Neues Tool soll Orden bei Missbrauchsfällen unterstützen

Digitale Hilfestellung für Ordensfrauen

Sexualisierte Gewalt erkennen, anklagen und vorbeugen: Das ist das Ziel eines neuen Tools, das sich speziell an Ordensfrauen richtet. Institutsdirektor Pater Hans Zollner SJ erklärt, warum es in Orden häufiger zu Übergriffen kommt.

Ordensfrauen im Gebet / © Julia Steinbrecht (KNA)
Ordensfrauen im Gebet / © Julia Steinbrecht ( KNA )

DOMRADIO.DE: Was hat Sie denn motiviert, dieses neue Tool zu erstellen?

 © Francesco Pistilli (KNA)
© Francesco Pistilli ( KNA )

Pater Hans Zollner SJ (Direktor des Institut of Anthropology der Gregoriana Universität in Rom): Der Hauptgrund ist, dass wir schon seit einigen Jahren über den Missbrauch, den Ordensfrauen weltweit erleben, gesprochen haben, informiert wurden und auch von verschiedenen Ordensgemeinschaften angesprochen wurden, dazu eine Hilfestellung zu geben, wie Präventionsarbeit für Ordensfrauen ausschauen kann. 

Im Lauf der Zeit hat sich ergeben, dass wir nachdenken müssen, wie Ordensfrauen in ihren Gemeinschaften miteinander umgehen und welche Arten von Missbrauch da vorkommen können. In diesen beiden Aspekten wollten wir also Rechnung tragen: Missbrauch, den Ordensfrauen erleiden, und Missbrauch, den Ordensfrauen auch untereinander unter Umständen verüben.

DOMRADIO.DE: Sie haben dieses Tool erstellt. Wie haben Sie das erarbeitet? Da haben Sie sicher mit ganz vielen Ordensfrauen doch zusammengearbeitet, oder?

Zollner: Ja, es war uns ganz wichtig, dass natürlich eine Ordensfrau auch durch das Programm durchführt. Und wir waren in engem und ständigem Austausch mit der Vereinigung der Ordensoberinnen und haben die verschiedenen Aspekte, die in dem Programm vorkommen, gemeinsam erarbeitet.

DOMRADIO.DE: Dieses neue Programm berücksichtigt auch kulturelle Kontexte. Wie ist es Ihnen gelungen, die mit einzubeziehen?

Zollner: Viele von den Ordensgemeinschaften sind an sich schon international besetzt. Viele von den jüngeren Mitgliedern dieser Gemeinschaften leben in Afrika, Asien oder Ozeanien. Und deshalb ist es uns ein großes Anliegen gewesen, deren Stimmen auch aufzunehmen.

Hans Zollner SJ

"Ordensfrauen wurden wie Dienstmägde behandelt."

DOMRADIO.DE: Wie funktioniert dieses Tool denn? Wie kann es helfen?

Zollner: So wie alle unsere onlinegestützten Programme bieten wir das nicht Einzelpersonen an, sondern Institutionen oder Gemeinschaften. Deshalb nennen wir das auch ein Blended E-Learning. 

Blended heißt, dass wir mit den Partnerinstitutionen weltweit übereinkommen, dass wir einen bestimmten Teil von Inhalten über diese Onlineeinheiten anbieten, dass aber vor Ort in Präsenzveranstaltungen auch weitere Ergänzungen vorzunehmen sind. 

Alle Beteiligten, die an solchen Programmen teilnehmen, werden auch unterstützt und unter Umständen auch begleitet, wenn sie auf persönlich schwierige Dinge stoßen sollten, oder wenn sie den Eindruck haben, dass sie mit jemandem reden wollen.

DOMRADIO.DE: Wo sind denn die sensiblen Stellen, die es Täterinnen oder Tätern möglich machen, Ordensfrauen zu missbrauchen?

Zollner: Es ist natürlich die Frage des Umgangs von Priestern beziehungsweisen Klerikern insgesamt mit Ordensfrauen. In der Vergangenheit wurden in unseren Breiten und zum Teil sicherlich auch heute noch in vielen Ländern dieser Welt, Ordensfrauen sozusagen wie Dienstmägde behandelt. 

