Neun Jahre Papst Franziskus

"Hat einen neuen Ton angeschlagen"

Vor genau neun Jahren ist Jorge Bergoglio zum Oberhaupt der katholischen Kirche gewählt worden. Die Vatikanjournalistin Gudrun Sailer blickt im Interview zurück. Was hat Papst Franziskus bewegt, was bleibt und was steht noch bevor?

Kardinal Bergoglio wurde am 13. März 2013 vom Konklave zum neuen Papst gewählt.  (KNA)
Kardinal Bergoglio wurde am 13. März 2013 vom Konklave zum neuen Papst gewählt. / ( KNA )

DOMRADIO.DE: Nur fünf Wahlgänge benötigt die Versammlung der Kardinäle, das Konklave, dann steigt weißer Rauch aus dem Kamin über der Sixtinischen Kapelle auf. So war es damals im März 2013. Schon bei seinem Amtsantritt überrascht Franziskus mit einer neuen, frischen Sprache. Mit "Buona sera" begrüßte er die Gläubigen auf dem Petersplatz in Rom. Frau Sailer, wie haben Sie diese Tage im März damals erlebt?

Gudrun Sailer (Redakteurin Radio Vatikan/Vatican News): Ich erinnere mich an das Gefühl einer ganz großen Neugierde, auch einer Freude. Vorher war ja zum ersten Mal seit Jahrhunderten – wir erinnern uns daran – ein Papst zurückgetreten. Das war dramatisch, weise und eindrucksvoll. Und wir hatten im Vatikan auch alle den größten Respekt für Benedikt XVI. und seine Entscheidung gehabt und waren umso gespannter auf den Nachfolger, auf diese nächste große Weichenstellung. Eine Sedisvakanz (unbesetztes kirchliches Amt, Anm. d. Red.) ist ja auch das Aufregendste, was der Vatikan so zu bieten hat, vor allem aus journalistischer Sicht.

Gudrun Sailer / © privat
Gudrun Sailer / © privat

Und dann wird der Name Bergoglio vom Balkon verkündet und man wusste: Ah, der war doch schon beim letzten Konklave im Gespräch, merkwürdig... Den hatte man überhaupt nicht mehr auf der Liste. Es war alles sehr aufregend. Und dann war da der erste Nicht-Europäer Papst, der erste Jesuit.

Wie er da stand auf dem Balkon des Petersdoms, so einfach und bar jedes prätentiösen Papstattributs – einfach in weißer Soutane... Dann der Papst-Name: Er ist der erste Papst in 1000 Jahren, der sich nicht nach einem anderen Papst benannt hat, sondern nach einem Heiligen – und was für einem – , nach Franz von Assisi.

Er hat sich dann vom Volk segnen lassen, bevor er seinen ersten Segen erteilt hat. Das alles zusammen hat wirklich einen neuen Ton angeschlagen und wir waren in Rom ein bisschen euphorisch, bilde ich mir ein. Und die ganze katholische Welt war es auch.

DOMRADIO.DE: Also, viele Neuerungen, die damals mit der Papstwahl einhergingen. Sie waren ja ganz nah dran, haben für verschiedene Medien aus Rom berichtet damals. Welche Hoffnungen waren denn mit dem neuen Papst verbunden? 

Sailer: Ich glaube, die Hoffnung, die sich an jeden neuen Papst knüpft, ist enorm. Speziell mit Franziskus war vielleicht die Hoffnung verbunden, er würde die Kirche ein bisschen aus "dem Schmoren im eigenen Saft" herausholen können. Papst Benedikt und vor allem auch Johannes Paul II. hatten ja mit all ihrer Kraft versucht, die katholische Kirche von innen heraus wieder zum Leuchten zu bringen, den Glauben der Getauften zu stärken, das Schöne und Kraftvolle dieses Glaubens herauszustellen. Und das ist ihnen in Teilen auch sicherlich gut gelungen, in anderen Teilen weniger gut.

Gudrun Sailer, Redakteurin Radio Vatikan/Vatican News

"Ich glaube die Hoffnung, die sich an jeden neuen Papst knüpft, ist enorm."

