Vertrauen in die Verfolgung von Antisemitismus stärken

Manchmal nur die "Spitze des Eisberges"

Die Angriffe auf Menschen jüdischen Glaubens reißen nicht ab. Wie also das Vertrauen der jüdischen Community in die Strafverfolgung stärken? Die Beauftragte für Antisemitismus der Generalstaatsantwaltschaft Berlin hat einen Plan.

Autor/in:
Von Leticia Witte
Menschen jüdischen Glaubens fehle es an Vertrauen in die Strafverfolgung / © Sebboy12 (shutterstock)
Menschen jüdischen Glaubens fehle es an Vertrauen in die Strafverfolgung / © Sebboy12 ( shutterstock )

Ihr Amtsantritt war eine Premiere: Als Claudia Vanoni 2018 Antisemitismusbeauftragte der Generalstaatsanwaltschaft Berlin wurde, war sie bundesweit die erste dieser Art. "Mein Ziel ist es, das Vertrauen der jüdischen Gemeinschaft in die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden zu stärken", formulierte sie damals als eine Stoßrichtung ihrer Arbeit. Die andere: Fortbildungsmaßnahmen für Mitarbeitende der Strafverfolgungsbehörden - auch, um sie für die Belange und Perspektive von Betroffenen antisemitischer Straftaten und Vorfälle zu sensibilisieren. Denn da gibt es durchaus den ein oder anderen Fallstrick.

Antisemitische Motive nicht sofort erkennbar

Das Problem, so erklärt Vanoni: Nicht immer ist das antisemitische Motiv einer Straftat sofort erkennbar. Ein solches Motiv ist jedoch im Fall einer Verurteilung strafverschärfend zu berücksichtigen, weswegen es eben wichtig ist, dass Ermittler, Staatsanwälte und Richter das Motiv frühzeitig erkennen. Damit das besser klappt, haben Polizei und Generalstaatsanwaltschaft in der Bundeshauptstadt jüngst einen Leitfaden zum Vorgehen gegen Antisemitismus erstellt - damit ist Vanonis Zielvorstellung nun zu einer konkreten Handlungsanleitung geronnen. Quasi ein Vademecum zum Erkennen der vielfältigen Facetten von Judenhass und zur Förderung der Sensibilität.

Standards bei der Bearbeitung

Festgehalten sind in dem Dokument Kriterien, die "dringend" bei Ermittlungen berücksichtigt werden müssten, so Vanoni. So würden etwa die Standards bei der Bearbeitung von Verfahren mit antisemitischem Hintergrund, wie sie bei Staatsanwaltschaft und Polizei in Berlin weiterentwickelt worden seien, festgeschrieben. Zudem liegt ein Fokus auf der Perspektive von Betroffenen.

Schutz- und Informationsbedürfnisse

Diese sei ein wichtiges Kriterium für die Einordnung einer Tat als antisemitisch motiviert. "Es geht uns aber ebenfalls darum, dass ihre Schutz- und Informationsbedürfnisse angemessen berücksichtigt werden", betont Vanoni. Betroffene bekämen daher zum Beispiel vom Landeskriminalamt eine Liste mit Fachberatungsstellen. Zudem werde auf transparenten Informationsfluss zum weiteren Verfahren gesetzt. Sollte ein Ermittlungsverfahren eingestellt werden, würden die Gründe dafür "nachvollziehbar und empathisch" dargelegt.

Dass es an all dem in der Praxis noch durchaus hapern kann, legte Vanoni in der vergangenen Woche in einem Pressegespräch dar. Anlass war eine Recherche des Mediendienstes Integration, wonach die Finanzierung von Sicherheitsmaßnahmen an Synagogen und anderen jüdischen Einrichtungen in den Bundesländern unterschiedlich ausfällt. Demnach stehen Berlin, Nordrhein-Westfalen und Bayern gut da, denn diese Länder hätten das Thema Sicherheit nicht erst seit dem Anschlag auf die Synagoge von Halle am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur am 9. Oktober 2019 auf dem Schirm.

Betroffene ernst nehmen

Damit Menschen jüdischen Glaubens jedoch Strafverfolgungsbehörden vertrauten, sei es ganz wichtig, Betroffene von Straftaten ernst zu nehmen - auch in der ersten Einschätzung, dass etwa ein Übergriff oder eine Drohung antisemitisch motiviert gewesen sei, betonte Vanoni bei der Vorstellung der Recherche. Für sie ist ganz klar: "Wir müssen das Vertrauen aufbauen."

In der Ausbildung von Rechtsreferendaren werde Antisemitismus meist im Zusammenhang mit der NS-Geschichte behandelt, erläuterte die Oberstaatsanwältin. Sie selbst plane in Fortbildungen, einen Fokus auf heutige Formen von Judenhass zu legen. Es sei notwendig, Antisemitismus in seinen unterschiedlichen Erscheinungsformen zu kennen und zu wissen, was heute auf diesem Feld passiere - auch dies im Sinne des Aufbaus von Vertrauen aufseiten der jüdischen Community.

In 80 Prozent der Fälle keine Strafanzeige

In Berlin wurden Vanoni zufolge im Jahr 2020 fast 360 antisemitische Straftaten erfasst - im Durchschnitt also etwa ein Delikt pro Tag. Zugleich offenbarten Studien, dass fast 80 Prozent der Betroffenen keine Strafanzeige erstatten, selbst im Fall von schweren Straftaten nicht. Daher bekämen Ermittler oft auch nur die "Spitze des Eisberges" auf diese Weise zu Gesicht.


Quelle:
KNA