Münchens Alter Südfriedhof bietet Schatten und Geschichten

Ein sommerlicher Spaziergang

Gerade erst hat die "Süddeutsche Zeitung" die Reize der Isar für München beschrieben: ein sauberer Fluss, in dem man durch den Sommer treiben könne. Wer an heißen Tage Abkühlung sucht, kann das auch ganz woanders tun.

Autor/in:
Joachim Heinz
 © Joachim Heinz (KNA)
© Joachim Heinz ( KNA )

 "Nummer 7 - Spitzweg!" Auf der Infotafel haben die drei Touristen direkt einen alten Bekannten entdeckt. 

Der Künstler Carl Spitzweg (1808-1885) ist nicht der einzige Münchner Promi, der auf dem Alten Südfriedhof beigesetzt wurde. Auf dem knapp sieben Hektar große Areal in der Isarvorstadt liegen Maler neben Fürsten, Dichter neben Denkern, Gelehrte neben Geschäftsleuten.

Hohe Mauern und Zäune schirmen die längst Verblichenen von dem Trubel der Welt da draußen ab. Auf den Straßen rundherum duellieren sich Sportwagenfahrer mit Radlern. Keine zehn Gehminuten entfernt lagern die Massen an den Isarauen, um sich an diesem heißen Sommertag ein wenig zu erfrischen.

Das 19. Jahrhundert wird lebendig

Auf dem Alten Südfriedhof dagegen: Ruhe, ewige Ruhe sozusagen. Alte Bäume spenden Schatten, Hitze und Hektik haben keine Chance. Was die Isar für den Badefreund, ist der Alte Südfriedhof für den Flaneur. Hier schaut ein Greisenkopf ins Nirwana. 

Alter Südfriedhof in München / © Joachim Heinz (KNA)
Alter Südfriedhof in München / © Joachim Heinz ( KNA )

Dort präsentiert der in Stein gehauene Bildhauer Joseph Knabl (1819-1881) in ziemlich lässigem Mantel und ebensolchen Stiefeln eine Madonnenstatue. Vielleicht ein Hinweis darauf, dass der gebürtige Tiroler erster Lehrstuhlinhaber für Christliche Plastik an der Münchner Königlichen Kunstakademie wurde.

Bei einem Rundgang fallen nicht nur die Grabmäler der Upper Class ins Auge. Familie Schmid etwa trauert um die 1890 verstorbene "Aktuars-Gattin" Cäzilia: "Warum bist, gute Mutter, Du gegangen. / Von uns, die wir so treu an Dir gehangen". 

Darüber die Namen von drei Mädchen und einem Jungen. Keines der Kinder wurde älter als vier Jahre. Für einen kurzen Augenblick wird sinnfällig, wie hoch die Kindersterblichkeit noch im 19. Jahrhundert war.

Krach mit der Kirche

Weiter geht es zur letzten Ruhestätte des Theologen Ignaz von Döllinger (1799-1890). Gütig scheint sein gemeißeltes Porträt den Betrachter anzublicken. Vergessen sein erbitterter Kampf gegen die auf dem Ersten Vatikanischen Konzil (1869/70) beschlossene päpstliche Unfehlbarkeit in Fragen von Glauben und Sitte sowie die oberste Leitungsgewalt des Papstes.

Mit der katholischen Kirche rang auch der heute kaum mehr bekannte Dichter Arthur Müller (1828-1873). Sein Lustspiel "Gute Nacht, Hänschen!" rief den Mainzer Bischof Wilhelm Emmanuel von Ketteler auf den Plan. Diese Schlachten sind längst geschlagen. Genauso wie die "Bataille de Hohenlinden", bei der am 3. Dezember 1800 österreichisch-bayerische Truppen gegen die Franzosen den Kürzeren zogen.

Alter Südfriedhof in München / © Joachim Heinz (KNA)
Alter Südfriedhof in München / © Joachim Heinz ( KNA )

Ein wuchtiger, grauer Block erinnert an Louis Bastoul, der sich bei seinem Einsatz in Oberbayern eine schwere Verletzung am Bein zuzog, an deren Folgen er wenige Wochen später in München starb. Angeblich verweigerte der Infanteriegeneral eine Amputation mit den Worten: "Vivre ou mourir, tout entier" ("Leben oder Sterben, immer als Ganzes"). 

