Für diesen Fall müssten Gesellschaft und Staat Möglichkeiten der Beratung und Assistenz schaffen, sagte Latzel am Dienstagabend in einer Online-Veranstaltung der Evangelischen Akademie im Rheinland. "Da sollte nicht der Erwartungsdruck des Staates an uns sein, dass wir das als Service-Angebot haben."
Diakonie-Präsident Ulrich Lilie trat hingegen in der gleichen Veranstaltung dafür ein, Verfahren zu etablieren, um sterbenskranke Menschen mit Suizid-Wunsch begleiten zu können.
Es brauche ein professionelles Vorgehen mit kompetenten Beratungsteams, um den wahren Wunsch eines Menschen herauszufinden, sagte Lilie. "Das halte ich für eine Aufgabe von Kirche und Diakonie."
Gerichtsentscheid stützt sich auf Selbstbestimmungsrecht
Hintergrund der Debatte über den assistierten Suizid ist eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, das im Februar 2020 das Verbot der "geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung" aufgehoben hatte. Die Karlsruher Richter begründeten die Entscheidung mit dem Selbstbestimmungsrecht. Das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben schließt demnach auch eine mögliche Hilfe Dritter ein. Der Paragraf 217 des Strafgesetzbuchs muss nun neu gefasst werden.
In der evangelischen Kirche gibt es keine allgemein verbindliche Position. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) lehnt - wie die katholische Deutsche Bischofskonferenz auch - organisierte Suizidassistenz ab.
"Wir stehen für den Schutz und die Begleitung menschlichen Lebens bis zum Ende", betonte Latzel. In Grenzfällen müsse zwar respektiert werden, wenn Menschen sich für die Beendigung ihres Lebens entschieden. Sie müssten diakonische Einrichtungen deshalb auch nicht verlassen. "Wir respektieren den Wunsch, aber wir tragen nicht aktiv dazu bei", betonte Latzel.
Für Diakonie hat der Lebensschutz Vorrang
Auch für die Diakonie habe der Lebensschutz Vorrang, stellte Lilie klar. Dazu müsse es einen flächendeckenden Ausbau der Suizidprävention geben. Dennoch werde es immer einzelne Menschen geben, die sich trotz guter palliativer Versorgung am Lebensende für einen Suizid entschieden. "Das ernst zu nehmen und jeder Form von Paternalismus und therapeutischem Besserwissen gegenzusteuern, ist auch eine Aufgabe in unseren diakonischen Einrichtungen", erklärte der Diakonie-Präsident. Es gehe nicht darum, Suizid-Begleitung zum Regelangebot zu machen. Aber es müsse ein professioneller Umgang damit gefunden werden. Das eröffne die Chance, "durch eine restriktive Öffnung gerade den Leuten, die das zu einer heroischen Freiheitsdebatte karikieren wollen, auch den Stachel zu ziehen."
Sigrid Graumann, Rektorin der Evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe und Mitglied des Deutschen Ethikrats, wies auf den Zielkonflikt zwischen Suizidbegleitung und Suizidprävention hin. "Ich denke, dass wir die Suizidprävention vorrangig stärken sollten, ohne das andere aus den Augen zu verlieren." Dabei dürften keine fahrlässigen Vereinfachungen zugelassen werden. Das sei eine Herausforderung, mit der sich die Kirche beschäftigen müsse und die Zeit erfordere.