DOMRADIO.DE: Welche Rolle spielt die Oberbürgermeisterwahl im Gemeindeleben Ihrer Pfarrei?
Steffen Riechelmann (Pfarrer der Domgemeinde zum Heiligen Kreuz in Nordhausen): Natürlich kann man sich dem nicht entziehen.
Wir sind Teil dieser Stadt und Teil der Bürgergesellschaft. Die Wahl ist ein großes Thema für die Menschen in Nordhausen und demzufolge auch für die Katholikinnen und Katholiken, besonders jene, die vielleicht regelmäßig zum Gottesdienst kommen oder sich irgendwie engagieren.
Es ist eine große Verunsicherung zu spüren. Vielleicht geht die Stimmung auch etwas in die Richtung, dass man froh ist, wenn es bald vorbei ist. Denn die Tage zwischen dem ersten Wahlgang und der Stichwahl waren für die Nerven aller keine gute Zeit und sehr aufregend.
DOMRADIO.DE: Die Wahl hat eine Vorgeschichte, nämlich die vorläufige Amtsenthebung des parteilosen Oberbürgermeisters Kai Buchmann im März, die dann im August aber wieder aufgehoben worden ist. Welche Querelen gab es da im Hintergrund und war das auch ein Grund für den Erfolg des AfD-Kandidaten Jörg Prophet?
Riechelmann: Ich bin kein Politiker und kann auch nur das wahrnehmen, was Bürger dieser Stadt wahrnehmen.
Als Bürger dieser Stadt nehme ich wahr, dass die Querelen zwischen dem Landratsamt und dem Rathaus sowie das ganze Hickhack um die Amtsenthebung von Herrn Buchmann mit den Vorwürfen, die dann ans Licht kamen und den Dingen, die man dann über die Gerichte und über irgendwelche Verfahren laufen ließ, in der Stadt für viel Kopfschütteln sorgten.
Es gibt sehr viel Ärger und Frust darüber, dass sich die Verwaltung quasi nur mit sich selbst beschäftigt, während die drängenden Probleme, die in einer Stadt wie Nordhausen auch sichtbar sind, gefühlt liegen bleiben.
Das ist vielleicht ein bisschen unfair. Denn natürlich arbeitet die Verwaltung und natürlich werden Projekte abgearbeitet. Aber von außen betrachtet wirkt es immer so, als hätte man kein anderes Thema als die Fehde zwischen Landratsamt und Oberbürgermeister.
Ich glaube schon, dass das auf jeden Fall ein Frustfaktor in der Stadt ist, der dem Herrn Prophet auch in die Hände spielt.
DOMRADIO.DE: Ist das denn auch Thema in Ihrer Gemeinde und äußert sich dies in Gottesdiensten oder persönlichen Gesprächen? Gibt es auch bei Ihnen Gemeindemitglieder, die ganz klar sagen, sie würden den Herrn Prophet wählen?
Riechelmann: Mir gegenüber hat das bisher keiner geäußert. Wir haben da eine lange Geschichte. Wir haben auch Gemeindeglieder, die sich in der AfD engagiert haben, was dann immer zur Diskussion führt.
Ich habe es immer so gehalten, dass ich versuche die Versöhnungsebene nicht auszuschließen. Denn auch Leute, die AfD wählen, werden wahrscheinlich aus unserer Gemeinde kommen. Darüber brauchen wir gar nicht weiter zu diskutieren.
Demzufolge ist es mir wichtig, dass von der Sache und von der Programmatik her klar ist, dass dies nicht unser Wunsch ist.
Aber dahinter stehen ja auch immer Menschen. Und wenn sie zu uns gehören wollen, dann haben sie auch irgendwo eine Sehnsucht nach dem lieben Gott. Die kann ich ihnen nicht verwehren, auch wenn sie sich vielleicht in der AfD engagieren, was ich persönlich nicht nachvollziehen kann. Aber das ist eine andere Frage.
DOMRADIO.DE: Der Thüringer Landesverband der AfD gilt laut Amt für Verfassungsschutz als "erwiesen rechtsextrem". Wie argumentieren diese Menschen, die diese Partei dennoch wählen?
Riechelmann: Es ist eine konservative Heimatlosigkeit. Den Eindruck habe ich schon. Bei der obersten Führungsebene braucht man darüber nicht zu reden. Das ist ein anderes Weltbild, was dahintersteht.
Aber bei denen, die mir bekannt sind und mit denen ich auch immer noch Kontakt habe, ist es anders. Die fühlen sich als sehr konservative Menschen politisch sonst nicht vertreten. Auch in der CDU fühlen sie sich nicht vertreten. Die ist für sie wie die Grünen in schwarz angestrichen. Es sind natürlich nur Schlaglichter, die ich immer wieder mal höre.
Im Gottesdienst selber spielt es keine Rolle, das muss ich sagen. Ich bin zwar kein Mensch, der jetzt plötzlich völlig unpolitisch so tut, als hätte der Gottesdienst nichts mit dem Leben der Menschen zu tun. Es ist mir schon wichtig, die Lebenswelt der Menschen auch in jeden Gottesdienst zu holen. Aber man darf die Predigt, den Ambo oder auch den Verkündigungsort nicht nutzen, um Wahlkampf zu machen oder Politik zu betreiben.