Es geht natürlich immer darum, wie sich Männer, die in der Kirche das Sagen haben, Frauen gegenüber verhalten und besonders auch Ordensfrauen, die unter Umständen noch mehr gefährdet waren - in vielen Teilen der Welt auch heute noch sind - im Bereich von Arbeit, Sexualität und geistlicher Machtausübung.

Hans Zollner SJ

"Das Tool soll zeigen, welche Möglichkeiten und Notwendigkeiten es gibt, sich dagegen zu wehren."

Das ist eine besondere Gefährdung, der wir entgegenwirken wollen, indem wir ein Instrument zur Verfügung stellen, mit dem Frauen und speziell Ordensfrauen erkennen, welche Formen von Grooming es gibt. Grooming bedeutet das institutionelle und personelle Vorbereiten von den Missbrauchstätern auf den Missbrauch, auf den die zielen. 

Das Tool soll zeigen, welche Möglichkeiten und Notwendigkeiten es gibt, sich dagegen zu wehren, welche Institutionen es gibt, die helfen können und welche Schritte auch in einer Ordensgemeinschaft beziehungsweise in einer Lokalkirche unternommen werden müssen, damit Ordensfrauen sicher und in ihrer Würde respektiert leben und arbeiten können.

DOMRADIO.DE: Welches Ausmaß hat sexualisierte Gewalt an Ordensfrauen in der Kirche? Ist das ein Verbrechen, das weltweit vorkommt?

Zollner: Das ist sicher ein Verbrechen, das weltweit vorkommt. Über die Zahlen wissen wir sehr wenig. Es gibt bisher kaum Schätzungen beziehungsweise belastbare Zahlen. Das liegt auch daran, dass es sicherlich eine große Scham und große Zurückhaltung bei vielen Betroffenen gibt. Auch weil sie in Systemen oder in Gesellschaften und Lokalkirchen leben, wo Frauen an sich nicht angehört werden oder sogar mit Sanktionen oder Bedrohungen leben müssten. 

Da ist wirklich noch sehr viel zu tun, um nicht nur die Aufmerksamkeit und Selbstbewusstsein zu schaffen, Missbrauch anzuzeigen, sondern auch um die Opfer sicher zu halten und ihnen eine Sicherheit zu gewähren, die es möglich macht, solche Verbrechen anzuzeigen.

DOMRADIO.DE: Das neue Tool ist ein Online-Programm, aber inwiefern gibt es da auch Beziehungen zu Kursen und Angeboten, die im realen Leben in Rom stattfinden können?

Zollner: Wir haben vor zwölf Jahren begonnen mit diesen E-Learning-Programmen zu arbeiten und haben dann im Laufe der Zeit auch in Rom an unserer Uni vor Ort Studienprogramme aufgelegt. Sehr viele von den Studierenden, die wir über die letzten zehn Jahre hatten hier in Rom, waren Ordensfrauen.

Hans Zollner SJ

"Wir hoffen sehr, dass das Programm Ordensfrauen eine Möglichkeit bietet, sich selber und auch ihre Mitschwestern zu schützen."

 

Für uns ist es wichtig, dass diese dann auch Botschafterinnen für dieses Blended-Learning Programm werden und dass sie auch entsprechend eingeführt werden in die Funktionsweise. Sie sollen auch die Vorteile erkennen, die darin bestehen, dass wir eine viel größere Zahl von Leuten erreichen können und dass sie aber auch entsprechend begleitet und unterstützt werden. 

Das ist uns wichtig, damit diese Verbindung zwischen dem, was wir hier in Rom tun, und dem, was in den verschiedenen Erdteilen mit unseren Programmen geschieht, möglichst fruchtbar und effektiv ist.

DOMRADIO.DE: Was wünschen oder erhoffen Sie sich von dem neuen Programm?

Zollner: Wir hoffen sehr, dass das Programm in der Breite, in den verschiedenen Sprachen, in denen wir das anbieten wollen, Ordensfrauen unterstützt, dass es ihnen eine Möglichkeit bietet, sich selber und auch ihre Mitschwestern zu schützen. Wir hoffen, dass das Programm auch dazu beiträgt, dass Frauen und alle verwundbaren, schutzbefohlenen Personen in allen Gegenden der Welt und in allen Institutionen sicher und respektiert leben können.

Das Interview führte Johannes Schröer. 

Quelle:
DR