Ich denke viele in der Kirche sehnten sich vor neun Jahren und nach diesen 35 Jahren nach einem noch größeren Horizont, nämlich dass die katholische Kirche wieder mehr in der Welt bewegt, weil die Welt das braucht. Die Welt braucht Jesus, davon sind wir ja als katholische Kirche überzeugt und deshalb muss die Kirche, müssen die Gläubigen, muss der Papst sich auch in der Welt einbringen. Das war die Hoffnung, die sich – glaube ich – speziell an Franziskus gebunden hat.

DOMRADIO.DE: Also Aufschwung, Aufbruch, Neuanfang. Würden Sie denn sagen, dass diese Hoffnungen zumindest in Teilen erfüllt wurden?

Das Leben des Jorge Mario Bergoglio/Franziskus

Franziskus ist der erste Papst der Kirchengeschichte aus Lateinamerika und der erste Jesuit im obersten Kirchenamt. Seine Wahl löste weltweit einen regelrechten Papst-Hype aus. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) zeichnet zentrale Stationen seines Lebens und seiner bisherigen Amtszeit nach:

Papst Franziskus lächelt (Archiv) / © Stefano dal Pozzolo/Romano Siciliani (KNA)
Papst Franziskus lächelt (Archiv) / © Stefano dal Pozzolo/Romano Siciliani ( KNA )

Sailer: Ich denke, wir haben mit Franziskus einen Papst, der gerade in den ersten Jahren ungeheuer kreativ war, dauernd neue Wege eingeschlagen hat, um die frohe Botschaft zu allen an die berühmten Peripherien zu bringen. Und viele sagen, Franziskus hat da Perspektiven aufgezeigt und Horizonte geöffnet, die vor ihm nicht so sichtbar waren: die Öffnung auf die Sorgen der Welt hin.

Und in den westlichen Ortskirchen war und ist auch die Hoffnung da: Dieser Papst verändert alte innerkirchliche Traditionen oder greift sie nach langer Zeit wieder auf. Denken wir zum Beispiel an das Frauendiakonat oder die Ehelosigkeit der Priester, die es ja im ersten Jahrtausend des Christentums nicht gab.

In diesen innerkirchlichen Themen ist Franziskus sicherlich nicht so vorgeprescht, wie viele in den alten Kirchen und im Westen sich das gewünscht hätten. Er hat aber mit Ausnahme der Frauenweihe auch keine klaren Absagen erteilt. Das heißt, innerkirchliche Reformanliegen werden uns weiterhin begleiten.

Ich glaube aber ohnehin, die Stärke von Franziskus liegt nicht so sehr im Innerkirchlichen, sondern – das ist fast ein wenig paradox für den Papst – im Außerkirchlichen: auf der Höhe seiner Zeit sein als Papst, als Oberhaupt der katholischen Kirche, die eben der Welt etwas zu sagen und zu bringen hat.

DOMRADIO.DE: Viele Themen haben Sie schon angerissen: Familiensynode, Umwelt, Enzyklika der Barmherzigkeit, um nur einige der Stichworte zu nennen. Würden Sie denn sagen, es gibt dennoch eine Art übergeordnetes Thema mit Blick auf das Pontifikat von Papst Franziskus? Eine Art Konstante?

Gudrun Sailer, Redakteurin Radio Vatikan/Vatican News

"Franziskus will, dass die Gläubigen umkehren, dass die Kirche umkehrt, dass sie dienend wird, dass sie demütig wird."

Sailer: Ich glaube, die Konstante bei Franziskus ist – das hat er aber mit seinen Vorgängern gemeinsam – dass er bei allem auf die frohe Botschaft verweist. Diese möchte er von historischen Verknöcherungen entkleiden, von Überbauten, die mit Jesus von Nazareth nicht mehr so richtig viel zu tun haben.

Das ist nicht bloß eine Stilfrage – das wird gerne missverstanden – , sondern da geht es wirklich ans Wesentliche. Franziskus will als Papst, dass die Gläubigen umkehren, dass die Kirche umkehrt, dass sie dienend wird, dass sie demütig wird.

