Mehrstündige Feuerpause in Ost-Ghuta vereinbart

"Keine Anzeichen für ein Schweigen der Waffen"

Über Tage erlebte Ost-Ghuta die schlimmste Angriffswelle seit Beginn des syrischen Bürgerkriegs. Nun ist eine Waffenpause ausgehandelt. Erhalten die notleidenden Menschen dort jetzt die dringend benötigte Hilfe?

In Syrien schweigen (weitestgehend) die Waffen / © Yahya Arhab (dpa)
In Syrien schweigen (weitestgehend) die Waffen / © Yahya Arhab ( dpa )

Trotz einer vereinbarten Waffenruhe dauert die Gewalt in dem syrischen Rebellengebiet Ost-Ghuta den UN zufolge an. Es gebe keine Anzeichen für ein Schweigen der Waffen, erklärte der Sprecher des UN-Büros zur Koordinierung humanitärer Hilfe (Ocha), Jens Laerke, am Dienstag in Genf. Die Lage sei "düster".

So lange die Gewalt anhalte, könnten die UN und ihre Partnerorganisationen keine Lebensmittel, Medikamente und andere Hilfsgüter zu den knapp 400.000 Zivilisten im belagerten Ost-Ghuta liefern, sagte Laerke. Zudem sei es unmöglich mit der Evakuierung Hunderter Kranker und Verletzter zu starten. Demnach feuern Assad-Einheiten auf Ost-Ghuta und Aufständische nehmen aus Ost-Ghuta heraus die Hauptstadt Damaskus unter Feuer.

Hoffen auf 30 Tage Waffenruhe

Laerke wollte sich nicht dazu äußern, ob die von Russland angekündigte fünfstündige Feuerpause von 8.00 Uhr bis 13.00 Uhr ausreiche, um Hilfslieferungen zu organisieren. Die UN erwarteten vielmehr, dass die vereinbarte Waffenruhe von 30 Tagen für ganz Syrien so schnell wie möglich beginne. Der UN-Sicherheitsrat hatte sich am Samstag nach langem Widerstand Russlands auf eine entsprechende Feuerpause geeinigt. Die Zeit soll dafür genutzt werden, die eingekesselten Menschen zu versorgen und Kranke und Verletzte zu evakuieren.

Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte meldete am Dienstag vereinzelte Verstöße. Ein Hubschrauber habe zwei Fassbomben abgeworfen, in einigen Orten seien zudem Granaten eingeschlagen. Auch Aktivsten meldeten gelegentlichen Beschuss mit Artillerie. Die Lage sei aber besser als zuvor.

Das syrische Staatsfernsehen berichtete zudem, "Terrorgruppen" hätten fünf Granaten auf einen Korridor gefeuert, durch den Zivilisten das belagerte Gebiet verlassen sollten. Aus Kreisen der syrischen Armee hieß es, dabei seien fünf Soldaten verletzt worden. Die Angaben ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen.

Hilfslieferungen sollen ankommen

Die Feuerpause soll Hilfslieferungen für die notleidenden Menschen in der belagerten Region ermöglichen. Außerdem sollen Zivilisten das Gebiet verlassen können. In Ost-Ghuta sind rund 400 000 Menschen fast vollständig von der Außenwelt abgeschnitten. Die humanitäre Lage ist dramatisch. Es mangelt dort akut an Nahrung, Strom, Medikamenten und anderen medizinischen Gütern. "Es fehlt inzwischen an allem", sagte der Leiter des Bereichs Internationale Zusammenarbeit beim
Deutschen Roten Kreuz, Christof Johnen, dem Bayerischen Rundfunk.

Nach Angaben des syrischen Staatsfernsehens errichtete die Regierung sichere Korridore für Zivilisten aus Ost-Ghuta. Eine internationale Hilfsorganisation, die ungenannt bleiben wollte, konnte diese Angabe jedoch nicht bestätigen. Sie sei nur aus den Medien über die Korridore informiert worden, erklärte sie.

Die Waffenruhe geht auf eine Anordnung des russischen Präsidenten Wladimir Putin zurück, wie das Verteidigungsministerium in Moskau erklärt hatte. Die Feuerpause soll auch in den nächsten Tagen zwischen 9.00 und 14.00 Uhr (Ortszeit - 8.00 bis 13.00 Uhr MEZ) gelten. Russland ist einer der wichtigsten Verbündeten der syrischen Regierung und beteiligt sich mit der Luftwaffe am Bürgerkrieg.

Feuerpause zu kurz

Kritiker bemängeln, die fünfstündige Feuerpause sei viel zu kurz. "Wer das vorgeschlagen hat, ist ein Folterexperte", erklärte Mohammed Katub von der Hilfsorganisation Syrian American Medical Society (SAMS) über Twitter. "Es ist, als halte man das Opfer am Leben, um ihm noch mehr Schmerzen zu bereiten."

Der lokale Rat von Ost-Ghuta nannte das Angebot eines Abzugs von Zivilisten eine "Zwangsvertreibung". Die Menschen hätten nur die Wahl, unter der Bombardierung zu sterben oder ihr Land zu verlassen. Auch der Chefunterhändler der syrischen Opposition, Nasr al-Hariri, erklärte, mit der Feuerpause solle die Demografie in Ost-Ghuta verändert werden. Das sei inakzeptabel. Oppositionssprecher Ahmed Ramadan bezeichnete die Feuerpause als einen "Putsch" gegen die am Samstag verabschiedete Resolution des UN-Sicherheitsrates.

In den vergangenen Tagen war die Forderung des UN-Sicherheitsrates nach einer 30 Tage langen Waffenruhe in Syrien wirkungslos geblieben. Ost-Ghuta hatte in den vergangenen neun Tagen die schlimmste Angriffswelle der Regierung seit Beginn des Bürgerkriegs vor fast sieben Jahren erlebt. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte meldete, mehr als 560 Zivilisten seien getötet worden.

Die Lage in Ost-Ghuta erinnert an den monatelangen Kampf um den von Rebellen kontrollierten Osten der Großstadt Aleppo im Norden Syriens. Auch dort sollten Ende 2016 Zivilisten das umkämpfte Gebiet über Fluchtkorridore verlassen können. Allerdings machten davon nur wenige Menschen Gebrauch. Die Regierung warf damals Terrorgruppen vor, sie hätten auf die Korridore geschossen. Regierungsgegner erklärten hingegen, die Mehrheit der Menschen wolle die Gebiete der Opposition aus Angst vor Verfolgung durch das Regime nicht verlassen.


Quelle:
dpa , epd