Bisher standen vor allem die Bischöfe im Fokus solcher Rügen. Aber auch die Laien haben das Problem lange nicht zu ihrem Thema gemacht.
ZdK-Generalsekretär Marc Frings staunte etwa bei seinem Amtsantritt vor drei Jahren, dass es dafür noch keine klare Zuständigkeit in der Geschäftsstelle gab.
Vizepräsident Wolfgang Klose räumte nun in München offen ein: "Bis 2020 haben wir das Thema im ZdK von uns weggeschoben."
Wie geht das ZdK mit dem Thema weiter um?
Erst 2021 beschloss die Vollversammlung die Einrichtung eines Arbeitskreises, der in München seinen Abschlussbericht vorlegte. Von erreichten Zielen ist darin die Rede, etwa einer inzwischen verstetigten Zusammenarbeit mit Betroffenen.
Aber wie das Thema weiter im ZdK behandelt wird, ist noch offen. "Für uns im Präsidium bleibt es ein Hauptthema", sagte Klose dazu. "Gegebenenfalls müssen wir andere Dinge lassen." Der Hauptausschuss werde der nächsten Vollversammlung einen Vorschlag unterbreiten.
Die Soziologin Helga Dill vom Münchner Institut für Praxisforschung und Projektberatung (IPP) legte noch einmal die zentralen Erkenntnisse aus ihrer Missbrauchsstudie für das Bistum Essen zur Rolle der Pfarrgemeinden dar.
In allen untersuchten Gemeinden habe es tiefe Spaltungen gegeben, keinerlei Impuls, den Missbrauch aufzuarbeiten oder sich zumindest den Betroffenen zuzuwenden. Die "natürliche Reaktion" sei gewesen: Solidarität mit dem Pfarrer. Wer da nicht mittat, wurde ausgegrenzt.
Eine "Abwehr von Wissen"
Überall sei eine "Abwehr von Wissen" festzustellen gewesen, kritisierte die Wissenschaftlerin. So sei selbst nach Versetzung der Missbrauchspfarrer in andere Gemeinden noch öffentlich Unterstützung für sie bekundet worden. "Die Täter konnten das Informationsmonopol für sich reklamieren und damit die Deutungshoheit behalten, die dann übernommen wurde."
Johannes Norpoth vom Betroffenenbeirat bei der Deutschen Bischofskonferenz ergänzte, das Mobbing in den Gemeinden habe auch die Familien der Betroffenen in Mitleidenschaft gezogen. In mindestens einem Fall hätten Angehörige deshalb ihren Wohnort verlassen müssen, weil sie es nicht mehr ausgehalten hätten. "Und wir sprechen hier nicht von den 1980er Jahren, sondern von 2021", sagte Norpoth.
Helga Dills Ausführungen wurden von Stefan Tiefenthaler aus dem oberbayerischen Garching an der Alz weiter konkretisiert. In dem Ort war 20 Jahre lang ein einschlägig vorbestrafter Pfarrer tätig und verging sich dort erneut an Kindern. Das Münchner Missbrauchsgutachten von 2021 widmete ihm einen Sonderband.
Tiefenthaler berichtete, dass es natürlich Gerüchte um den Priester gegeben habe. Die Kirchenverwaltung sei daraufhin ins Münchner Ordinariat gefahren und habe nachgefragt, sei aber so beschwichtigt worden, dass sie sich im Anschluss beim Pfarrer habe entschuldigen müssen.
"Von oben wurde immer gesagt, da ist nichts." Der Priester wiederum habe alle Menschen aus seinem Umfeld gedrängt, die ihm hätten gefährlich werden können, darunter Haupt- und Ehrenamtliche. So habe er ein System um sich herum errichtet, das ihn auch noch dann geschützt habe, als nach und nach seine Taten in anderen Gemeinden ans Licht gekommen seien.
"Initiative Sauerteig"
Zum Nachfolger seien dann Gemeindemitglieder gekommen, die dem beliebten Seelsorger immer noch nachgetrauert hätten - ebenso wie "Opfer, die im Pfarrhaus vergewaltigt wurden". Das habe beim Nachfolger erst zu einem Burnout geführt, später sei er bei einem Autounfall gestorben. Tiefenthaler sieht in ihm ein weiteres Opfer des Missbrauchs
Inzwischen engagiert sich der Ingenieur mit dem ehemaligen Pfarrgemeinderatsvorsitzenden und anderen in der "Initiative Sauerteig". Es gab seither mehrere Gespräche mit dem Münchner Kardinal Reinhard Marx, eines auch in Garching. Aktuell unterstützt die Initiative die Schadensersatzklage eines Garchinger Missbrauchsbetroffenen. "Ohne uns hätte er sich nicht offenbart", sagt Tiefenthaler.
Der Ingenieur regte an, dass alle Pfarrgemeinden in Deutschland bei ihren Bistumsverwaltungen anfragten, ob es bei ihnen seit 1945 Missbrauch gegeben habe. Nach seiner Schätzung müsste das in fast jeder zweiten Pfarrei der Fall sein, aber das Wissen darüber fehle meist. Ohne solche Informationen könne jedoch kein offenes Gespräch in Gang kommen. Inzwischen habe sich seine Initiative mit dem aktuellen Garchinger Pfarrgemeinderat darauf verständigt, eine gemeinsame Gedenkandacht vorzubereiten.
Alle kirchlichen Berufsgruppen in den Blick nehmen
Dill empfahl, in den Gemeinden auch denen gut zuzuhören, die Missbrauchstätern weiterhin den Rücken stärkten. Spaltungsprozesse wirkten langfristig nach; es gelte, ihre Dynamik zu verstehen.
Initiativen wie "Sauerteig" sollten von der Kirche auch finanziell unterstützt werden.
In der Aussprache kamen weitere Aspekte zur Sprache. Eine ZdK-Delegierte aus Bamberg sagte, in ihrem Bistum entfielen fast 40 Prozent aller bisher bekannten Missbrauchsfälle auf die Kirchenmusik.
Es müssten daher außer den Priestern auch alle anderen kirchlichen Berufsgruppen in den Blick genommen werden.
Forderung nach Empathie
In einem Interview mit DOMRADIO.DE verwies Betroffenenbeiratssprecher Norpoth auf eine noch nicht gelöste Hausaufgabe: Im künftigen Synodalen Rat müsse die Stimme der Betroffenen zwingend auch strukturell verankert werden. Das hätten ZdK und Bischofskonferenz bisher nicht geschafft.
Still wurde es, als sich ein Delegierter zu Wort meldete und als "einer aus dem Dunkelfeld" zu erkennen gab. Er bat mit stockender Stimme inständig darum, dass in der Art und Weise, wie über das Problem im ZdK gesprochen werde, Empathie mit den Betroffenen spürbar werde. Präsidentin Irme Stetter-Karp stellte daraufhin in ihrem Schlusswort die Frage: "Wie viel Scham liegt zwischen uns?" Sie ist noch nicht beantwortet.