Bei der Begegnung in der vatikanischen Audienzhalle jubelten die Arbeitervertreter, von denen viele aus dem kommunistischen Spektrum der italienischen Politik stammen, dem Papst bei einer Rede zu, die er mit dem Satz begann: "Es gibt keine Gewerkschaft ohne Arbeiter, und es gibt keine freien Arbeiter ohne Gewerkschaften!"
In seiner immer wieder von Beifall unterbrochenen Ansprache sagte der Papst, die Erwartung, dass der technologische Fortschritt zu mehr Gerechtigkeit führen würde, sei enttäuscht worden. Man müsse wieder den Wert der Arbeit zum Ausgangspunkt nehmen, wie er dies in seinen Enzykliken "Laudato si" und "Fratelli tutti" getan habe.
Viele Arbeitsunfälle
Der "Stoff der Demokratie" werde nicht am grünen Tisch in irgendwelchen Amtsgebäuden gewoben, sondern in den Fabriken, Büros, Geschäften und auf den Baustellen, so der Papst. Mit scharfen Worten kritisierte er die Benachteiligung von Frauen bei der Entlohnung und das Prekariat vieler Jugendlicher auf dem Arbeitsmarkt.
Besonders ausführlich ging der Papst auf die vielen Arbeitsunfälle in Italien ein, die täglich Menschenleben kosten oder schwere Behinderungen verursachen. "Jedes Todesopfer bei einem Arbeitsunfall ist eine Niederlage für die gesamte Gesellschaft", betonte der Papst.
"Erlauben wir nicht, dass der Profit und die Person als gleichwertig angesehen werden!", fuhr der Papst fort und warnte vor Formen der Ausbeutung, in denen Menschen behandelt würden, "als seien sie Maschinen, die eine Leistung erbringen müssen". Vor allem in der Landwirtschaft und auf dem Bau gebe es extreme Formen der Ausbeutung.
Ausdrücklich forderte der Papst die Gewerkschafter auf, sich auch für die Interessen jener Benachteiligten einzusetzen, die "nicht Mitglieder sind, weil sie das Vertrauen verloren haben".
Große Friedensdemonstration in Rom
Am Ende seiner Rede bat der Papst die Versammelten, von denen viele keine praktizierenden Katholiken waren: "Falls ihr könnt, betet für mich!" Zu Beginn seiner Ansprache hatte Franziskus den Gewerkschaftsvorsitzenden Maurizio Landini (61) nach einer kämpferischen Begrüßungsrede gelobt und ihm unter großem Gelächter bescheinigt: "Er ist ein guter Junge."
Landini hatte davon geschwärmt, dass er bei der großen Friedensdemonstration in Rom am 5. November mit großer Freude "neben den roten Fahnen der CGIL auch jene der katholischen Vereinigungen" gesehen habe. "Dieser wunderschöne Tag hat gezeigt, dass wir - die Kirchenfernen und die Katholiken - zusammenarbeiten können, um eine Gesellschaft zu verändern, die auf Konkurrenz, Egoismus und Ausbeutung aufgebaut ist."
Die "Confederazione Generale Italiana del Lavoro" (CGIL) ist Italiens linker nationaler Gewerkschaftsbund; daneben gibt es auch nationale Gewerkschaftsbünde mit gemäßigt sozialdemokratischer sowie mit christdemokratischer Tradition. Bis Ende der 1990er Jahre gehörten die CGIL-Mitglieder überwiegend der kommunistischen Partei und deren Nachfolge-Organisationen an. Mit rund 5 Millionen Mitgliedern ist die CGIL der größte Gewerkschaftsdachverband in Italien.