DOMRADIO.DE: Herr Krane, ein halbes Jahrhundert waren Sie haupt-, neben- und ehrenamtlich Kirchenmusiker. Sie haben nicht nur den Jüngsten in der Musischen Vorschule der Dommusik, fünfjährigen Kita-Kindern, die Liebe zur Musik vermittelt, sondern standen oft auch am Dirigentenpult und haben mit der Domkantorei Köln große Oratorien aufgeführt. Nun geben Sie als Leiter der Musikschule der Kölner Dommusik die Verantwortung ab. Mit welchen Gefühlen verabschieden Sie sich in den Ruhestand?
Winfried Krane (Leiter der Musikschule der Kölner Dommusik sowie Leiter der Domkantorei Köln und der Kölner Domkapelle): Mit großer Dankbarkeit für die vielen musikalischen und religiösen Erlebnisse, an denen ich beteiligt war und die ich mitgestalten durfte: zum Beispiel die Heiligsprechung von Edith Stein in Rom, das Domjubiläum 1998, die Feiertage zu Dreikönigen, dann die Aufführungen großer Werke im Dom wie das Oratorium der Heiligen Elisabeth von Liszt, aber auch in der Philharmonie, wenn ich da an die "Sinfonie der Tausend" von Mahler oder die jeweils 9. Sinfonie von Beethoven oder Bruckner denke. Und dann jedes Dom-Hochamt mit meiner Kantorei, was immer ein Fest war. Darüber hinaus war ich bis vor sechs Jahren neben- und ehrenamtlich 34 Jahre Kantor in St. Elisabeth in Bonn. Dort gab es vor und zu meiner Zeit jeden Sonntag Chorgesang mit dem Elisabeth-Chor, dem Kinder- und Jugendchor oder der Choralschola. Wenn ich im Dom war, wurde ich durch Prof. Otto Depenheuer oder Günter Schürmann vertreten, denen ich dafür sehr dankbar bin.
In der Rückschau gibt es viel Bewegendes, daher gehe ich auch mit großer Wehmut, zumal ich viel zurücklasse: die Kinder in der Dommusik, meinen Chor, das Orchester, die Kollegen; eben viele Beziehungen, die durch die gemeinsame Arbeit genährt wurden und aus denen auch Freundschaften entstanden sind. Und die derzeitige kirchliche Situation macht es auch nicht einfacher, gerade jetzt von Bord zu gehen. Zum Glück habe ich in dieser Krise kein einziges Chormitglied verloren. Immer wenn jemand auf dem Absprung war, habe ich ihn gefragt: Wie stehst Du zur Lehre Jesu? Willst Du Dich wirklich um die Chance bringen, Deinem Glauben auch durch Musik Ausdruck zu verleihen? Niemand sollte sich von einem Bischof oder einzelnen Priester abhängig machen, der nicht ins Konzept passt.
DOMRADIO.DE: Wenn die Argumentation mit der Besinnung auf das Eigentliche gefruchtet hat, dann dürfen Sie sich sicher glücklich schätzen. Andere Chorleiter verzeichnen teils dramatische Rückläufe…
Krane: Das Gotteslob steht für uns Sänger doch im Vordergrund. In ihm bringen wir unsere Dankbarkeit zum Ausdruck. Gleichzeitig ist es uns Verpflichtung. Unsere Kirche steht auf den drei Säulen Caritas, Verkündigung und Liturgie. Das macht unser Christsein aus. Daher waren mir auch Benefiz-Konzerte immer ein Anliegen, eben um auch den karitativen Aspekt stets im Blick zu halten, zumal ich als Kirchenmusiker natürlich immer eher in der Liturgie zuhause war. Verkündigung durch Musik – das war mein Leben.
