Karlsruhe hat Druck gemacht. Der Gesetzgeber müsse unverzüglich Vorkehrungen zum Schutz behinderter Menschen bei einer pandemiebedingten Triage treffen, forderten die Richter im Dezember.
Jetzt hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) einen Gesetzentwurf vorgelegt, der eine Diskriminierung Behinderter und anderer Personengruppen bei einer Überlastung von Intensivstationen durch eine Corona-Pandemie verhindern soll.
Ex-Post-Triage ausgeschlossen
Zugleich schließt der Gesundheitsminister in dem Gesetzentwurf, der der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) vorliegt, ausdrücklich die besonders umstrittene Ex-Post-Triage aus. Bei der Triage müssen Ärzte im Fall fehlender medizinischer Mittel entscheiden, welchen Patienten überlebensnotwendige Leistungen gegeben und welchen sie vorenthalten werden. "Ex-Post-Triage" würde bedeuten, dass auch die bereits begonnene Behandlung eines Patienten mit geringer Überlebenswahrscheinlichkeit abgebrochen werden kann, um einen Patienten mit besserer Prognose versorgen zu können.
Triage ist keinesfalls ein theoretisches Problem: Während der Hochphase der Corona-Pandemie drohte zeitweilig eine Überlastung von Intensivstationen, etwa in Sachsen. Im März 2020 erhielten im italienischen Bergamo nicht mehr alle Covid-Patienten einen Platz auf den Intensivstationen. Und Ärztinnen und Ärzte mussten auswählen, wer behandelt werden konnte und wer nicht.
Bei einer Triage-Entscheidung stehen also sehr grundsätzliche Wertfragen zur Debatte. Dürfen beispielsweise jüngere Patienten mit der wahrscheinlich längeren Lebenszeit gegenüber älteren Menschen bevorzugt werden? Dürfen offenkundig sonst gesunde Menschen bevorzugt werden gegenüber solchen mit Vorerkrankungen und Gesundheitsrisiken, deren Überlebenschance möglicherweise geringer ist?
Was könnten Kriterien sein?
Die jetzt von Lauterbach vorgelegte Änderung des Infektionsschutzgesetzes regelt konkret, dass auch Alter, Gebrechlichkeit, ethnische Herkunft, Religion, Geschlecht und sexuelle Orientierung nicht zu einer Schlechterstellung beim Zugang zu einer Intensivbehandlung führen dürfen.
Falls es in einer akuten Pandemie-Lage mehr Corona-Intensivpatienten als Behandlungsplätze geben sollte, dürfe die Entscheidung "nur aufgrund der aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit der betroffenen Patientinnen und Patienten getroffen werden", heißt es. Behinderung, Lebenserwartung, Gebrechlichkeit oder Lebensqualität seien dafür "keine geeigneten Kriterien".
Der Gesetzentwurf schreibt konkrete Beratungspflichten vor. Eine Triage-Entscheidung sei "von zwei mehrjährig intensivmedizinisch erfahrenen praktizierenden Fachärztinnen oder Fachärzten mit der Zusatzweiterbildung Intensivmedizin einvernehmlich zu treffen". Seien Menschen mit Behinderungen oder Vorerkrankungen von der Zuteilungsentscheidung betroffen, müsse sogar eine dritte Person mit entsprechender Fachexpertise hinzugezogen werden.
Vor allem Mediziner und Ethikexperten hatten die Bundesregierung aufgefordert, eine gesetzliche Regelung zur Triage vorzulegen, um Willkür zu verhindern und um das medizinische Personal nicht unnötigen rechtlichen Risiken auszusetzen.
Was sagt der Ethikrat?
Allerdings gab es Streit darüber, wer Regelungen vorlegen sollte. Der Deutsche Ethikrat betonte in seinen im März 2020 vorgelegten Ad-hoc-Empfehlungen, dass der Staat selber "menschliches Leben nicht bewerten und deshalb auch nicht vorschreiben darf, welches Leben in einer Konfliktsituation zu retten ist".
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) erklärte 2020, er sehe keine Notwendigkeit, die Frage per Gesetz zu regeln. Der Staat überlasse die Entscheidungen den medizinischen Fachgesellschaften.
Nach deren 2020 vorgelegten Kriterien sollen zunächst die intensivmedizinische Behandlungsnotwendigkeit und in einem zweiten Schritt die Überlebenschancen bei einer Intensivtherapie geklärt werden. Dagegen forderten Grüne, die Deutsche Stiftung Patientenschutz und der Weltärztebund Vorgaben des Bundestags. Nur das Parlament habe die Legitimation, Regeln über die Verteilung von Lebenschancen festzulegen.
Einig sind sich alle, dass Staat und Gesundheitswesen alles tun müssen, um solche Triage-Situationen erst gar nicht eintreten zu lassen.