Liturgieexperte erklärt Phänomen der Sondergottesdienste

Mit Licht und viel Musik

Immer weniger Gläubige gehen in die Sonntagsmesse. Doch in der Adventszeit gibt es eine Fülle an Vespern, Evensongs und Konzerten, die besonders gestaltet sind. Liturgiewissenschaftler Stephan Wahle sieht darin Chancen für die Messe.

Schon eine veränderte Beleuchtung kann den Gottesdienst oder das Konzert erheblich aufwerten. / © Tomasetti (DR)
Schon eine veränderte Beleuchtung kann den Gottesdienst oder das Konzert erheblich aufwerten. / © Tomasetti ( DR )

DOMRADIO.DE: Gerade in der Adventszeit gibt es ja auffallend viele Konzerte, aber auch spezielle Gottesdienste, die keine Messen sind. Etwa Evensongs aus dem anglikanischen Bereich oder auch Vespern, die oft relativ frei gestaltet sind. Welche Anreize bieten denn die, die vielleicht eine Eucharistiefeier nicht hat? 

Prof. Dr. Stephan Wahle (privat)
Prof. Dr. Stephan Wahle / ( privat )

Prof. Dr. Stephan Wahle (Lehrstuhlinhaber für Liturgiewissenschaft an der Theologischen Fakultät Paderborn): Gottesdienst ist immer schon mehr als Messe. In geprägten Zeiten wie zum Beispiel im Advent wird besonders deutlich, dass wir eine größere Vielfalt erleben, die eigentlich wünschenswert ist, auch für das ganze Kirchenjahr. 

Man merkt jetzt, einfache Formen wie ein Abendgottesdienst im Lichterschein mit Musik, mit Gebet, mit Stille ist äußerst attraktiv, weil er den Reiz, das Besondere dieser Zeit aufgreift und in das hineinstellt, was im Glauben gefeiert wird, was wir beten, wovon wir in Liedern singen. Ich glaube, diese Verflüssigung des Glaubens in die Lebenswelt schaffen diese Gottesdienste  - besser als die normale Sonntagseucharistie. 

DOMRADIO.DE: Die Konzerte oder Evensongs oder auch Vesper sind ja, wie gesagt, meist freier gestaltet. Warum ziehen die vielleicht auch eher Menschen an, die weniger kirchlich gebunden sind? 

Wahle: Eine Vesper hat natürlich auch einen rituellen Rahmen. Es ist nicht so, dass ein Evensong völlig frei wäre. Auch hier gibt es feste Elemente und doch sind sie offener. 

Es gibt viele Möglichkeiten, diese Gottesdienste kreativ zu gestalten, ein großes Repertoire vor allem an Liedern, etwa den Christmas Carols, wie es in den Evensongs der Fall ist. Das gilt eigentlich auch für jede Form von Gottesdienst, auch für die Messe. 

Stephan Wahle

"Manchmal nehmen wir die vielfältigen Möglichkeiten der Gottesdienstgestaltung zu wenig wahr."

Manchmal nehmen wir die vielfältigen Möglichkeiten der Gottesdienstgestaltung zu wenig wahr. Und ich glaube, das ist es auch, was die Menschen wahrnehmen, spüren; dass eben diese offenen Feiern noch etwas stärker auf das eingehen können, was die Menschen bewegt – und dass sie selbst entscheiden können, wie nahe und wie fern sie sind von dem, was dort gefeiert wird. 

Solche Feiern ermöglichen vielleicht noch etwas stärker die Eigenverantwortung der Menschen, die am Gottesdienst teilnehmen, ihn sogar aktiv mitfeiern. 

DOMRADIO.DE: Und auffällig ist ja die Gestaltung, denn in manchen Kirchen gibt es dann bei den besonderen Gottesdiensten viele Kerzen, zum Beispiel als einzige Lichtquelle oder anders eine Beleuchtung durch farbiges Licht, um die bauliche Struktur der Kirchen zu unterstreichen. 

Das macht man besonders gerne bei gotischen oder bei romanischen Kirchen. Ist das jetzt schon so eine Art Eventisierung des Gottesdienstes oder doch ein zulässiges Mittel, um die Menschen in die Atmosphäre des Gottesdienstes besser eintauchen zu lassen? 

Kerzenschein taucht die Kirchen in besonderes Licht / © Elisabeth Schomaker (KNA)
Kerzenschein taucht die Kirchen in besonderes Licht / © Elisabeth Schomaker ( KNA )

Wahle: Dass man zu einem Abendgottesdienst eine Kerze hineinträgt, ist kein modernes Phänomen. Das gibt es schon im zweiten Jahrhundert. Der Brauch ist eine Gemeinsamkeit zwischen jüdischer und christlicher Liturgie am Abend: das natürliche Licht einer Kerze zu entzünden und in diesem schönen, vielleicht auch freundlichen Licht etwas zu spüren, zu erahnen, was sich vielleicht dann auch in dieser Feier, in der Begegnung mit diesem transzendenten Gott ereignen will. 

