Moraltheologe untersucht KI auf ethische Prinzipien

Ist menschliche Zuwendung ersetzbar?

Der Bund Katholischer Unternehmer befasst sich auf der Frühjahrstagung in Köln mit Künstlicher Intelligenz. Der Paderborner Moraltheologe Peter Schallenberg nimmt an einem Podium teil. Rüttelt die KI an den ethischen Prinzipien?

Symbolbild Mensch und Künstliche Intelligenz / © Miriam Doerr Martin Frommherz (shutterstock)
Symbolbild Mensch und Künstliche Intelligenz / © Miriam Doerr Martin Frommherz ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Künstliche Intelligenz ist ein sehr weiter Begriff. Wir würden Sie KI kompakt definieren? 

Prof. Dr. Peter Schallenberg (Professor für Moraltheologie und Ethik an der Theologischen Fakultät Paderborn): Künstliche Intelligenz ist die Simulation von menschlichem Urteilen, Abwägen und Entscheiden. Es handelt sich also um ein ethisches Phänomen.

Peter Schallenberg, Moraltheologe an der Theologischen Fakultät Paderborn / © KSZ (KNA)
Peter Schallenberg, Moraltheologe an der Theologischen Fakultät Paderborn / © KSZ ( KNA )

DOMRADIO.DE: Könnte Künstliche Intelligenz eine Sonntagspredigt schreiben? 

Schallenberg: Das könnte sie machen. Das ist nun allerdings – bei aller Wertschätzung von Predigten – das Harmloseste, was künstliche Intelligenz machen könnte. Die Studenten arbeiten heutzutage schon mit ChatGPT. In vielerlei Hinsicht werden Essays und Seminararbeiten so geschrieben.

In einer Vorlesung habe ich darauf hingewiesen, dass die Studenten gerne ihre Essays mit ChatGPT schreiben können. Das fällt meistens sowieso auf. 

Kreativität kann aber nicht durch Künstliche Intelligenz ersetzt werden. Man kann sich gerne durch ChatGPT inspirieren lassen, wie durch ein Gedicht von Goethe, Schiller oder Heine.

Aber Intelligenz wird immer auch von Kreativität abhängen. Das ist ein entscheidender Punkt. 

Und dann müsste man noch mal näher auf das Neuland schauen, das wir auch aus ethischem Blickwinkel aus betrachten müssen, beispielsweise in Bezug auf die Frage von Handeln in sehr kurzer Zeit im medizinischem Bereich. Da sind eindeutig die Grenzen der Künstlichen Intelligenz. 

Peter Schallenberg

"Lieben, vergeben, Schuld auf sich nehmen, bereuen. Ist das durch künstliche Intelligenz auch nur annähernd darstellbar?"

DOMRADIO.DE: Rüttelt die KI an unseren ethischen Prinzipien? 

Schallenberg: Nein, das würde ich nicht sagen. Ich sehe das als eine interessante Herausforderung. Es ist erst einmal eine Unterstützung. Wir werden von grundlegenden Tätigkeiten entlastet, schon im Straßenverkehr. Auch das Schleppen von Kursbüchern ist überflüssig. Also einmal wird man in vielfältiger Hinsicht entlastet und unterstützt.

Man ist aber auch in der Lage, nach der humanen Ethik zu schauen. Das hat sehr viel mit unserem Verständnis von Personen zu tun. Da liegt eine große Herausforderung. Möchte jemand lieber vom perfekten Roboter oder vom perfekten Chefarzt operiert werden? Möchte jemand lieber dreimal von einer Roboterpflegemaschine gepflegt werden oder zweimal in der Woche von einem echten Menschen, dessen Laune allerdings variabler ist als die vom Roboter?

Die Ethiker erinnern gerne daran, dass das Wort Person von "personare" kommt, das bedeutet "durchtönen". Man handelt und bringt damit in der Pflege etwas zum Ausdruck, beispielsweise auch Zuwendung.

