Missbrauchsopfer fordern "angemessene Entschädigung" von Kirche

Keine Einrede der Verjährung

Vor 15 Jahren wurden am Berliner Canisius-Kolleg viele Fälle von Missbrauch publik. Das löste einen bundesweiten Missbrauchsskandal aus. Betroffene fühlen sich nicht angemessen entschädigt und wenden sich an Abgeordnete.

Autor/in:
Stefan Meetschen und Birgit Wilke
Symbolbild: Geld überreichen / © Ponderful Pictures (shutterstock)
Symbolbild: Geld überreichen / © Ponderful Pictures ( shutterstock )

Der Sprecher der Betroffenen-Initiative Eckiger Tisch, Matthias Katsch, hat in einem Brief an die Bundestagsabgeordneten eine "angemessene Entschädigung" von Missbrauchsopfern der katholischen Kirche gefordert. In dem Brief, der der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) vorliegt, heißt es, auch 15 Jahre nach Bekanntwerden des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche fehle bis heute eine umfassende Aufarbeitung von Ursachen und Gründen dafür, dass über Jahrzehnte Missbrauchstäter im Raum der Kirche geschützt und die Opfer missachtet worden seien.

Das sei aus rechtsstaatlicher Sicht und Gründen der historischen Gerechtigkeit zutiefst bedauerlich, heißt es weiter. Für die Opfer dieser Verbrechen sei es aber fatal. Konkret fordern die Betroffenen, eine vorübergehende Aussetzung der Verjährung bei Schmerzensgeldprozessen sowie einen Entschädigungsfonds für die Opfer von sexuellem Missbrauch in katholischen Einrichtungen. Der Staat müsse sich stärker für die Belange der Betroffenen einsetzen.

Debatten um Anerkennungsleistungen

Im Januar 2010 waren am Canisius-Kolleg in Berlin zahlreiche Missbrauchsfälle publik geworden. Das löste in der Folge einen bundesweiten Missbrauchsskandal in zahlreichen kirchlichen, aber auch anderen Einrichtungen aus. Seitdem wird auch immer wieder über die Höhe der Entschädigungen oder Anerkennungsleistungen für die Opfer diskutiert. Betroffene von Jesuitenschulen hatten 2010 die Initiative Eckiger Tisch gegründet.

Der Eckige Tisch fordert die Abgeordneten in dem Brief auf, sich dafür einzusetzen, dass "die katholischen Bischöfe einsehen, dass sie sich nicht hinter dem Rechtsstaat verstecken dürfen, wenn sie nicht den letzten Rest an Glaubwürdigkeit verspielen wollen".

Studie und gemeinsame Erklärung

Die katholische Kirche hatte in der Folge eine Studie über Missbrauch in ihren Reihen in Auftrag gegeben und diese 2018 veröffentlicht. Zusammen mit dem damaligen Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, unterzeichneten der damalige Missbrauchsbeauftragte der Bischofskonferenz, Bischof Stephan Ackermann, 2020 eine gemeinsame Erklärung zur Aufarbeitung von Missbrauch.

Auch Zahlungen zur Anerkennung des erlittenen Leids wurden geleistet. So erhielten Betroffene von Missbrauch in der katholischen Kirche in den vergangenen Jahren über die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung im Schnitt 22.150 Euro. In etwa 1,3 Prozent der Fällen erhielten Betroffene über 100.000 Euro.

"Es wird nie reichen"

Zudem gab es in jüngster Zeit mehrere Zivilprozesse, in denen Missbrauchsopfer die Kirche auf Schmerzensgeld verklagten. Im Juni 2023 hatte das Kölner Landgericht in einer ersten solchen Klage entschieden, dass das Erzbistum Köln 300.000 Euro an einen Betroffenen zahlen musste. Nach dem wegweisenden Urteil folgten bundesweit weitere ähnliche Klagen. In einigen Fällen machten die Bistümer von der Möglichkeit der Aussetzung der Verjährungsfristen in Schmerzensgeldprozessen Gebrauch.

Zur Schwierigkeit, den erlittenen Schaden mit Geld zu begleichen, sagte der Generalvikar des Erzbistums Berlin, Pater Manfred Kollig, am Freitag im "Deutschlandfunk": "Es wird nie reichen. Das ist für mich immer sehr schwierig, das Geld und den Schaden an der Stelle, wenn es um die Menschen geht, in eine Balance zu bringen."

Zahlungsmodell

Der Jesuiten-Pater Klaus Mertes, der als damaliger Schulleiter des Canisius-Kollegs mit einem Brief an die Betroffenen den Missbrauchs-Skandal im Jahr 2010 öffentlich machte, sprach sich mit Blick auf die Anerkennungsleistungen dafür aus, sich an Entschädigungsverfahren in Österreich zu orientieren.

Die dortige Kommission entwickelte ein vierstufiges Zahlungsmodell, mit dem sexueller Missbrauch sowie Fälle von körperlicher oder emotionaler Gewalt entschädigt werden sollen. Stufe eins entspricht einer Zahlung von 5.000 Euro, Stufe zwei 15.000 Euro, Stufe drei 25.000 Euro, Stufe vier betrifft "darüber hinaus gehende finanzielle Hilfestellungen in besonders extremen Einzelfällen".

Kirche will Missbrauchsfälle auch mit Politik aufarbeiten

Die katholische Kirche in Deutschland will ihre Missbrauchsaufarbeitung verbessern - auch mit Hilfe der Politik. Der Missbrauchsbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Helmut Dieser, warb für eine politische Beteiligung am geplanten Expertenrat. Auch eine Mitwirkung von Vertretern von Parteien oder Parlamenten sei denkbar: "Wir haben da keine Ablehnung, sondern wir sind offen dafür, darüber genau nachzudenken."

Symbolbild Missbrauch in der Kirche / © udra11 (shutterstock)
Symbolbild Missbrauch in der Kirche / © udra11 ( shutterstock )
Quelle:
KNA