Insofern ist Atmosphäre nicht etwas Sekundäres, sondern gehört immer zur Wahrnehmung von Liturgie dazu. 

Hagios-Mitsingabend im Kölner Dom / © Tomasetti (DR)
Hagios-Mitsingabend im Kölner Dom / © Tomasetti ( DR )

Es ist immer die Frage: Welche Atmosphäre haben wir denn? Jeder Kirchenraum feiert quasi als Akteur mit. Auch der Raum ist ein Liturge. Manchmal feiern wir gegen den Kirchenraum, gegen die Atmosphäre oder bedenken gar nicht, wie stark das Äußere prägend ist für die Wahrnehmung dessen, was wir im Inneren verkünden, was wir sagen, was wir tun. 

Stephan Wahle

"Auch Liturgie lässt sich von einer Eventkultur nicht vollkommen abkoppeln."

Ob es in der Tat immer ganz viele Farben der Beleuchtung geben muss, ob wirklich alles illuminiert werden muss, ob es vielleicht auch manchmal zu viel des Guten ist, darf angefragt werden. Aber auch dieser Trend zur Beleuchtungstechnik ist Ausdruck unserer Zeit. 

Auch Liturgie lässt sich von einer Eventkultur nicht vollkommen abkoppeln. Auch hier ist die Unterscheidung der Geister gefragt. 

DOMRADIO.DE: Nicht erst das Zweite Vatikanische Konzil betont die Bedeutung der Eucharistiefeier. Sie haben ja eben schon gesagt, Gottesdienst ist mehr als Messe. Und doch nimmt ja die Zahl der Teilnehmenden an der Eucharistiefeier insgesamt ab. 

Was können denn die Gemeinden aus den Gottesdiensten wie den Evensongs oder Vespern für die Messe mitnehmen, damit diese vielleicht wieder attraktiver wird? 

Jesus Christus ist bei jeder Eucharistiefeier in Brot und Wein gegenwärtig. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Jesus Christus ist bei jeder Eucharistiefeier in Brot und Wein gegenwärtig. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Wahle: Man sollte sich immer fragen: Was für eine eucharistische Feierkultur haben wir denn ganz konkret in den Gemeinden? Ist das überhaupt eine Feierkultur oder hat sich etwas so routiniert von Sonntag zu Sonntag eingeprägt, ohne das mehr hinterfragt wird, wie man feiert? 

Stephan Wahle

"Man sollte sich immer fragen: Was für eine eucharistische Feierkultur haben wir denn ganz konkret in den Gemeinden?"

Also, solche Feiern, die anscheinend viel attraktiver erscheinen, könnten uns herausfordern und uns die Frage stellen, wie wir auch die Eucharistie als eine sinnfällige Feier begehen, in der es eigentlich darum geht, dass wir in Form einer rituellen Mahlgemeinschaft Gemeinschaft untereinander erleben und genau darin auch Gemeinschaft mit dem dreifaltigen Gott, der uns seinen Raum der Liebe schenken will. 

Und ich vermute, das ist etwas, was vielleicht in diesen anderen Feiern etwas stärker erfahrbar wird – bei aller Deutungsoffenheit. Das lässt sich jetzt nicht in Patentrezepte für die Messe übersetzen, aber ich glaube doch, dass die Eucharistiefeier als Hochkultur stärker herausfordert, viele Teilnehmenden sogar überfordert. Das, glaube ich, könnten diese anderen Feiern uns bewusst machen. 

Das Interview führte Mathias Peter. 

Liturgie

Liturgie bezeichnet im Christentum und Judentum das Verständnis und die Ordnung der Zeremonien des Gottesdienstes. Der Begriff stammt aus dem Griechischen und bedeutet wörtlich übersetzt öffentlicher Dienst. Neben der Heiligen Messe gehören dazu beispielsweise Taufe, Trauung oder Bestattung. Die Formen, Regeln und Vorschriften der römischen Liturgie haben sich im Lauf der Jahrhunderte verändert; grundsätzlich legt der Papst sie fest. Dazu zählen etwa die Vorgabe bestimmter Gebete oder Regeln zum Ablauf des Gottesdienstes sowie Form und Farbe von Messgewändern.

Hochgebet auf deutsch / © Harald Oppitz (KNA)
Hochgebet auf deutsch / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
DR