Wie künstliche Intelligenz bei der Trauer helfen und stören kann

Dank KI, Kontakt mit Toten?

Dank künstlicher Intelligenz Kontakt mit Verstorbenen aufnehmen? Was technisch mittlerweile recht einfach möglich wäre, ist aus religiöser Sicht hochproblematisch, erklärt der Theologe Lukas Brand im Interview.

Autor/in:
Heike Sicconi
Rote Rosen als Zeichen der Trauer / © New Africa (shutterstock)
Rote Rosen als Zeichen der Trauer / © New Africa ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: In Südkorea wurde der Fall einer Mutter dokumentiert, die ihre 7-jährige Tochter verloren hatte. Vier Jahre später konnte sie die Tochter als Avatar wieder in die Arme schließen. Wie real sind solche Trauerangebote durch künstliche Intelligenz in der Praxis?

Lukas Brand (Theologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Rheinland-Pfälzischen Technische Universität Kaiserslautern-Landau): Ja, tatsächlich sehr real. In den vergangenen zwei Jahren haben sich unterschiedliche Ansätze vor dem Hintergrund des wahnsinnigen Aufschwungs der künstlichen Intelligenz herausgebildet. Wir kennen alle ChatGPT. Man hat relativ schnell gemerkt, dass sich diese Systeme personalisieren lassen. 

Das bedeutet , dass man dann ChatGPT texte schreiben lässt, die wie Donald Trump klingen oder so was. Das ist ganz einfach. Man kann das aber auch durch ein bisschen Training des KI Modells erreichen, Man nennt das dann "In Context Learning".

Dafür gibt man dem System Beispiele, wie sich eine bestimmte Person ausdrückt, wie die Person schreibt, wie die Person vielleicht sogar spricht. Wenn man dem System diese Informationen gibt, kann es damir sehr gut imitieren. Das ist erstaunlich präzise.

Symbolbild Künstliche Intelligenz / © Gorodenkoff (shutterstock)
Symbolbild Künstliche Intelligenz / © Gorodenkoff ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Also ist man bei beiden Möglichkeiten schon weit. Bei den Chatbots, die eher schreiben, und auch bei den Avataren, wo ich dann tatsächlich eine Animation von jemandem sehe.

Brand: Avatare sind technisch mittlerweile gar kein Problem mehr. Sie können Bilder von Verstorbenen oder auch von sich selbst hochladen und mit einem entsprechenden Programm mit Text unterlegen. In Folge wird daraus ein Video erzeugt, bei dem sich der Mund bewegt, das Gesicht, die Hände möglicherweise sogar passend zu dem Text, der gesprochen werden soll, bis hin zu Intonationen und solchen Dinge.

Man kann auch die Stimme einer bestimmten Person synthetisieren, so dass es klingt, als würde man mit dieser Person sprechen. Dafür braucht es nur ganz wenige Beispiele um das auf eine ganz bestimmte Person anzupassen. 

Lukas Brand

"Eine eine vollständige virtuelle Realität aber, in der man sich dann auch bewegen kann, ist technisch noch zu aufwendig."

Aber eine vollständige virtuelle Realität, in der man sich auch bewegen kann, ist technisch noch zu aufwendig. Das wird in den nächsten Jahren auch wieder mithilfe von künstlicher Intelligenz leichter, solche Umgebungen zu individualisieren und zu generieren.

DOMRADIO.DE: Welches sind aus theologischer Perspektive die ethischen Fragen, die Sie sich stellen?

Brand: Das fundamentale Problem, für das ich mich als Theologe und Philosoph interessiere, ist, welche Wirklichkeit diese Systeme haben. Diese KI-basierten und KI-generierten Avatare und Simulakrensind nur Abbilder der Wirklichkeit.

Gräber auf einem Friedhof / © locrifa (shutterstock)

Hier ist der Ausdruck der virtuellen Realität gut, weil es sich dabei nicht um das Gegenüber handelt, das ich zu Lebzeiten gekannt habe, sondern um eine Simulation, die sich von einem Bild oder einer Videoaufnahme im klassischen Sinne unterscheidet, weil sie jederzeit neue Inhalte generieren vermag, die wir für genuine Ausdrücke dieser Person halten, die aber nicht von der Person stammen.

DOMRADIO.DE: In der Religion geht es auch um das Seelenheil. Wenn ich mich als Hinterbliebene auf der einen Seite mit dem Tod eines geliebten Menschen abfinden muss und ich mich auf der anderen Seite mit ihm im Internet unterhalten kann, kann meine Seele ganz schön in Verwirrung geraten und die Trauerbewältigung ordentlich verzögert werden, oder?

