DOMRADIO.DE: Es wird gerade über die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht diskutiert. Klären wir doch erst einmal kurz die Begrifflichkeiten. Was ist denn der Unterschied zwischen einer Dienstpflicht und einer Wehrpflicht?
Monsignore Reinhold Bartmann (Militärgeneralvikar/ Leiter des Katholischen Militärbischofsamtes): Wie der Name schon sagt, gab es ja Wehrpflichtige in der Bundeswehr, damit sie rechtlich abgesichert im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung Wehrdienst leisten, also Dienst an der Waffe in der Bundeswehr. Wer das damals, als die Wehrpflicht nicht ausgesetzt war, nicht tun wollte, hatte ja die Möglichkeit, den Zivildienst zu leisten, also einen Dienst im sozialen, im gesundheitlichen oder karitativen Bereich. Das war für alle jungen Männer grundsätzlich verpflichtend, wenn sie körperlich geeignet waren.
Eine allgemeine Dienstpflicht, wie sie heute diskutiert wird, umfasst ja mehr. Es ist eine Verpflichtung für junge Menschen für unsere Gesellschaft, in unterschiedlichsten Bereichen, sei es sozial oder karitativ, im ökologischen oder gesundheitlichen Bereich oder auch – wenn sie es wollen – im Bereich der Bundeswehr einen verpflichtenden Dienst zu leisten.
DOMRADIO.DE: Die Mehrheit der Deutschen ist gegen eine allgemeine Dienstpflicht. Aber es gibt natürlich auch viele Argumente dafür, zum Beispiel Fachkräftemangel oder der Krieg in der Ukraine. Glauben Sie, wir sollten tatsächlich wieder mehr über den Pflichtdienst sprechen?
Bartmann: Grundsätzlich halte ich die Diskussion, die jetzt in den letzten Wochen und Monaten wieder auch von prominenter Seite aufgeworfen wurde, für sinnvoll. Allerdings halte ich es für eine Pflicht mit vielen Fragezeichen versehen, die geklärt werden müssen. Dies müsste geklärt werden, bevor man darüber entscheidet. Es bräuchte dazu einen politischen und breiten gesellschaftlichen Konsens. Grundsätzlich ist es mit einer Pflicht schwer, denn diese müsste ja auch allen rechtlichen Prüfungen standhalten.
DOMRADIO.DE: Meinen Sie, wir wären moralisch verpflichtet, uns für die Allgemeinheit mehr einzusetzen?
Bartmann: Ob es eine moralische Verpflichtung gibt, kann ich nicht sagen. Es müsste dann so sein, dass junge Menschen, seien es Männer oder Frauen, aufgrund ihrer Vernunft, ihrer Überlegungen zu der Entscheidung kommen, unserer und ihrer Gesellschaft etwas zurückzugeben, in welcher Form das auch immer geschieht.
Wir haben ja auch genügend Beispiele von jungen Menschen, Männern und Frauen, die sich ehrenamtlich engagieren und so unserem Land auch jetzt schon etwas zurückgeben, weil sie es für sich selber als vernünftig, gerechtfertigt und angemessen halten. Dies allerdings in eine Pflicht zu gießen, halte ich für mit vielen Fragezeichen versehen und die müssen erst einmal geklärt werden, ob sie dann auch rechtlich so durchsetzbar sind. Eine moralische Pflicht oder eine ethische Verpflichtung rechtlich zu fassen und dann durchzusetzen, halte ich für sehr schwierig.
DOMRADIO.DE: Diskutiert wird ja auch eine allgemeine Dienstpflicht für Senioren. Wir nehmen ja bislang immer an, junge Menschen müssen sich einsetzen. Aber was sagen Sie denn? Könnten die sich nicht auch mehr einsetzen, zum Beispiel in Kindergärten oder in Altenheimen?
Bartmann: Ich denke, auch hier gilt Freiwilligkeit. Wenn ältere Mitbürgerinnen und Mitbürger sich aufgrund ihrer Lebenserfahrung, ihrer Kenntnisse, ihrer Fähigkeiten und natürlich auch noch ihrer körperlichen Möglichkeiten für die Gesellschaft einsetzen, dann ist das zu begrüßen, dann ist das auch zu fördern. Aber verpflichtend so etwas einzuführen, ist schwer.
DOMRADIO.DE: Stichwort Fachkräftemangel: Die Bundeswehr und auch Pflegeeinrichtungen konkurrieren ja auf dem freien Arbeitsmarkt. Sie sagen jetzt, Pflichtdienst ist der falsche Weg. Aber wie kann denn die Bundeswehr ansonsten an genügend Nachwuchs kommen?
Bartmann: Ich denke, es ist richtig, dass die Bundeswehr mit anderen Arbeitgebern konkurriert. Sie muss sich konkurrenzfähig auf dem Arbeitsmarkt präsentieren. Ich glaube aber, dass eine Pflicht der falsche Weg wäre. Gerade wenn man bedenkt, wie komplex, wie vielfältig und wie hochqualifiziert unsere Soldatinnen und Soldaten heute ihren Dienst tun müssen.
Unbestritten war es natürlich für die Bundeswehr lange Zeit eine gute Möglichkeit, junge Leute zu finden mit ihren Fähigkeiten, um sie dann nach der Wehrpflicht über die Wehrpflicht zur Verpflichtung als Soldat auf Zeit oder eben sogar zum Berufssoldaten zu animieren oder zu gewinnen.
DOMRADIO.DE: Und wenn wir das Feld jetzt noch mal weiter fassen, meinen Sie nicht doch, dass ein Pflichtdienst die Gesellschaft vielleicht sogar näher zusammenrücken lassen könnte, wenn jeder sich für irgendwas einsetzt?
Bartmann: Ich denke, die Pflicht ist hier die Hürde. Für unsere Gesellschaft wäre es sicherlich sehr positiv. Wenn die Vernunft der Einzelnen, die Einsicht, dass der Dienst für die Gesellschaft etwas Wichtiges ist, sich durchsetzen würde, wäre uns mehr geholfen. Bei einer Pflicht haben sie immer auch den Zwang im Hintergrund. Und das sehe ich als Problem an.
Das Interview führte Heike Sicconi.