Das 2008 bei archäologischen Ausgrabungsarbeiten in der Mainzer Altstadt entdeckte Fundstück mutete mysteriös an: In einer Abfallgrube wurde eine Art Amulett aus vergoldetem Kupfer gefunden, das auf das späte 12. Jahrhundert datiert wurde.
Schnell war klar: Dieser spätmittelalterliche Anhänger ist kein profanes Schmuckstück, sondern laut Forschern vermutlich ein Reliquiar - ein Behältnis für Knochensplitter eines Heiligen, das als Brustanhänger getragen wurde. Am Donnerstag gaben die zuständigen Archäologen nun in einer Mitteilung "neueste Erkenntnisse" bekannt.
Deutlich wurde dabei: Das letzte Geheimnis, um welchen Heiligen es sich handelt, wird wohl nie gelüftet werden.
Reliquienanhänger durch Vernietung verschlossen
Dass dies ein besonderes Fundstück mit christlichem Bezug ist, ist augenfällig: In den einzelnen emaillierten Feldern des nur Handflächen-großen, kleeblattförmigen Amuletts befinden sich christliche Darstellungen: "Außen ist der vergoldete Anhänger aus Kupfer mit Bildern von Jesus, den vier Evangelisten, Maria und vier weiblichen Heiligen emailliert", teilte das Leibniz-Zentrum für Archäologie (LEIZA) nun mit, das vor seiner kürzlichen Umbenennung Römisch-Germanisches Zentralmuseum (RGZM) hieß.
Der mutmaßliche Reliquienanhänger war im Mittelalter durch Vernietung fest verschlossenen worden und hätte heutzutage nur mit zerstörerischer Gewalt geöffnet werden können. "Durch die jahrhundertelange Korrosion ist das Objekt und vor allem der Schließmechanismus stark beschädigt, und es zu öffnen würde bedeuten, es unwiderruflich zu zerstören", erklärte Restaurator Matthias Heinzel vom LEIZA, der schon 2021 über erste Erkenntnisse berichtet hatte.
Unsichtbares sichtbar machen
In den vergangenen Jahren ging es darum, mit nicht-invasiven Methoden das Unsichtbare sichtbar zu machen. Zunächst wurden Röntgenaufnahmen angefertigt, die aber nichts vom Inhalt des 6,7 Zentimeter hohen, 5,7 Zentimeter breiten und 1,1 Zentimeter dicken Goldschmiede-Behältnisses preisgaben.
Dennoch wollten die Experten, die 500 Stunden in die Restaurierung des grün-blau schimmernden Stückes gesteckt hatten, die Hoffnung nicht aufgeben. Deshalb kam modernste wissenschaftlich Technologie zum Zug: Man ließ das Amulett am Neutronenforschungszentrum der Technischen Universität München (TUM) in Garching untersuchen. Dort sollte sich der Inhalt - "insbesondere die organischen Bestandteile" - mittels Neutronentomographie offenbaren.
Organische Substanzen sichtbar machen
Anders als Röntgenstrahlen können die Neutronen Metalle durchdringen und dabei organische Substanzen sichtbar machen. Das Ergebnis, das als "kleine Sensation" gilt: Durch die Neutronentomographie konnten fünf einzelne Päckchen aus Seide und Leinen identifiziert werden, in denen jeweils kleinste Knochensplitter verpackt waren.
"Meist ist Reliquienpäckchen ein Pergamentstreifen beigefügt, auf dem der Name des Heiligen steht", erklärten die Forscher jetzt. Im Mainzer Fall "können wir es aber leider nicht sehen", so Heinzel. "Ob es sich um Knochen von Heiligen handelt und welchen Heiligen die Knochensplitter zugeordnet werden können, lässt sich nicht herausfinden", bilanziert der Restaurator. Dieses letzte Geheimnis wird damit wohl bleiben.
Einer von vier
Es stellte sich aber heraus, dass es sich um einen von nur vier bekannten Reliquienanhängern dieses Typs weltweit handelt. Dieses als Phylakterium (griechisch für "Verwahrungsmittel") bezeichnete Reliquiar in Form eines vierblättrigen Kleeblatts stamme aus einer Hildesheimer Werkstatt, die nur im späten 12. und frühen 13.
Jahrhundert nachweisbar sei. Die anderen drei Exponate befinden sich laut den Experten heute in Boston, Rom und Halberstadt in Sachsen-Anhalt.
Das Mainzer Fundstück ist den Angaben zufolge "im Besitz der Generaldirektion kulturelles Erbe, Direktion Landesarchäologie Mainz". Es könne nun in der Ausstellung "Aurea Magontia - Mainz im Mittelalter" des Landesmuseum Mainz besichtigt werden, "bis auf Weiteres".