Und Franziskus – das sehe ich auch als Konstante – ist Exerzitienmeister geblieben. Das heißt, die Gewissenserforschung, die er ja den Gläubigen andauernd aufgibt in jeder Predigt, das ist eine Konstante. Dieses "Fragen wir uns, wie halte ich es mit diesem und jenem"... Solche insistenten, dauernd wiederkehrenden Mahnungen zur Gewissenserforschung, die in der Berichterstattung über diesen Papst eigentlich nie Thema sind, zeichnen ihn als Papst aus, der immer auch Seelsorger und Exerzitienmeister sein wollte.

DOMRADIO.DE: Ein Thema, an dem auch Papst Franziskus nicht vorbeikam, waren die Fälle sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Minderjährige in der katholischen Kirche. Gerade in den Jahren 2018 und 2019 rückten diese Themen immer mehr in den Fokus. Das Thema schlug nicht nur bei uns in Deutschland große Wellen. Wie ist der Papst mit diesem Thema in seinem Pontifikat umgegangen?

Sailer: Wie übel das Thema Missbrauch in der Kirche ist, ist dem Papst selbst wohl erst ziemlich spät aufgegangen, und zwar als er in Chile war. Die Reise dorthin war nämlich ein Misserfolg, wenn man das so direkt sagen kann. Die Gläubigen in Chile waren in einer Schockstarre wegen dieser gehäuften, furchtbaren Missbrauchsfälle und vor allen Dingen wegen des Umgangs der Bischöfe damit. Und der Papst war da schlecht informiert, hat Falsches gesagt, die Falschen verteidigt, hat es aber nachher erkannt und hat sich – sehr ungewöhnlich – öffentlich dafür entschuldigt und dann gehandelt.

Und dann hat er 2019 einen Kinderschutz-Gipfel im Vatikan einberufen, etwas noch nie Dagewesenes. Jede Bischofskonferenz der Welt musste daran teilnehmen. Und dann hat er auch gesetzlich Kleriker und Bischöfe dazu verpflichtet, Missbrauchsfälle nach Rom zu melden.

Er hat das päpstliche Geheimnis beim Missbrauch aufgehoben. Kritiker sagen trotzdem – und das ist ihr gutes Recht – , Franziskus hätte noch entschlossener handeln können. Aber es kommen eben auch Stimmen, die heute von außen die Präventionsarbeit der katholischen Kirche würdigen. Und das ist diesem Papst zu verdanken.

Gudrun Sailer, Redakteurin Radio Vatikan/Vatican News

"Die Weltsynode mit der Bischofsversammlung nächstes Jahr im Vatikan wird noch mal ein wichtiger Meilenstein sein."

DOMRADIO.DE: Zu guter Letzt wollen wir auch einen Blick nach vorne werfen. Was steht denn noch auf der To-do-Liste des Papstes? Was hat er sich vorgenommen für die weiteren Jahre seines Pontifikats?

Sailer: Viele denken jetzt an die Kurienreform, die hätte ja eigentlich schon vor drei Jahren durch sein sollen und jetzt auch früher oder später kommen und dann die Weltsynode – diese zwei Dinge. Wenn wir aber einen Schritt zurückgehen: Ich glaube, im Moment ist das Gefühl eher, das sich das eine oder andere aus diesem Pontifikat in den kommenden Jahren setzen muss. Und Franziskus braucht jetzt mit 85 Jahren nicht noch die ganz große Performance abzuliefern. Denn was er bis jetzt schon zu geben hatte – denke ich – , das hat er im Wesentlichen schon gegeben.

Die Weltsynode mit der Bischofsversammlung nächstes Jahr im Vatikan wird noch einmal ein wichtiger Meilenstein sein. Und dann wird sich vieles von Papst Franziskus festigen müssen. Und ich glaube, wir werden uns an dieses Pontifikat noch lange erinnern.

Das Interview führte Moritz Dege.

Quelle:
DR
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