KNA: Nach 88 Jahren gibt es in Münster wieder einen Katholikentag. Eine lange Zeit...
Genn: Und es hätte vielleicht sogar noch länger gedauert, wenn Domkapitel und Diözesanrat nicht voll zugestimmt hätten. Ohne dieses Ja hätte ich es nicht gewagt, dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken Münster als Veranstaltungsort anzubieten.
KNA: Welche Erwartungen knüpfen Sie an das Treffen?
Genn: Mit dem Thema Frieden setzen wir genau das richtige Signal in der derzeitigen Weltpolitik. Denken Sie an Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un oder an Syrien. Frieden ist also kein banales Alltagsthema. Vielmehr müssen wir uns damit ernsthaft und nachhaltig beschäftigen.
Wir leben ja in einem Land, in dem es über 70 Jahre keinen Krieg mehr gab. Das kann abstumpfen. Mit dem Katholikentag in der Friedensstadt Münster können wir dazu beitragen, dass die Sensibilität für die Friedensthematik wächst.
KNA: Kann es nach der Todesfahrt Anfang April noch ein fröhlich unbeschwertes Treffen geben?
Genn: Das glaube ich schon. Eine absolute Sicherheit kann es leider nicht geben. Aber wir wollen uns nicht entmutigen lassen. Vor allem darf diese Amokfahrt nicht mit islamistischen Tendenzen in Zusammenhang gebracht werden.
KNA: Der Katholikentag selbst beginnt etwas unfriedlich: Der Auftritt eines AfD-Politikers stößt auf heftigen Protest. Ist es richtig, dass er mitdiskutiert?
Genn: Das halte ich für richtig. Natürlich unterstütze und verstehe ich Forderungen nach einer sehr kritischen Haltung gegenüber der Partei. Aber als Demokraten sollten wir doch einem einzigen AfD-Vertreter die Möglichkeit geben, hier mit zu diskutieren. Das Gespräch über das Verhältnis von Kirche und Staat findet mit den kirchenpolitischen Sprechern aller Bundestagsfraktionen und damit in einem eng gesteckten Rahmen statt. Wäre die AfD nicht im Bundestag, sähe die Frage völlig anders aus.
KNA: Die von der CSU begonnene Islam-Debatte wird auch vor dem Katholikentag nicht Halt machen. Gehört der Islam zu Deutschland?
Genn: An dieser Formulierung wird ja fast ein Glaubensbekenntnis festgemacht. Muslime gehören zu unserem Land dazu; viele haben einen deutschen Pass. Im Ruhrgebiet hat mich der Satz eines türkischen Mitbürgers bewegt: Wir kamen als Gastarbeiter hierher - und auf einmal wurde bemerkt, dass wir auch Menschen und Bürger sind. Prägend für unsere Kultur ist zweifellos das christlich-jüdisch-abendländische Erbe. Aber es gilt, dieses Erbe ins Gespräch zu bringen mit einer anderen Kultur, die uns noch ein Stück fremd ist. Das ist die einzige Möglichkeit für ein gutes gesellschaftliches Zusammenleben. Da sollte man sich nicht auf einen Satz fokussieren.
KNA: Der Katholikentag ist auch eine Bühne für Politiker. Umgekehrt mischen sich viele Kirchenvertreter gerne in den gesellschaftlichen Diskurs ein. Wie politisch darf die Kirche sein?
Genn: Ich will da keine Grenzen setzen. Für die Kirche ergibt sich aus dem Evangelium die Notwendigkeit, ihre Stimme auch zu politischen Fragen zu erheben - und zwar wesentlich im Grundsätzlichen. Ich möchte die politischen Aussagen des Katholikentages nicht begrenzen. Ich wüsste gar nicht wo.
KNA: Die Kirchen haben sich sehr zum Anwalt der Flüchtlinge gemacht. Da wundert es nicht, dass es mehr Kirchenasyl-Fälle gibt. Was antworten Sie Politikern, die das mit Argusaugen sehen?
Genn: Dass ich sie verstehen kann. Wir leben in einem Rechtsstaat. Und da sind die entsprechenden Regeln zu beachten. Wir sind da ganz klar auf der Linie, die die katholischen Bischöfe vor einigen Jahren etwas konkreter gefasst haben: dass einzelne Härtefälle noch einmal überprüft werden.
KNA: Der Katholikentag befasst sich auch mit den vermehrten Gründungen von XXL-Gemeinden. Für Ihr Bistum Münster haben Sie weitere Pfarreifusionen ausgeschlossen, werben aber für einen Kulturwandel. Was meinen Sie damit?
Genn: Der Begriff kommt aus der Unternehmenskultur. Wir müssen in einen guten Dialog eintreten, um Kirche vor allem in den kleinen Gemeinden zu gestalten. Über Formen der Leitung und Mitverantwortung muss in einem gesteckten Rahmen die Entscheidung vor Ort fallen können. Wir wollen das Signal setzen, dass wir noch stärker als bisher eine Kirche der Beziehung sein wollen.
KNA: Wie sieht die Kirche in 20 Jahren aus?
Genn: Wenn ich das wüsste... Auf jeden Fall wünsche ich mir, dass alle getauften Christen um ihre Mitverantwortung wissen. Das hat das Konzil betont, und das sagt auch Papst Franziskus: Als Christ bin ich nicht einfach Kunde eines amtlichen Geschehens, sondern selber für andere ein Zeichen. Ich wünsche mir lebendige Gemeinden, die mitwirken und nicht bloß bedient werden wollen. Die Mentalität der Versorgung steckt leider noch in so vielen Leuten drin.
KNA: Das Problem des Priestermangels ist damit nicht gelöst...
Genn: Ich glaube fest: Wenn es lebendige Gemeinden gibt, dann kommen auch wieder Priester- und Ordensberufungen. Es werden sicher nicht so viele sein wie früher einmal. Aber es werden Priester sein, die auf die Menschen zugehen und den Glauben mit neuen Formen ins Gespräch bringen. Ein Kaplan hat kürzlich zu einer Aktion eingeladen, die er «Kyrie und Currywurst» nennt: Er spricht dabei mit jungen Menschen über den Glauben, sie beten gemeinsam und es gibt Currywurst. Ideen muss man haben.
KNA: Haben dann Laien eine Letztverantwortung für ihre Gemeinde vor Ort?
Genn: Vom Kirchenrecht her hat die Letztverantwortung für eine Pfarrei immer ein Priester; in einer Gemeinde können dagegen Laien die Verantwortung haben. Und in Pfarreien natürlich auch, wenn es um einzelne Angebote, Felder der Seelsorge und vieles anderes geht. Faktisch wird es in manchen Bereichen eine Letztverantwortung von Laien geben.
KNA: Noch einmal zurück zum Katholikentag: Worauf freuen Sie sich ganz besonders?
Genn: Vor allem auf die vielen Begegnungen mit den Leuten - insbesondere mit den jungen Menschen bei der Jugendkatechese.
Andreas Otto