epd: Herr Erzbischof Musa, am 16. Februar wird in Nigeria gewählt. Welche Rolle soll und will Ihre Kirche im Wahlkampf spielen?
Erzbischof Panti Filibus Musa (Präsident des Lutherischen Weltbundes): In Nigeria herrschte lange Zeit die Überzeugung, dass Christen sich nicht politisch äußern sollten. Das hat sich geändert. Die Politik gestaltet die Zukunft unseres Landes, und wir sind ein Teil davon. Mit großer Sorge fragen wir uns, ob die anstehenden Wahlen frei, fair und glaubwürdig sein werden. Im Wahlkampf sind Gegner herabgewürdigt worden, und es wird insgesamt eine Sprache verwendet, die zu Hass und Gewalt anstiftet.
Wir sehen unsere Rolle darin, für einen friedlichen Verlauf der Wahlen zu werben, das tun wir in unseren Gemeinden, gegenüber der Regierung und auch den Sicherheitskräften. Jeder Politiker und jede Partei muss eine faire Chance haben, an den Wahlen teilzunehmen.
epd: Befürchten Sie, dass Religion wie in der Vergangenheit instrumentalisiert werden könnte?
Musa: Das Bewusstsein, dass Religion nicht als Werkzeug zur Wählermanipulation benutzt werden sollte, ist gewachsen. Aber die Wirklichkeit sieht oft noch anders aus. Oft sehen Politiker in der Manipulation religiöser Gefühle den einfachsten Weg, Sympathien zu gewinnen, und dann machen sie das, auf mehr oder wenige subtile Weise. Das funktioniert, weil Religion in Nigeria auch im Alltag eine so zentrale Rolle spielt.
epd: Im Nordosten Nigerias hat gerade der 94. Kirchentag Ihrer lutherischen Kirche begonnen. Warum ist diese Veranstaltung so wichtig?
Musa: Als der Kirchentag 1925 zum ersten Mal abgehalten wurde, war die Lutherische Kirche Christi noch sehr klein. Die Zusammenkunft über eine ganze Woche sollte die Gemeinschaft stärken: Es wurde gemeinsam gebetet, studiert, gesungen, und danach sind alle mit frischem Gottvertrauen zurück in ihre Gemeinde gegangen. Inzwischen kommen jedes Jahr gut 40.000 Gemeindemitglieder aus dem ganzen Land, von den Bischöfen bis zu den Laien. Religiöse Themen haben immer noch eine zentrale Bedeutung, aber wir diskutieren auch über politische Themen, gerade jetzt rund um die Wahlen.
epd: Der Kirchentag in Demsa steht unter dem Motto "Achtet genau darauf, wie Ihr lebt" (Eph 5, 15) - warum?
Musa: Das Motto steht in direktem Zusammenhang mit den Lebensumständen in Nigeria. In den vergangenen Jahren mussten viele Menschen auch aus unseren Gemeinden fliehen, weil Islamisten ihre Dörfer überfallen haben. Dazu kommt der eskalierende Konflikt zwischen sesshaften Bauern und nomadischen Viehtreibern und zuletzt die Zunahme von Entführungen.
Wir wollen darüber diskutieren, wie wir als Christen in dieser Lage leben wollen. Wie verhalten wir uns, uns selbst und anderen gegenüber? Sollten wir nur reagieren, oder auch agieren? Die Bibel ruft uns schließlich dazu auf, in einer Welt der Dunkelheit als Licht zu leben.
Musa: Müssen Christen denn derzeit besonders achtgeben in Nigeria?
epd: Wenn Gewalt ausbricht, sind alle davon betroffen, unabhängig von ihrer Religion. Für uns Christen geht es darum, wie wir leben wollen, um Frieden zu stiften. Wir müssen als Christen tatsächlich oft vorsichtiger sein, aber zugleich deutlich dazu aufrufen, Brücken statt Mauern zu bauen. Das sagen wir auch der Politik.
epd: Wie bauen Sie solche Brücken mit den Muslimen angesichts der Tatsache, dass viele bewaffnete Konflikte in Nigeria zwischen muslimischen und christlichen Bevölkerungsgruppen stattfinden?