DOMRADIO.DE: … in dem Sie immer als Überzeugungstäter agiert haben. Das heißt, das musikalische Engagement in und für die Kirche war Ihnen Lebenselixier. Doch die Kirche hat es gerade schwer und damit auch die Kirchenmusik. Zum ersten Mal hat sich an der Kölner Musikhochschule kein Student für das Fach katholische Kirchenmusik eingeschrieben…
Krane: Wir brauchen an bestimmten Orten hochqualifizierte, gute Musik, an anderen aber professionelle Kirchenmusiker, die auch Hausmusiker der Gemeinde sein können und wollen, also mit allen Musik machen. Vielleicht ist das gegenwärtige Bild des Kirchenmusikers nicht mehr zeitgemäß. Ich könnte mir da mehr eine Kombination aus Pastoralreferentin oder -referent und Kirchenmusiker vorstellen – gerade in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, weil Musik oft als Türöffner fungiert. Umgekehrt ist die Musik ein Instrument der Verkündigung, was auch Pfarrer zunehmend mehr erkennen und gezielt in die Kommunion- oder Firmvorbereitung einbeziehen. Allerdings sollte da niemand mit dem jeweils anderen konkurrieren, wie ich das oft erlebt habe. Im besten Fall ziehen beide an einem Strang. Also, meines Erachtens muss man beim Berufsbild ansetzen, das neu gedacht werden muss. Wir haben nur noch wenige hauptamtliche Kirchenmusiker, und die sind dann damit beschäftigt, von einer Kirche zur anderen zu hetzen, weil ihre inzwischen zahlenmäßig reduzierten Gottesdienste geografisch oft weit auseinander liegen.
DOMRADIO.DE: Sie sprechen es an: Es geht ja um das Zusammenspiel und nicht darum, dass sich der eine auf Kosten des anderen profiliert…
Krane: Als Kirchenmusiker hat man ganz automatisch ein enges Verhältnis zum Klerus, der sich allerdings im Vergleich zu früher sehr verändert hat. Der Bonner Priester und Kirchenmusiker Professor Wolfgang Bretschneider hat den Begriff vom Organisten als "Konzelebranten" geprägt. Damit charakterisierte er die Bewusstseinsveränderung manch eines Priesters beim Zusammenwirken von Musik und Verkündigung. Davon hätte ich mir – ehrlich gesagt – mitunter mehr gewünscht. Da aber, wo das erfolgreich realisiert wird – eine gute Predigt gepaart mit guter Musik – geht die Post ab. Wie oft bedanken sich Messbesucher mit frenetischem Beifall – meistens dann, wenn Predigt und Musik stimmen. Es ist eigentlich so einfach, auf der Welle der Musik mitzuschwimmen…
DOMRADIO.DE: Wie sehr schmerzt es Sie, dass auch die Zahlen der Chorsängerinnen und -sänger im Erzbistum stark zurückgehen?
Krane: Das ist traurig, weil immer weniger Menschen das Lob Gottes musikalisch darstellen. Damit verarmt unsere Kirche, unsere Liturgie und auch unsere Verkündigung.
DOMRADIO.DE: Mit der Musischen Vorschule für Kita-Kinder und dem Vorchor, in dem Kinder von der ersten bis zur dritten Klasse singen, die nicht die Domsingschule besuchen, werben Sie bei den Familien für eine frühzeitige Heranführung an das Thema Musik. Warum ist Ihnen das so wichtig?
Krane: Kinder sind von Natur aus musikalisch. Und Singen macht schlau. Das belegen längst wissenschaftliche Studien. Schon Babys reagieren auf Musik, und diese angeborene Musikalität der Kleinen sollten wir unterstützen: durch gemeinsames Singen, Bewegungen und dem spielerischen Ausprobieren von Klängen und Instrumenten. Denn Singen fördert nachweislich die musikalischen Fähigkeiten und beschleunigt die sprachliche Entwicklung eines Kindes. Mit bekannten "Ohrwürmern" erweitern sie zudem ihren Wortschatz. Gleichzeitig lernen sie aber auch einiges über Satzbau, Artikulation und Sprachmelodie. Gerade der Sprechrhythmus – Tempo und Betonungen – sind für den Spracherwerb essentiell. Nebenbei wird gerade beim gemeinsamen Musizieren auch die Konzentration geschult. Und noch etwas: Rhythmische Bewegungsabläufe schaffen gute Laune und fördern nebenbei die Motorik. Nicht zuletzt stärkt die Aktivität in der Gruppe auch das Gemeinschaftsgefühl.
Fünfjährige, also Kinder im letzten Kita-Jahr, die mit ihren Altersgenossen singen oder musizieren, sind hilfsbereiter und kooperativer. Sie finden Orientierung, Struktur und Rituale, die ihnen bei der Alltagsbewältigung helfen. Auch das gehört zu den wissenschaftlich gestützten Erkenntnissen. Wer hier mitmacht, integriert sich schnell in eine Gruppe – und Spaß macht es auch! Bei unseren Angeboten geht es um ein erstes Herantasten und eine aufmerksam begleitete Entdeckungsreise eigener musischer Potenziale und Talente, damit daraus eines Tages eine große Liebe werden kann.
