DOMRADIO.DE: Sie vergleichen Moore mit dem Menschen. Der Mensch wird gezeugt. Moore etwa auch?
Swantje Furtak (Moorjournalistin und Co-Autorin von "Moore sind wie Menschen, nur nasser"): Ja. Ich habe das Buch zusammen mit meinem Moor-Professor geschrieben. Und im Gespräch haben wir gemeinsam überlegt, ob Moore auch irgendwann geboren worden sind. Und ja, sie wachsen auf und kommen auch in die Pubertät und werden dann irgendwann erwachsen. So haben wir im Buch dieses Leben des Moores nachgezeichnet. Ein Ökosystem war auch mal ein Ökosystemchen und wurde von daher geboren.
DOMRADIO.DE: Viele haben wahrscheinlich noch kein Moore ganz bewusst gesehen. Wie können wir das einfach definieren? Überall, wo Wasser in der Natur steht, könnte ein Moore sein?
Furtak: Es ist ein bisschen komplizierter, aber auch kein Wunder, wenn man noch kein Moor gesehen hat. Denn in Deutschland sind ganz viele Moore genutzt und man sieht es ihnen gar nicht mehr so an.
Aber klar, für die Definition braucht man erst mal ein Land, das dauerhaft nass ist, weil das Wasser von unten kommt. Oder es ist Land, wo es sehr viel drauf regnet. Dort wachsen Pflanzen, die dann aber, wenn sie sterben, nicht abgebaut werden, sondern in diesem Wasser konserviert werden. Wie saure Gurken in einem Glas mit saurem Wasser. Wenn diese toten Pflanzenreste konserviert werden, nennt sich das Torf. Und wenn man eine Schicht von 30 Zentimetern hat, dann heißt es in Deutschland Moor.
DOMRADIO.DE: In dem Moor wird Torf abgebaut, landet unter anderem auch in unserer billigen Blumenerde. Ich habe in Ihrem Buch gelesen, dass man Torf auch schmecken kann?
Furtak: Man kann es über den Geschmack sehr gut testen. Also wir Moorforscher nehmen gerne Bohrkerne und fühlen so zwischen den Zähnen, ob wir Sandkörner spüren. Denn wenn wir Sandkörner spüren, dann bedeutet das, dass das Moor zu trocken ist und dass es sich schon so langsam abbaut. Wenn man aber wirklich noch diese Pflanzenfasern zwischen den Zähnen spürt, vielleicht riecht das auch so ein bisschen nach Schwefel, dann weiß man, dass das Moor noch gut lecker nass ist (lacht).
DOMRADIO.DE: Aber lecker ist es doch nicht?
Furtak: (Lacht). Ich muss jetzt aufpassen, dass ich danach nicht Ärger kriege. Aber... Also ich habe gerne Torf im Mund.
DOMRADIO.DE: Kommen wir zu einem düsteren Kapitel: Moorleichen. Es heißt immer, das Moor verschlucke Menschen?
Furtak: Es gab jetzt vor kurzem erst eine Studie, in der sie sich alle 2000 in Europa gefundenen Moorleichen angeguckt haben und festgestellt haben, dass es eigentlich gar kein richtig gut belegtes Beispiel gibt, in dem jetzt ein Moor wirklich einen Menschen verschluckt hat, sondern dass die meisten Menschen dort reingesteckt wurden. Das können zum Beispiel rituelle Opfer gewesen sein oder verstorbene Personen, die nicht auf konventionelle Friedhöfe durften.
Eigentlich versinkt man im Moor nicht, außer man stellt sich sehr ungeschickt an, aber man würde ja jetzt auch nicht einfach in den See reinlaufen, ohne schwimmen zu können.
DOMRADIO.DE: In einem Kapitel sagen Sie, die Arche Noah war nicht aus Holz gezimmert, sondern aus Moorpflanzen?