Musa: Muslime und Christen müssen verstehen, dass Frieden nicht einfach kommt, nur weil wir davon reden. Beide Seiten müssen sich wirklich bemühen. Deshalb rufen wir gemeinsam mit unseren muslimischen Gegenübern dazu auf, Frieden und Zusammenarbeit zu leben. Christen dürfen Bibelstellen nicht missbrauchen, um Leute aufzuhetzen, und für Muslime und den Koran gilt das gleiche. Kein Ort in Nigeria wird jemals nur für Christen oder nur für Muslime da sein. Wir müssen es schaffen, zusammen zu leben. Und auch vom Frieden werden alle profitieren, unabhängig von ihrer Religion.
epd: In Nigeria mobilisieren charismatische Kirchen Hunderttausende neue Anhänger. Wie gehen Sie als lutherische Kirche damit um?
Musa: Als lutherische Kirche haben wir nicht das Verständnis, dass wir mit irgendjemandem konkurrieren müssen. Aber wir müssen anerkennen, dass Emotionen für die neue Generation unserer Mitglieder eine bedeutende Rolle spielt. Und das ist nur eine der vielen abrupten Veränderungen, die wir derzeit erfahren. Wir müssen unsere Ausbildung und unser Führungstraining so überarbeiten, dass wir in der Lage sind, darauf zu antworten.
Wir müssen die frohe Botschaft auf eine neue Art und Weise verkünden, die in die heutige Zeit passt. Außerdem ist Kirche kein Selbstzweck. Die LCCN hat immer diakonisch gearbeitet, bis heute. Wir reichen denen die Hand, die uns brauchen, sprechen uns für Frieden und Gerechtigkeit in Kirche und Gesellschaft aus.
epd: Was können lutherische Kirchen in Deutschland von Ihnen in Nigeria lernen?
Musa: Wir pflegen den Austausch mit den deutschen Kirchen über den Lutherischen Weltbund seit langer Zeit. Es gibt vieles, was wir von unseren Freunden in Deutschland schon empfangen haben, und ich hoffe, dass wir auch etwas geben können. In den vergangenen Jahren haben viele Kirchen darüber geklagt, dass sie schrumpfen. Dass unsere Gemeinden in Afrika wachsen ist zwar kein Grund für uns, stolz zu sein - schließlich kontrollieren wir diese Entwicklung nicht. Aber wir müssen unser Licht auch nicht unter den Scheffel stellen.
Wir sind an einem Punkt angelangt, wo Kirchen zusammenstehen, voneinander lernen und einander unterstützen sollten. Dafür sind wir im Lutherischen Weltbund zusammengeschlossen, einer globalen Familie, die gemeinsam Herausforderungen angeht, vor denen niemand gefeit ist.
epd: Im Juni findet in Deutschland der evangelische Kirchentag statt. Er steht unter dem Bibelwort "Was für ein Vertrauen". Eine gute Wahl aus Ihrer Sicht?
Musa: Ich weiß natürlich nicht, was zu der Wahl geführt hat, aber ich bin überzeugt davon, dass Vertrauen für uns Christen ein zentraler Begriff ist. Wie könnten wir ohne Vertrauen in einer Welt leben, die so demoralisiert erscheint, in der so vieles geschieht? Anstatt uns zurückzuziehen in unsere Häuser oder Kirchen ist es wichtig, Gott zu vertrauen, dass er trotz allem die Kontrolle hat. Und ein Kirchentag ist die Gelegenheit, die Gesellschaft zu erreichen, Menschen, die Unterstützung und Hilfe brauchen. Auch hier zeigt sich wieder: Die Kirche streitet nicht für sich selbst, sondern muss ihre Hand reichen, um Kirche zu sein. Wir brauchen Vertrauen, um auch in Zukunft Zeugnis abzulegen in einer zerbrechlichen Welt.
Marc Engelhardt