Viele Bereiche haben nicht einfach nur etwas mit Behaviorismus zu tun, sondern mit einer bestimmten Art und Weise zu lieben, zu vergeben, Schuld auf sich nehmen, zu bereuen. Ist das durch Künstliche Intelligenz auch nur annähernd darstellbar? Ich zweifle. 

DOMRADIO.DE: Die nachwachsende Generation nutzt deutlich öfter das Smartphone als Generationen zuvor. Man gewöhnt sich schon daran, sich mit der Maschine auszutauschen. Wird sich diese Generation im Pflegeheim unkomplizierter und ohne Hemmungen von Robotern bedienen lassen?

Schallenberg: Bis vor fünf Jahren saßen die Menschen noch vor normalen Fernsehern in den Alten- und Pflegeheimen. Das hat sich zu anderen technischen Geräten gewandelt. In den Familien vor sechzig Jahren ging das gar nicht. Da ist man sich auf die Nerven gegangen, weil man keinen Fernseher hatte. Die ethischen Probleme werden nicht größer, sondern verlagern sich. Das Maß des Unglücks ist zu allen Zeiten gleich. 

Peter Schallenberg

"Solange Datensicherheit gewahrt wird, ist es meines Erachtens überhaupt kein Problem im technischen Bereich."

DOMRADIO.DE: Wenn man auf die Entwicklungen in den USA und den führenden Industrienationen blickt, hinken wir da nicht ethisch-moralisch in der Diskussion längst hinterher?

Schallenberg: Südkorea beispielsweise ist eine weit entwickelte Industrienation. Zugleich ist es aber auch ein sehr christlich geprägtes Land. Ich hatte kürzlich die Gelegenheit, mit einigen Koreanern zu sprechen. Ich fragte sie genau diese Frage. Sie lachten. Sie hätten manchmal den Eindruck, dass wir übervorsichtig und überängstlich in Bezug auf die Nutzung von Künstlicher Intelligenz seien.

Auch in technischen Prozessen sind sie progressiver. Sie nutzen die Künstliche Intelligenz ganz ungehemmt, wo es nur geht. Solange Datensicherheit gewahrt wird, ist es im technischen Bereich meines Erachtens überhaupt kein Problem.

Wir haben die Trennung von theoretischer und praktischer Vernunft. Theoretische Vernunft ist all das, was wir normalerweise mit Technik und Empirie bezeichnen. Da kann ich die Künstliche Intelligenz nur begrüßen. Im Bereich der praktischen Vernunft ist es schwieriger. 

DOMRADIO.DE: Wo könnte denn KI in der Kirche noch eine Rolle spielen? Könnte es einen KI-Priester geben? 

Schallenberg: Nein, die menschennahen Tätigkeiten sind durch Künstliche Intelligenz eher weniger zu ersetzen. Man kann sich Hilfestellung geben. Das Thema menschliche Zuwendung ist der eigentliche Kern der Ethik, also die Zuwendung und die Beratung und die Voraussicht und die Kombination von neuen Fakten, das Einspeisen in ein bisher gewohntes Handlungssystem. Das alles ist mit Künstlicher Intelligenz nur am Rande zu bewältigen. 

Das Interview führte Johannes Schröer.

Was ist Künstliche Intelligenz?

Der Begriff Künstliche Intelligenz (KI) wurde vor mehr als 60 Jahren geprägt durch den US-Informatiker John McCarthy. Er stellte einen Antrag für ein Forschungsprojekt zu Maschinen, die Schach spielten, mathematische Probleme lösten und selbstständig lernten. Im Sommer 1956 stellte er seine Erkenntnisse anderen Wissenschaftlern vor. Der britische Mathematiker Alan Turing hatte sechs Jahre zuvor bereits den "Turing Test" entwickelt, der bestimmen kann, ob das Gegenüber ein Mensch ist oder eine Maschine, die sich als Mensch ausgibt.

Symbolbild Künstliche Intelligenz / © maxuser (shutterstock)
Symbolbild Künstliche Intelligenz / © maxuser ( shutterstock )
Quelle:
DR