Furtak: Ja, das haben eben in unserer Recherche rausgefunden. Wir haben einen Vortrag von Irving Finkel gehört, der die älteste Version der alttestamentarischen Sintflut gefunden hat.
Darin hieß es: 'Wand, Wand, Schilfwand, Schilfwand. Atrachasis [Protagonist und Titelgeber der babylonischen Sintfluterzählung, Anm. d. Red.], höre auf meinen Rat, damit du ewig leben kannst. Zerstöre dein Haus, baue ein Boot, verschmähe den Besitz und rette das Leben.'
Das Faszinierende daran ist: Warum sollte man sein Haus zerstören, wenn jetzt eine Flut kommt? Das wird ja sowieso dann weggerissen.
Was eine wahrscheinliche Erklärung für den Widerspruch ist, ist, dass das Material, aus dem das Haus gebaut wurde, also Berdi – schmalblättriger Rohrkolben – auch für den Bootsbau genutzt werden konnte. Der Rohrkolben aus dem Moor hat guten Auftrieb. Und damit hat sich Noah dann mit all den Tieren retten können.
DOMRADIO.DE: Also die Arche bestand möglicherweise aus Moorpflanzen.
Und Sie haben noch eine Erkenntnis aus dem Alten Testament. Gott teilte das Rote Meer, um Moses und die Israeliten zu retten. Jedenfalls kommen die Israeliten trockenen Fußes durchs Rote Meer, während die Ägypter, die sie verfolgen, dabei ertrinken. Soweit die Bibel. Was sagen Sie?
Furtak: Wir haben herausgefunden, dass dieses Ereignis auf Hebräisch als Kriat Yam Suph (סוף ים ק) beschrieben wird: Teilung des Schilfmeeres. Wahrscheinlich sind die Israeliten nicht durch das Rote Meer gewandert, sondern einfach durch einen Sumpf aus Papyrus. Und der torfige Schwingrasen, der unter diesem Papyrus liegt, kann Menschen ganz gut tragen. Aber als dann Streitwagen und Pferde der Ägyptern kamen, trugt diese Matte die Masse nicht mehr. Und somit vermuten wir, dass er nicht das Meer teilte, sondern eben einfach Schilf.
DOMRADIO.DE: Interessante Theorie. Genau wissen wir es natürlich nicht.
Lassen Sie uns noch über die 'Moor-al' von der Geschichte sprechen. Um Moore zu schützen, können wir beim Einkauf der Blumenerde darauf achten, dass sie torffrei ist. Aber geht noch mehr?
Furtak: Das ist erst mal schon ein sehr guter Schritt. Man kann noch ganz viele andere Sachen machen.
Wir schreiben auch, dass es auch gut ist, weniger Milchprodukte zu konsumieren, weil auch sehr viele Kühe auf entwässerten Mooren stehen. Oder es ist auch schwierig, Gemüse zu kaufen und frisches Obst, weil Jungpflanzen meist auf Torf gezüchtet werden. Aber das sieht man den Produkten im Supermarkt eben leider nicht an.
Und deshalb gehen wir den Schritt weiter und sagen, man muss einen Beruf für das Moor ergreifen. Das ist eigentlich das Allerbeste. Man kann zum Beispiel als Landwirt oder als Landwirtin seine Landwirtschaft auf nasse Wirtschaft umstellen und nicht mehr weiter auf trockenem Mooren wirtschaften. Oder man kann auch eine Politikerin werden, die vielleicht die Agrarsubventionen umschichtet.
Es ist sehr wichtig, dass das Moor, was sehr lange sehr negativ gesehen wurde, jetzt ein positives Image bekommt. Und da können wir alle mithelfen, indem wir die guten Geschichten vom Moor erzählen und aufhören, das als gruseligen, nebligen Ort zu sehen. Es ist ein sehr schöner Ort, der uns viel geben kann.
Das Interview führte Tobias Fricke.
Das Interview ist Teil des Podcasts Sonntagslicht.