Münchner Pfarrer Schießler fordert nach Anschlag mehr Zusammenhalt

"Wir sind eine andere Gesellschaft"

Der Münchner Pfarrer Rainer Maria Schießler plante für diesen Sonntag selbst eine Demonstration als christliches Zeichen der Menschenwürde. Nach dem Anschlag am Donnerstag ist er froh, dass die Kirche diese Menschen nicht vergisst.

Autor/in:
Carsten Döpp
Eine Frau steht vor Blumen, Kerzen und Kuscheltieren, die in der Nähe der Stelle abgelegt worden sind, wo am 13.02.2025 ein Auto in eine Gruppe von Demonstranten gefahren war. / © Pia Bayer (dpa)
Eine Frau steht vor Blumen, Kerzen und Kuscheltieren, die in der Nähe der Stelle abgelegt worden sind, wo am 13.02.2025 ein Auto in eine Gruppe von Demonstranten gefahren war. / © Pia Bayer ( (Link ist extern)dpa )

DOMRADIO.DE: Was haben Sie am Donnerstagmittag gedacht, als Sie von dem Anschlag in Ihrer Heimatstadt hörten? 

Rainer Maria Schießler (Münchner Stadtpfarrer): Ich war in unmittelbarer Nähe. Ich hatte ungefähr 100 Meter entfernt in der Basilika Sankt Bonifaz mit den Benediktinern um 11:00 Uhr ein Requiem. Um 10:45 Uhr begannen die Martinshörner zu ertönen. Immer wieder, ohne Ende. Ich dachte zuerst, dass es wegen der Münchner Sicherheitskonferenz ist, die in unmittelbarer Nähe im Bayrischen Hof tagt. Dazu hinter dem Königsplatz die Verdi-Demonstration. Da dachte ich mit, dass da viel los sein wird.

Aber die Martinshörner hatten nicht mehr aufgehört. Wir hatten keine Ahnung, was los war. Erst nach dem Gottesdienst, eine Stunde später, kam jemand zu mir und wir haben erfahren, was dort los war.

Pfarrer Rainer Maria Schießler gibt sich selbst den dritten Vornamen Bartimäus. / © Dieter Mayr (KNA)
Pfarrer Rainer Maria Schießler gibt sich selbst den dritten Vornamen Bartimäus. / © Dieter Mayr ( (Link ist extern)KNA )

DOMRADIO.DE: Wie erleben Sie München momentan? Vor allem, nachdem bekannt wurde, dass ein Kind und seine Mutter bei diesem Anschlag ums Leben gekommen sind.

Pfarrer Schießler

"Wir werden uns nicht umbiegen. Wir stehen anders zusammen."

Schießler: Mit der Trauer, die danach kommt, kommt diese Fassungslosigkeit. Wir haben das Gefühl, da kommt irgendeine Walze über uns hinweg, irgendein Naturereignis. Dabei ist das alles doch von uns gemacht. 

Es ist menschengemacht. Das ist kein Naturereignis. Dies ist keine Schlechtwetterzone. Dies ist kein Tiefdruckgebiet, sondern das sind Menschen, die sich hier ihr Leben zerstören und damit auch uns.

DOMRADIO.DE: Sie haben für den Mittag zu einer Demo aufgerufen, das Motto "Steh auf - Protest gegen rechts". Das Motto bleibt, aber Sie gehen nicht auf die Straße?

Schießler: Nein. Wir haben zu dieser Demo aufgerufen, im Anschluss an ein gemeinsames Gebet in der Kirche. Schon vor zwei Wochen. Damals war diese große Demo-Veranstaltung auf der Theresienwiese noch gar nicht konzipiert gewesen. Einfach weil wir gesagt haben, wir möchten als Christen etwas tun. Wir möchten als Christen sichtbar sein.

Wir machen nicht Politik, aber wir mischen uns eine Woche vor der Bundestagswahl ein und möchten den Leuten sagen, was unsere Position ist. Wir möchten nicht, dass es wieder heißt, dass sich die Christen weg ducken und Kirche nicht sichtbar ist. Wir möchten, dass man uns wahrnimmt und haben das unter dem Thema "Steh auf" tituliert. Wenn die Erlösung naht, steht auf und erhebt euer Haupt. Lasst euch sehen. Wir wollen jetzt zu sehen sein.