Aus anderen Gründen schaudern lässt eine über dem Grabstein angebrachte Plakette. Für die Jahreszahl 1800 steht da "Streit - Not - Leid", das Jahr 2000 firmiert unter "Friede - Freiheit". Derlei Optimismus wirkt momentan mindestens ebenso weit entfernt, wie die Schlacht von Hohenlinden.

Leben und Tod auf engstem Raum

Die Natur lässt sich von solchen Gedanken nicht beirren. Ein emsiges Eichhörnchen macht sich an einer Nuss zu schaffen. Und ignoriert die Jogger, die hier ihre Runden drehen oder die Passanten, die mit Buch oder Zeitung bewaffnet ein schattiges Plätzchen zum Lesen suchen. 

Am Grab des katholischen Publizisten Joseph Görres (1776-1848) müsste dringend das Grün gestutzt werden. Gleiches gilt für den Vater der internationalen Japanforschung Philipp Franz von Siebold (1796-1866). Mit frischem Blumenschmuck kommt dagegen die Ruhestätte des Chemikers Justus von Liebig (1803-1873) daher.

Pflegeleichter gibt sich Leopold von Klenze (1784-1864), der einige von Münchens markantesten Bauten wie die Glyptothek und die Alte Pinakothek schuf. Seine in eine Mauer eingelassene monumentale Grabplatte ist sogar überdacht. 

Grab Georg Brey auf dem Alten Südfriedhof in München / © Joachim Heinz (KNA)
Grab Georg Brey auf dem Alten Südfriedhof in München / © Joachim Heinz ( KNA )

Ein "Nachbar" des Architekten: der 1854 verstorbene "Großbrauer zum Löwenbräu", Georg Brey. Die Bierdynastien Hacker und Pschorr sind - Ehrensache - ebenso vertreten wie der "Dichter der Bayernhymne" Michael Öchsner (1816-1893).

Mit einem Pestfriedhof fing alles an

Dass der Gottesacker eine solche Karriere hinlegen würde, war lange Zeit nicht ausgemacht. Die Geschichte des Alten Südfriedhofs reicht bis ins Jahr 1563 zurück. "Neben den Pestopfern wurden hier vornehmlich arme Personen, gesellschaftliche Außenseiter und Selbstmörder bestattet", informiert Münchens offizielles Stadtportal. "Wer etwas auf sich hielt, ließ sich auf den Kirchhöfen um die großen innerstädtischen Kirchen bestatten."

Ende des 18. Jahrhunderts hätten dann allerdings Mediziner empfohlen, die Kirchhöfe "aufgrund gesundheitsschädlicher Dämpfe und Überfüllung" zu schließen. Zwischen 1788 und 1886 war der Alte Südfriedhof die einzige Begräbnisstätte in München. 

Doch auch hier wurde es allmählich eng. Hinzu kamen Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg. Zum 31. Dezember 1943 stellten die Behörden den Bestattungsbetrieb offiziell ein. Nach dem Krieg begann dann ein neues Kapitel in der Geschichte des Alten Südfriedhofs: als Park und Freilichtmuseum der besonderen Art.

Das Stichwort: Friedhofskultur

Die Friedhofskultur in Deutschland ist seit 2020 "immaterielles Kulturerbe". Auf Empfehlung der Deutschen Unesco-Kommission beschloss die Kultusministerkonferenz im März 2020 die Aufnahme in das bundesweite Kulturerbe-Verzeichnis.

Das immaterielle Erbe Friedhofskultur bezieht sich dabei "auf das, was Menschen auf dem Friedhof tun - trauern, erinnern und gedenken" sowie auf das Gestalten, Pflegen und Bewahren. Es sind also nicht die Friedhöfe selbst, die zum Unesco-Welterbe ernannt wurden, das wäre quasi materielles Erbe.

Friedhof im Frühling / © Harald Oppitz (KNA)
Friedhof im Frühling / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
KNA