DOMRADIO.DE: Die Pandemie trifft uns alle. Es können aktuell keine Kulturveranstaltungen und kein Vereinssport stattfinden, auch der Restaurantbesuch muss ausfallen. Sogar die Rodelberge werden geschlossen. Aber wir sind nicht alle gleich hart betroffen. Herr Prälat Neher, und da kommt die Caritas ins Spiel.
Prälat Peter Neher (Präsident des Deutschen Caritasverbandes): Wir haben gerade in der Corona-Pandemie wahrgenommen, dass bestehende soziale und ökonomische Ungleichheit sich noch wesentlich deutlicher gezeigt und verschärft haben. Ich nenne das Thema Wohnungsnot: Wenn ich die Wohnung kaum verlassen soll, dann ist es einfach eng in einer kleinen Wohnung mit mehreren Kindern. Wenn ich dann auch noch schlecht digital ausgestattet bin, dann haben meine Kinder ein Riesenproblem im Homeschooling. Und wenn ich auch noch in Kurzarbeit bin, dann kommt noch ein finanzielles Problem dazu. Also das sind, glaube ich, einige Punkte, die deutlich machen, wie sehr wir tatsächlich alle betroffen sind von der Pandemie, aber in der Auswirkung natürlich ganz unterschiedlich.
DOMRADIO.DE: Lassen Sie uns über das Zusammenrücken sprechen. Die Solidarität mit den Pflegekräften gab es ja, wenn die natürlich auch abgeebbt ist. Wir haben Einkaufsservices für Senioren geschaffen und die große Mehrheit trägt ja auch die Maske – sogar draußen. Kann man nicht sagen, dass die Pandemie uns zusammengeschweißt hat, oder beobachten Sie eher das Gegenteil?
Neher: Wir haben eine Umfrage initiiert und die hat immerhin zu Tage befördert, dass 52 Prozent sagen, dass die Pandemie uns eigentlich stärker auseinander gebracht hat und dass Gegensätze nochmal neu aufgebrochen sind. Ich nenne hier einfach auch den Begriff der Systemrelevanz, der vor allem im Frühjahr eine große Rolle gespielt hat. Das ist ganz schwierig, denn letztlich ist jeder Mensch systemrelevant.
Wir merken, dass natürlich auch die Kulturschaffenden, die Religion, die Kirchen, sie haben alle ihren Beitrag. Wenn man hier Gruppen gegeneinander ausspielt, dann ist es schwierig. Auch jetzt wieder die neue Debatte, ob Geimpfte Vorteile haben müssten gegenüber Nicht-Geimpften, – wobei ja noch gar nicht alle die Möglichkeit haben, sich impfen zu lassen. Ich glaube, an der Stelle wird schon deutlich, dass die Spannungen, je länger die Pandemie anhält, umso schärfer deutlich werden und tatsächlich Menschen in ihrer Existenz bedrohen.
DOMRADIO.DE: Die Kampagne, die heute startet, stellt ja die Frage in den Fokus, in welcher Gesellschaft wir leben wollen. Das fragt die Caritas natürlich nicht erst seit Corona. Aber ist die Frage jetzt wichtiger als sonst in den vergangenen Jahren?
Neher: Sie hat sich deutlich zugespitzt. Wenn sich soziale Problemlagen tatsächlich verschärfen, wenn Menschen das Gefühl haben, vielleicht auch, weil manche Dinge nicht genügend erklärt wurden, dass es eben nicht gerecht zugeht, weil man selber von bestimmten Unterstützungen nicht profitiert, dann droht tatsächlich, dass die Pandemie uns noch weiter auseinanderbringt, wenn wir dem nicht aktiv begegnen.
DOMRADIO.DE: Ihre Kampagne "Das machen wir gemeinsam" wird über zwei Jahre laufen, also auch dann noch, wenn die Pandemie hoffentlich besiegt ist. Was ist geplant?
Neher: Die Zielrichtung waren ja zwei Jahre, weil der Deutsche Caritasverband im Jahre 2022 sein 125-jähriges Jubiläum feiert. Deswegen: Wir sind als Deutsche Caritas seit 125 Jahren dabei, Menschen in Not zu unterstützen. Wir werden dazu natürlich auch in der nächsten Zeit jetzt zunächst mal das Pandemiethema noch einmal deutlich betonen und sagen, wie wichtig wir hier zusammen helfen müssen.
Dann kommt der Bundestagswahlkampf, in dem wir dann auch noch einmal die digitale Teilhabe, eine gerecht gestaltete Klimapolitik und den gesellschaftlichen Zusammenhalt betrachten. Im Blick auf die Bundestagswahl wird uns massiv beschäftigen, dass die soziale Infrastruktur erhalten bleibt und verstärkt wird. Dann im Jahr 2022 wollen wir noch mal intensiver auf das eigentliche Jubiläumsjahr eingehen. Das ist so der Bogen dieser zwei Jahre, der hier insbesondere mit dem Jubiläum des Deutschen Caritasverbandes dann 2022 zusammenhängt.
Das Interview führte Tobias Fricke.