Wir demonstrieren nicht gegen politische Parteien, sondern gegen absolut falsch gerichtete Einstellungen. Nämlich wenn die Menschenwürde verletzt wird, gegen Homophobie, gegen Islamophobie und so weiter. Jetzt ist es so, dass wir am Freitag gesagt haben, auf die Demo verzichten wir. Das Gebet findet statt. Die Leute werden eingeladen. Wir treffen uns in der Kirche, machen miteinander Mittagessen und holen die Leute zusammen, um zusammen zu stehen und sichtbar zu sein, aber wir gehen nicht auf die Straße. Wir wollen die Organisatoren in München entlasten und die Sicherheitskräfte entlasten. Wir wollen auch den Opfern Respekt zollen, die selbst auf einer Demo waren.

DOMRADIO.DE: Die Kirchen insgesamt werben vor der Wahl für Menschenwürde und Zusammenhalt in der Gesellschaft. "Mit Herz und Verstand" ist da das Motto. Warum ist es plötzlich wichtig geworden, dass Kirche politisch die Stimme erhebt und sich einmischt?

Pfarrer Schießler

"Wir müssen als Christen wirkliche, sichtbare und deutliche Zeichen setzen."

Schießler: Die Kirche war eigentlich immer präsent, aber es gab mal ruhigere Fahrwasser. Da war Kirche entweder nicht notwendig oder sie ist halt so mitgelaufen. Ich komme aus Bayern, das kenne ich aus meiner Kindheit. Aber jetzt haben sich die Zeiten geändert. Heute braucht es die Kirchen, die sich vorne hinstellen und die fordert den Menschen nicht zu vergessen.

Wir haben heute eine wunderbare Lesung aus dem Jeremia-Brief. Dort heißt es, dass der, der auf den Herrn vertraut. Der ist wie ein Baum, der am Wasser steht. Das ist unsere Botschaft. Wir sagen den Leuten, dass sie auf den Herrn vertrauen dürfen. Denn Gott selbst ist der Einzige vor dem wir uns verneigen. Das war nie weniger wichtig als jetzt.

DOMRADIO.DE: Solingen, Magdeburg, Aschaffenburg, jetzt München. Diese unfassbaren Gewalttaten reißen nicht ab. Wir selbst können solche Anschläge nicht verhindern. Was ist jetzt unsere Aufgabe?

Schießler: Wir können sie schon verhindern, indem wir eine andere Gesellschaft bleiben und uns nicht umbiegen lassen. Ihr werdet uns nicht zu so einer verbrecherischen, mörderischen Gesellschaft machen. Wir stehen anders zusammen.

Wir stehen vor allem zu den Opfern. Wir setzen Zeichen, dass man füreinander einsteht und in unserem ganz persönlichen Bereich anders miteinander umgeht. Das ist wichtig. Wir müssen als Christen wirkliche, sichtbare und deutliche Zeichen setzen.

DOMRADIO.DE: Ihr Kollege, der Stadtpfarrer in Erding, der ist wegen einer Predigt, in der er sich kritisch zur AfD geäußert hatte, von einem AfD-Anhänger wegen Volksverhetzung und übler Nachrede angezeigt worden. Wie sehr schreckt Sie so was ab?

Schießler: Überhaupt nicht. Ich kenne den Martin Garmaier. Wir haben im Internat studiert und miteinander das Diplom gemacht. Martin ist direkt. Er denkt sich dabei nichts und hat das Herz auf der Zunge. Er hat von Anfang an jede Unterstützung, nicht nur von der Kirche, nicht nur von uns Kollegen, sondern auch von der Politik. Ihm sind Anwälte beigesprungen und haben ihm gesagt, dass das was er gesagt hat nichts mit Volksverhetzung zu tun hat. Das war für ihn ein ganz wichtiges Zeichen.

Das Interview führte Carsten Döpp.

Quelle:
DR

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