DOMRADIO.DE: Der Pakt heißt offiziell "Globaler Pakt für eine sichere, geordnete und reguläre Migration". Es wäre doch erstrebenswert, wenn dieses Ziel tatsächlich gelingen würde, oder?
Claudia Brinken (Referentin der Abteilung Integration und Migration des Caritasverbands im Erzbistum Köln): Auf jeden Fall. Dieser Pakt ist für uns wirklich etwas Neues. Es ist auch der erste Ansatz, auf dessen Basis die Länder international zusammenzuarbeiten wollen, um gemeinsam gegen irreguläre Migration vorzugehen und Migration sicherer zu machen.
Wir haben große Hoffnung in diesen Pakt, dass in Zukunft Herkunfts-, Transit- und Aufnahmeländer in einen gemeinsamen Prozess einsteigen und vertrauensvoll und langfristig zusammenarbeiten. Ich sehe in diesem Pakt auch eine Aufforderung, aus Migration das Beste zu machen und gemeinsam die Verantwortung zwischen allen Beteiligten zu teilen. Der Pakt beinhaltet außerdem ein symbolisches Bekenntnis, um die Menschenrechte zu verteidigen.
DOMRADIO.DE: 23 Ziele sind in dem Vertrag formuliert - keine Vorschriften oder Gesetze. Der Pakt ist nicht bindend. Welche Vorteile gegenüber der bisherigen Vorgehensweise hat ein solcher Vertrag denn?
Brinken: Eigentlich muss man sagen, dieser Pakt ist längst überfällig gewesen, wenn wir uns die globalen Dimensionen ansehen, die Migration mittlerweile eingenommen hat: Es gab seit dem Zweiten Weltkrieg keine so großen Migrationsströme mehr weltweit. Unsere Erfahrungen in 2015 und 2016 haben ja auch sehr deutlich gezeigt, dass wir grenzübergreifende Phänomene der Migration nicht einzelstaatlich lösen können. Wir haben damals sehr deutlich erlebt, wie die internationale Gemeinschaft quasi hilflos den Migrantenströmen gegenüberstand und nicht recht wusste, wie man damit umzugehen hat. Auch wenn dieser Vertrag sehr unverbindlich scheint, sieht die UN trotzdem die Kraft in diesem Regelwerk, dass die Mitglieder politisch gebunden werden und dass auch ein moralischer Druck auf die Mitglieder entsteht.
DOMRADIO.DE: Es geht darum, mit diesem Vertrag eine Grundlage dafür zu schaffen, dass immer mehr Menschen in würdigen Verhältnissen leben können. Jetzt gibt es auch Stimmen, die davon sprechen, der Migrationspakt sei eine Einladung gerade dazu, dass noch viel mehr Migranten nach Deutschland kämen. Liegt hier ein Missverständnis vor?
Brinken: Ich denke, sie sprechen da unter anderem die AfD an. Natürlich muss man sagen, dass die Formulierungen aus dem UN-Migrationspakt nicht auf politischer Linie der AfD liegen. Was ich sehr bedenklich fand in diesem ganzen Prozess, war, dass die AfD sich als vorbildliche Kritikerin etabliert hat und versucht hat, die Debatte zu bestimmen. Ich denke, wenn man den Pakt genauer liest, muss man sagen, dass die AfD ihre Hausaufgaben nicht gemacht hat. Denn, von all den Vorwürfen, die von der AfD kommen, steht wortwörtlich nichts in diesem Pakt drin.
Die Ängste, die geschürt werden, dass dieser Pakt zu verbindlich ist, sind übertrieben. Wir haben ja schon eine Reihe von verbindlichen Erklärungen: Wir haben die Allgemeine Erklärung zum Schutz der Menschenrechte, wir haben eine Internationale Konvention zum Schutz der Rechte von Wanderarbeitern und Wanderarbeiterinnen. Insoweit wird jetzt kein neues globales Migrationsgesetz aus diesem Pakt entstehen.