DOMRADIO.DE: Zur Domkantorei Köln, die auch eines Ihrer Herzensprojekte ist: Über 28 Jahre haben Sie sie geleitet und mit ihr viele Konzerte – auch im europäischen Ausland – realisiert. Welche Idee stand hinter der Gründung dieses zusätzlichen Ensembles am Kölner Dom? Immerhin gab es mit dem Kölner Domchor und dem Mädchenchor am Kölner Dom schon starke Chöre für die Liturgie…
Krane: Die Domkantorei ist aus den "Erzbischöflichen Musiktagen" hervorgegangen, einer Initiative der Abteilung Schule/Hochschule im Erzbistum in Kooperation mit der Kölner Dommusik, bei der die Schüler der Oberstufe aller erzbischöflichen Schulen zu Beginn der Fastenzeit jeweils fünf Tage lang ein bedeutendes geistliches Chorwerk miteinander einstudieren. Die Schüler von einst suchten damals nach einer Gelegenheit, auch nach dem Abitur noch weiter in einer festen Chorgemeinschaft geistliche Musik singen zu können. So kam es 1995 nach einer Konzertreise durch Venetien zu der Neugründung dieses stimmenmäßig zunächst sehr jungen Chores, der neben den anderen in der Tat leistungsstarken Chören am Dom bis heute als Schwerpunkt das Repertoire geistlicher Werke für gemischte Stimmen mit Orchesterbegleitung pflegt.
Mittlerweile ist die Domkantorei Köln genau mit diesem Profil und samt dem dazugehörigen Orchester, der Kölner Domkapelle, aus der liturgischen Musik am Dom nicht mehr wegzudenken. Ich kann meinem Chor viel zutrauen und abverlangen; er ist fleißig und belastbar – auch wenn seine Mitglieder keine Profis, sondern Amateure sind. Das heißt, sie lieben, was sie tun: nämlich anspruchsvolle Kirchenmusik auf hohem Niveau.
DOMRADIO.DE: Die Liebe zur Musik gibt man ja nicht einfach so an der Garderobe ab. In welcher Weise bleiben Sie auch im Ruhestand der Musik erhalten? Anders gefragt: Gibt es noch Pläne für die Zukunft?
Krane: Nach einer Phase der Erholung – wie oft dachte ich in den letzten Jahren, die 24 Stunden am Tag sind nicht genug für meine vielen unterschiedlichen Aufgaben – möchte ich in meiner Heimatgemeinde in Hennef und der einzigen katholischen Grundschule dort am Ort mithelfen. Doch auch mit Erwachsenen, mit dem "Ensemble Liebfrauen, Hennef", möchte ich weiterarbeiten. Ohne Musik geht’s eben nicht. Aber es entlastet auch, keine Verantwortung mehr für große Aufführungen zu haben. Ich muss beruflich nicht mehr Impulsgeber sein und auch keine Sonntagsmesse mehr unter Beobachtung, sprich' Fernsehen bzw. Internet, gestalten. Alles Große habe ich erlebt. Das war schön, das war gut und das bleibt.
DOMRADIO.DE: Ein letztes Konzert gibt es vorher aber noch einmal zum Abschluss: Am 5. September dirigieren Sie im Dom von Mendelssohn-Bartholdy "Psalm 95" und das "Te Deum" von Bruckner. Warum gerade diese Werkauswahl?
Krane: Das "Te Deum" habe ich erstmalig 1985 am Anfang meiner Zeit in Bonn und 1995 zu Beginn meiner Kölner Zeit dirigiert. Damals mit dem Bonner Elisabeth-Chor und Mitgliedern des Orchesters der Beethovenhalle im Beisein von Kardinal Höffner. In Köln kam die Aufführung durch die Musiktage und die neugegründete Kantorei zur Aufführung in Groß St. Martin. Der Ambrosianische Lobgesang, der bei unseren Hochfesten nur noch verkümmert vorkommt, bildete damals den Auftakt zu unserer Entwicklung als Domkantorei und zieht sich wie ein roter Faden durch mein Leben. Unter der Leitung meines Vaters hatte ich das Werk durch Mitsingen kennengelernt und im Konzert am 5. September schließt sich damit nun ein Kreis. Es führt alle Beteiligten an ihre stimmlichen Grenzen. Ein irres Stück!