Brand: Ja, das ist in der Tat die interessante Frage. Ich will nicht von vornherein ausschließen, dass der psychologische Effekt, den es haben kann, wenn ich zum Beispiel einem plötzlich verstorbenen Menschen, einem nahen Verwandten oder Freund noch ein letztes Gespräch führen, ein Problem lösen kann, das uns irgendwie begleitet oder vielleicht auch zu Lebzeiten getrennt hat. Auch wenn dieses Problem nur virtuell, das heißt einseitig, gelöst wird.

Für mich als Überlebenden kann ich mir zumindest vorstellen, dass das einen psychologischen Effekt hat, der nicht zu unterschätzen ist. Aber als Theologe muss ich trotzdem sagen, dass diese Lösung eben nur einseitig ist. Die geschieht nicht mit dem wirklichen Menschen.

Lukas Brand

"Aber ja, als Theologe muss ich trotzdem sagen: Diese Lösung ist eben nur einseitig."

In dem Moment, in dem ich mir das bewusst mache, kann es sein, dass diese ganze psychologisch therapeutische Dimension wieder einbricht. Ich weiß auch nicht, wer bereit wäre, dieses Experiment zu wagen, um festzustellen, ob es diesen therapeutischen Effekt wirklich gibt.

Auf der anderen Seite würde ich als Theologe dem immer das Evangelium entgegenhalten. Die Auferstehung der Toten ist eben nichts, was wir im Leben erleben oder was wir selbst erzeugen können, sondern wo wir auf die Gnade Gottes angewiesen sind.

DOMRADIO.DE: Jetzt haben wir über die Perspektive der Hinterbliebenen gesprochen. Haben die Verstorbenen nicht auch ein Mitspracherecht, ob sie als Chatbot oder Avatar auferstehen wollen oder nicht?

Brand: Ja, das sind die ethischen und gesellschaftlichen Fragen, über die wir uns einig werden können. Da geht es um Persönlichkeits- und um Datenrechte.

Intuitiv würden wir sagen, dass wenn ich dem zu Lebzeiten zustimme und vielleicht sogar bereit bin, einen bestimmten Betrag dafür zu bezahlen, damit ein Unternehmen meine Daten verwaltet, das es auf dieser Ebene erst mal unproblematisch ist. Wir können da als Gesellschaft Institutionen schaffen, um das zu regulieren.

Eine andere Frage ist aber, was getan werden soll, wenn das Unternehmen mal pleite geht. Dann hat man Geld dafür bezahlt und die Hinterbliebenen wollen diesen Service weiter nutzen. Wer trägt dann die Verantwortung für den Erhalt dieser Daten?

Lukas Brand

Als Theologe würde ich mal sagen, dass wir vielleicht lieber die Finger davon lassen sollten (...)

Als Theologe würde ich sagen, dass wir vielleicht lieber die Finger davon lassen sollten, weil Trauerbewältigung darauf abzielt, mit dem endgültig abgeschlossenen Verlust umzugehen. Genau das versucht diese Trauertechnologie zu verzögern.

DOMRADIO.DE: Glauben Sie, wir müssen uns irgendwann auf einen digitalen Pfarrer vorbereiten, der eine Beerdigung abhält?

Lukas Brand

"Die Kirche ist und bleibt eine Gesellschaft von Menschen und für Menschen."

Brand: Nein, das ist eigentlich ausgeschlossen. Die Kirche ist und bleibt eine Gesellschaft von und für Menschen. Das schließt nicht aus, dass Menschen auch Technologie nutzen, um ihren Glauben zu leben, aber den Gottesdienst wird immer ein Pfarrer leiten. Ohne ketzerisch zu werden: vielleicht auch irgendwann mal eine Pfarrerin, aber mit Sicherheit nie ein Roboter oder eine künstliche Intelligenz. 

Das Interview führte Heike Sicconi.

Was ist Künstliche Intelligenz?

Der Begriff Künstliche Intelligenz (KI) wurde vor mehr als 60 Jahren geprägt durch den US-Informatiker John McCarthy. Er stellte einen Antrag für ein Forschungsprojekt zu Maschinen, die Schach spielten, mathematische Probleme lösten und selbstständig lernten. Im Sommer 1956 stellte er seine Erkenntnisse anderen Wissenschaftlern vor. Der britische Mathematiker Alan Turing hatte sechs Jahre zuvor bereits den "Turing Test" entwickelt, der bestimmen kann, ob das Gegenüber ein Mensch ist oder eine Maschine, die sich als Mensch ausgibt.

Symbolbild Künstliche Intelligenz / © maxuser (shutterstock)
Symbolbild Künstliche Intelligenz / © maxuser ( shutterstock )
Quelle:
DR