Die Menschen werden durch die weltweiten Krisen nach Worten des Historikers Tillmann Bendikowski wieder abergläubischer. "Die Attraktivität des magischen Denkens verläuft in Zyklen und ist verbunden mit Situationen kollektiver Angst. Der Aberglaube floriert immer dann, wenn die Angst vor Krisen wie Kriegen oder Seuchen groß ist", sagte Bendikowski im Interview der "Zeit"-Beilage "Christ und Welt".
Unter "magischem Denken" versteht der Autor ("Hitlerwetter", "Himmel hilf") demnach die Vorstellung "dass hinter unserer Welt eine weitere Welt existiert, in der Mächte wirken, die uns beeinflussen, auf die wir aber wiederum auch Einfluss haben". Wie weit verbreitet dieser Aberglaube in Krisenzeiten noch sein könne, habe etwa die Corona-Pandemie gezeigt, insbesondere bei den Protesten. "Seriöse Wissenschaft wird diskreditiert, Impfstoffe werden verteufelt, es gibt Verschwörungstheorien. In all diesen Überzeugungen bricht sich das magische Denken Bahn", erklärt Bendikowski. Dabei sei Aberglaube nicht als solcher gefährlich; es komme auf die Dosis an, warnte der Historiker. "Und gerade leben wir in einer Zeit, in der wir die Dosis ganz genau im Blick haben sollten."
Glaube gegen Aberglaube
Laut Bendikowski, der nach eigenen Angaben der katholischen Kirche angehört, gibt es zudem deutliche Unterschiede zwischen Aberglaube und dem Glauben, für den die Kirchen stehen. Beide funktionierten als Sicherheitstechniken zwar ähnlich. Die Kirchen böten den Menschen jedoch eine «Organisationsform» sowie durch Priester ein professionelles Personal und eine Gemeinschaft der Gläubigen. "Alles das hat der Aberglauben nicht, aber gerade das macht ihn hochattraktiv." Jeder habe die Möglichkeit, auf seine Weise mitzuwirken. "Ich selbst kann morgen aufstehen und gegen die drohende Viehseuche ein magisches Zeichen an den Stall zeichnen. Dazu brauche ich nicht die Zustimmung eines geweihten Priesters."