Da ist es ein gutes Prinzip, ein bisschen neutral zu sein. Es fällt in diesem Fall nicht leicht neutral zu bleiben. Aber das ist für mich ein Grundprinzip.
DOMRADIO.DE: Die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Irme Stetter-Karp, hat gefordert, AfD-Mitglieder von kirchlichen Wahlämtern auszuschließen. Unterstützung bekommt sie dabei vom Essener Bischof Franz-Josef Overbeck. Für Verständnis und gegen Verallgemeinerungen spricht sich wiederum der Augsburger Bischof Bertram Meier aus und wird dafür vom Münsterschen Kirchenrechtler Thomas Schüller kritisiert. Wie kommen solche Appelle und Aufrufe katholischer Würdenträger und Repräsentanten bei Ihnen und in der Gemeinde an?
Riechelmann: Am Ende zeigt sich daran nur, wie verunsichert auch die Kirche im Umgang mit der AfD ist und dass man keine gemeinsame Linie findet. Das hat sicher damit zu tun, dass man ganz unterschiedlich auf solche Dinge reagiert.
Die AfD ist ja keine homogene Partei. Vielmehr sind da Leute zu Hause, die wahrscheinlich auch einen guten Platz in unserer Kirchengemeinde haben können, ohne dass man sich darüber Gedanken machen muss.
Aber warum geht man dann mit Leuten mit, die erwiesen rechtsextremes Gedankengut haben?
Ich glaube, dass die Einlassungen der kirchlichen Würdenträger, das sage ich als Pfarrer vor Ort, für die Leute keine so große Rolle spielen.
DOMRADIO.DE: Es gibt bei Ihnen auch einen Offenen Brief, initiiert von der Stiftung der KZ-Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora. Unterschrieben haben da auch sehr viele Vertreterinnen und Vertreter der evangelischen Kirche. Ihre Unterschrift findet man unter diesem Offenen Brief nicht. Warum nicht?
Riechelmann: Ich habe mich mit vielen Leuten besprochen, lange darüber nachgedacht. Tatsächlich habe ich mich sogar mit meinem Bischof darüber unterhalten. Ich finde es als Methode nicht hilfreich.
Inhaltlich ist da natürlich alles korrekt. Natürlich haben wir gerade in einer Stadt wie Nordhausen mit ihrer Geschichte, mit dem Außenlager des KZ Buchenwald Angst davor, dass Tür und Tor geöffnet werden.
Auf der anderen Seite weiß ich nicht, was man sich denn von einem solchen Aufruf außer Solidarisierungseffekte bei denen, die sich vielleicht bevormundet fühlen, erhofft.
Im Netz kursieren ganz viele Aufrufe von Künstlerinnen und Künstlern aus der ganzen Republik, die die Nordhäuser bitten oder sehr deutlich ansprechen, nicht AfD zu wählen.
Das ist alles gut gemeint, und das ist alles irgendwo Ausdruck der Verunsicherung der Menschen in diesem Land.
Aber ich befürchte, dass es am Ende sogar noch ein paar Unentschlossene eher dazu bewegen wird, die AfD zu wählen, weil viele Leute das als bevormundend empfinden.
Ich persönlich würde mich jetzt nicht bevormundet fühlen, aber ich glaube schon, dass Menschen es so empfinden.
Das ist mein persönlicher Eindruck und deswegen habe ich gesagt, dass diese Methode nicht meine ist.
Auf meinem Schreibtisch liegt ein Text, den ich selbst verfasst habe. Der liegt dort schon seit zwei Tagen. Und ich bin hin- und hergerissen, ob ich ihn noch in die Öffentlichkeit werfe. Darin positioniere ich mich klar, gebe aber keine Wahlempfehlung ab und werfe vor allen Dingen die Frage auf, wie wir in dieser Stadt am Morgen nach der Wahl miteinander werden leben können.
DOMRADIO.DE: Was ist Ihr Wunsch, wie Sie in dieser Stadt am Morgen nach der Wahl leben wollen?
Riechelmann: Der Wunsch ist, auch wenn man die politischen Aussagen bestimmter Kreise nicht teilt, folgender: Man muss irgendwo einen Weg finden. Wir werden ja trotz allem miteinander in dieser Stadt leben müssen. Das kann man nur, wenn man zu verstehen versucht.
Ich würde mir gerade von denen, die sich jetzt auf die Fahne schreiben gegen die AfD zu kämpfen, wünschen, dass sie sich überlegen, wie man Menschen denn davon überzeugen kann, nicht AfD zu wählen.
Da reicht es ja offensichtlich nicht zu sagen, dass die AfD in Teilen offen rechtsextrem ist. Das verfängt offensichtlich nicht.
Mir wäre es lieber zu überlegen, wo denn der Frust überhaupt herkommt. Es ist letztendlich auch in Nordhausen Frust über politische Entscheidungen, über Dinge, die nicht gut laufen, vielleicht auch Angst vor Veränderung. Ich glaube schon, dass die AfD diese Stimmung wunderbar aufsaugt.
Alles verändert sich, das Klima, das gesellschaftliche Klima sowieso. Die Leute wollen da aber irgendwie nicht mitgehen. Diesen Menschen kommt eine Partei, die sagt, wir machen alles wieder so wie früher, natürlich gelegen.
Das Interview führte Jan Hendrik Stens.