnen und Pilger hier. Das ist sehr schlimm für die Menschen, vor allem die Christen, weil sehr viele auf den Pilgertourismus angewiesen sind.
Viele arbeiten im Hotelbereich, im Devotionalien-Verkauf, sie gestalten die Olivenholzkrippen und Rosenkränze in Bethlehem. Sehr viele christliche Familien haben dadurch, dass die Pilger nicht mehr da sind, ihr Einkommen verloren. Das ist das Schlimmste für die Menschen hier und das merkt man, wenn man mit Christen vor Ort spricht.
DOMRADIO.DE: Kann ich derzeit denn überhaupt sorglos nach Israel reisen, als Touristin oder als Mitglied einer Pilgergruppe?
Vogt: Die Reisewarnung des Auswärtigen Amtes ist für den größten Teil des Landes Israel vor zwei Monaten aufgehoben worden. Das ist auch richtig so.
Man kann hier sicher reisen, wie in Vorkriegszeiten, und bekommt von dem Krieg rund um den Gaza-Streifen eigentlich nichts mit. Hier im Paulus-Haus des Deutschen Vereins vom Heiligen Lande sind einige Familien und es sind eine Reihe von Individualpilgern in Jerusalem. Nur die Gruppen sind weggeblieben.
Ich kann nur empfehlen, die jetzige Zeit zu nutzen, die Heiligen Stätten mal in Ruhe zu erleben. Normalerweise muss man oft stundenlang anstehen, bis man in die Grabeskirche kommt, oder in Bethlehem in die Geburtskirche. Im Moment hat man wirklich Zeit, an den Orten in Ruhe zu reden und die Orte zu erleben, wie man sie sonst nie erleben kann.

DOMRADIO.DE: Die Palmsonntags-Kollekte in den deutschen Gottesdiensten ist traditionell für die Christen im Heiligen Land bestimmt. Das Motto lautet in diesem Jahr 'Schritt für Schritt. Aufeinander zugehen'. Wie kann Dialog und Verständigung in einer so verfahrenen Lage überhaupt noch gelingen?
Vogt: Vor dem Krieg haben sich viele Israelis und Palästinenser mit großem Misstrauen gegenübergestanden. Das ist in blanken Hass umgeschlagen, deswegen dieses vorsichtige Motto "Schritt für Schritt". Wenn man hier von Frieden oder von Konfliktlösung spricht, kriegt man häufig gleich gesagt: Davon sind wir ganz weit entfernt, wir müssen erst einmal erste Schritte aufeinander zu tun. Das wollen wir unterstützen. Und da sind die Christen ganz wichtig. Die Christen im Heiligen Land stehen auf beiden Seiten, auf der palästinensischen Seite und es gibt hebräisch-sprachige Christen, die sehr eng mit Israel verbunden sind.

Deswegen sage ich gerne, dass die Kirche hier eine Art Laboratorium für den Frieden ist, weil man innerhalb der Kirche selbst diese Konflikte ausgleichen muss. Und deswegen ist es so wichtig, dass Christen hier im Land bleiben können: um die Menschen zu unterstützen, wirklich diese ersten Schritte zu tun. Darum geht es und dafür gibt es eine ganze Reihe von Initiativen, welche die Kirche und wir als Deutscher Verein vom Heiligen Lande unterstützen, auch mit den Mitteln aus der Kollekte.
DOMRADIO.DE: In welche Projekte gehen diese Gelder?
Vogt: Ganz konkret gibt es ein christlich-jüdisch ausgerichtetes Projekt des Rossing Center. Da geht es darum, gegenseitig bekannt zu werden. Es geht darum, dass Christen in jüdische Schulen gehen, um ihre Religion und ihren Glauben vorzustellen, damit die Barrieren zwischen den Religionen abgebaut werden. Das ist eine ganz wichtige Initiative, die wir weiter unterstützen werden.
Und ein zweites Projekt nennt sich 'Musalaha', das bedeutet Versöhnung auf Arabisch. Dabei treffen sich überwiegend Christen und Muslime, die Religionsgrenzen überwinden und gemeinsam auch in die Gesellschaft hineinwirken wollen, um Friedens- und Verständigungsinitiativen zu fördern.
Das Interview führte Hilde Regeniter.