DOMRADIO.DE: Die Menschen waren sich bei Ihrem KI-Jesus-Experiment nicht wirklich einig, ob es nun eine neue Ära der Spiritualität ist oder gerade der Teufel die Macht übernimmt. Haben Sie nach dem Experiment eine Antwort darauf?
Marco Schmid (Theologischer Mitarbeiter der Peterskapelle Luzern): Es ist einfach ein Fakt, dass die künstliche Intelligenz unser Leben, unser Denken, unser Fühlen beeinflusst und somit auch unsere Religiosität. Wir müssen uns als Kirche damit auseinandersetzen. Das war das Ziel unseres Projekts, dass wir zu diesem Thema die Grenzen von Technologien aufzeigen und eine Diskussion anstoßen. Ob das jetzt der große Hype ist oder ob es das Ende der Welt ist, das denke ich nicht. Aber wir werden es sehen.
DOMRADIO.DE: Das Medienecho ist jedenfalls gewaltig. Bevor wir gleich auf die Ergebnisse und dieses ganze Experiment "Deus in Machina" genauer zu sprechen kommen, haben sich denn auch oberste Chefs schon mal gemeldet?
Schmid: Also unser Bischof hat sich noch nicht gemeldet, wobei er wahrscheinlich einige E-Mails zum Projekt bekommen hat.
Aber es hat sich wirklich jemand aus dem Vatikan gemeldet, also der Sekretär von der "Foundation for AI Ethics", also dieser Behörde, die sich mit der künstlichen Intelligenz auseinandersetzt. Dieser Sekretär hat sich offen interessiert gezeigt für diese Resultate, die wir am Mittwochabend der Öffentlichkeit präsentiert haben.
DOMRADIO.DE: Gucken wir mal auf die Gesamtauswertung, nämlich wie die Leute mit dieser Situation umgegangen sind. Haben die Menschen irgendwie geglaubt, sie reden mit einem echten Menschen?
Schmid: Das ganze Setting war schon so aufgestellt, dass es sofort evident war, dass es eine Maschine, also ein Computer ist. Er kam auch durchaus etwas technisch rüber, von daher war es den Leuten sofort klar, das ist eine Maschine, ein Computer, der da spricht.
Aber vielleicht gab es doch auch Leute, die sich vielleicht während des Dialogs wirklich in etwas hineinmanövriert haben, wo sie meinten, da ist jetzt eine Person auf der einen Seite. Was wir festgestellt haben: Viele Leute haben sich am Schluss für das Gespräch bedankt. Und das zeigt schon etwas an.
DOMRADIO.DE: Es waren Menschen, die einfach so in ihre Kapelle gekommen sind. Aber Sie haben zum Beispiel in das Experiment auch ganze Schulklassen mit einbezogen, über eine Zoom-Schalte?
Schmid: Genau. Wir haben zum Beispiel auch Schulklassen aus Deutschland gehabt, und die konnten natürlich jetzt nicht diese Reise machen. Da habe ich dann empfohlen, dass sich die Schülerinnen und Schüler einfach mal die Frage stellen sollen: Was würde ich so einen "KI-Jesus" fragen? Das geht natürlich schon tief. Das geht an die Substanz. Es war sehr spannend zu sehen, was die für Fragen zusammengestellt haben. Dann habe ich diese Fragen dem KI-Jesus gestellt, live übertragen per Zoom in die Schulklasse.
Da ging dann die Diskussion weiter und die Rückmeldungen der Lehrpersonen waren wirklich sehr lebendige Diskussionen über religiöse Inhalte, aber auch über die Bedeutung von künstlicher Intelligenz in der heutigen Zeit. Und genau das wollten wir eigentlich mit diesem Projekt erreichen.
DOMRADIO.DE: Am Mittwochabend haben Sie in einer Veranstaltung die Erfahrungsergebnisse mit dem KI-Jesus vorgestellt. Die Ergebnisse sind alle in verschiedenen Bereichen Liebe, Beziehung, Tod, Jenseits, Gesellschaft zusammengefasst worden. Können Sie mal ein einfaches Beispiel für so eine Konversation geben?
Schmid: Eine Person hat zum Beispiel gefragt, ob es einen vernünftigen Grund gibt, an Gott zu glauben? Und der KI-Jesus hat dann geantwortet: Ja, der Glaube kann Hoffnung generieren und nicht die Vernunft. Mit dieser Antwort war die Person sehr zufrieden.
DOMRADIO.DE: Rund 900 Gespräche waren das zwischen dem KI-Jesus und den Besuchern, immer wiederkehrend die Frage nach dem vielen Leid auf der Welt – die Theodizeefrage. Wie hat denn der KI-Jesus darauf geantwortet? Und waren die Leute dann zufrieden?
Schmid: Also das weiß ich nicht, was er geantwortet hat, weil wir diese Antworten vom KI-Jesus noch nicht auswerten konnten. Wir haben erst die besuchende Seite ausgewertet. Was ich sagen kann, ist, dass gemäß der 290 ausgefüllten Feedbackbögen über 60 Prozent der Leute antworten, dass sie religiös-spirituell vom Gespräch angeregt wurden. Das zeigt, dass offenbar doch viele irgendwo etwas Gutes für sich und für ihren Glauben mitnehmen konnten.
Es gibt aber natürlich auch die anderen Stimmen, die dann sagten, für sie müsse es ein menschliches Gegenüber sein. Sie könnten nicht mit einer Maschine über Religiosität sprechen, oder der KI-Jesus kam zum Teil auch sehr nüchtern rüber. Also, wenn da eine Frage gestellt wird, dann kommt da natürlich gleich eine Antwort. Und so Sprachdynamiken konnte er nicht respektieren; zum Beispiel mal einfach eine Pause machen und einfach mal schweigen. Das kann eine KI eigentlich nicht.
DOMRADIO.DE: Wie sehen Sie das nach zwei Monaten an Erfahrungen mit dem KI-Jesus? Könnte die KI die Seelsorge auf Dauer überflüssig machen?
Schmid: Ganz sicher nicht. Der Seelsorger oder überhaupt der Mensch wird nicht durch die Maschine ersetzt. Das ist unmöglich. Aber die KI kann in verschiedensten Bereichen ein Hilfsmittel sein, wie auch in der Seelsorge. Da bin ich eigentlich nach diesem Projekt überzeugt.
Ich kann vielleicht konkret sagen, dass für uns als Peterskapelle die KI insofern ein interessantes Tool ist, dass sie 100 Sprachen spricht. Und wir sind eine Touristenstadt mit Menschen aus aller Welt. In dem Zusammenhang ist sicher interessant, mal zu überlegen, ob man die KI irgendwie verstärkt einsetzen könnte.
Das Interview führte Uta Vorbrodt.