DOMRADIO.DE: Die Weltgemeinschaft tut sich derzeit schwer, globale Probleme gemeinsam anzugehen. 28 Länder haben den Pakt abgelehnt, darunter die USA, Österreich und Ungarn. Wie problematisch ist es, dass sich so viele Länder ausklinken?
Brinken: Das Problematische darin ist, dass immer mehr Einzelinteressen im Vordergrund stehen, dass wir eine Rückkehr zum Nationalismus haben und dass globale Abkommen immer schwieriger werden. Es hat auch eine Art Domino-Effekt hervorgerufen, dass einige Regierungen es geschafft haben, Ängste der Bevölkerung zu schüren, indem sie Falschmeldungen verbreitet haben. Der Vatikan hat ja auch gewarnt und kritisiert, die Länder zögen sich aus der Diskussion heraus. Und eigentlich müsse die Politik die Rolle des Vermittlers aufgreifen und nicht dem Versuch eines einfachen Konsenses nachgeben und auf angestammte Ängste setzen. Die Frage ist jetzt: Nutzen die Länder diese Chance zur bilateralen Zusammenarbeit? Und wie wird das tatsächlich in der Umsetzung aussehen?
DOMRADIO.DE: Wie wirkt sich der Migrationspakt denn für Deutschland aus? Noch in Arbeit bei den Vereinten Nationen ist ja ein Flüchtlingspakt - zu unterscheiden von dem Migrationspakt, der jetzt beschlossen wurde. Inwiefern bekommen Migranten, die hier in Deutschland leben, die Konsequenzen denn zu spüren?
Brinken: Der Migrationspakt ist ja ein Kooperationsrahmen zu Migration in allen Dimensionen. Er lässt sich nicht auf das Thema Flüchtlinge und Flucht begrenzen. Spezifische Ziele zum Flüchtlingsschutz werden in dem Flüchtlingspakt beantwortet, der ja noch verhandelt wird. Wenn wir die Menschen in Deutschland anschauen, die Migrationshintergrund haben, gehen wir davon aus, dass dieser Pakt auf sie erst einmal keine konkreten Auswirkungen haben wird.
Die 23 Ziele, die dieser Pakt formuliert, sind in Deutschland weitestgehend gut umgesetzt: Wir wahren die Menschenrechte, wir sichern einen Zugang zu Sozialleistungen, zu Bildungs- und Gesundheitsversorgung, beteiligen uns an Rettungseinsätzen. Ich denke, es geht eher darum, dass in Transitländern Mindeststandards eingeführt werden, dass gegen die Ausbeutung von Arbeitsmigranten vorgegangen wird. Wir erinnern uns an die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar oder an die Olympiade in Russland. Es ist wichtig, den Blick dorthin zu richten.
DOMRADIO.DE: Seitens der Kirchen bzw. der Caritas gibt es Flüchtlingshilfe und Unterstützung für Menschen, die aus den unterschiedlichsten Gründen aus ihrer Heimat zu uns kommen. Welche Auswirkungen hat der Migrationspakt auf solche konkreten Hilfsmaßnahmen, wenn er jetzt in Kraft tritt?
Brinken: Wir von der Caritas beziehen ja immer wieder Stellung in der Migrationspolitik. Man muss dazu sagen, dass wir nicht immer eins sind mit der politischen Linie - etwa, wenn wir den Blick auf Ankerzentren richten. Wir sagen auch, dass dieser Pakt nicht viel an der politischen Gestaltung in Deutschland ändern wird. Trotz allem sehen wir auch Vorteile, wenn wir auf's Ausland schauen, auf unsere Auslandshilfe, auf die Entwicklungszusammenarbeit. Ich denke, da werden wir von den Zielen profitieren, die im Pakt angegangen werden - der Bewältigung und Minderung von prekären Situationen, der Bekämpfung von Fluchtursachen und der Bekämpfung von Schleuserkriminalität. Auch wenn die Zusammenarbeit mit den Konsulaten besser wird, wird die Flüchtlingshilfe davon profitieren.
Das Interview führte Katharina Geiger.