KNA: Wie schwer fällt Ihnen der Abschied als Münsterbaumeisterin?
Yvonne Faller (Freiburger Münsterbaumeisterin): Ich hätte gerne noch ein wenig länger diese unheimlich vielseitige, schöne und sinnstiftende Arbeit weitergeführt. Aber diese Aufgabe erfordert sehr viel: Einsatz mit Haut und Haar, mit Herz und Hand. Wegen meiner Herzerkrankung ist es nun Zeit, die Verantwortung weiterzugeben. Ich hatte die Freude, 16 Jahre mit einem großartigen Team zu arbeiten. Von daher darf jetzt auch ein bisschen Wehmut dabei sein.
KNA: Die komplizierte Sanierung der Turmspitze konnten Sie abschließen. Wo liegen aktuell die Schwerpunkte der Arbeit?
Faller: Eine große laufende Baustelle ist die Chor-Sanierung. Hier wird die Münsterbauhütte sicher noch für viele Jahre oder sogar Jahrzehnte beschäftigt sein. Auch am Hauptturm stehen die nächsten Schritte an. Jetzt geht es an die Etagen unterhalb der Turmspitze.
KNA: Wie hat sich Ihre Arbeit und die der Münsterbauhütten insgesamt in den vergangen Jahren verändert? Führen Digitalisierung und Hightech dazu, dass das Steinmetz-Handwerk nicht mehr so wichtig ist?
Faller: Auf gar keinen Fall! Die Handwerkskunst der Steinmetze ist durch nichts zu ersetzen. Auch nicht durch neue Ideen wie 3D-Druck oder Ähnliches. Aber natürlich bin ich keine Prophetin. Vielleicht wird das in 30 Jahren ganz anders sein? Vielleicht drucken wir dann nicht nur unser Essen aus, sondern auch Steine? Aber ich mag mir das eigentlich nicht vorstellen.
KNA: Machen die neuen, digitalen Verfahren die Restaurierungsarbeiten leichter und besser?
Faller: Vor allem deutlich aufwendiger, vielfach auch präziser. Wir müssen mit einer wachsenden Flut von Daten umgehen. Daraus ergeben sich auch Probleme der Datenspeicherung. Auf welchem Medium und mit welcher Software speichern wir die Daten, damit man auch in 50 Jahren noch damit arbeiten kann?
Ich bin nicht sicher, ob die neuen digitalen Techniken es wirklich immer einfacher machen, unsere großen Kathedralen für die kommenden Generationen zu erhalten. Unsere Vorgänger haben sich die schadhaften Stellen angeschaut, eine Skizze gezeichnet und die Maßnahme umgesetzt. Heute dauern die Aufnahme und die Analyse der Probleme, die Planung und die Dokumentation meist länger als die eigentliche Restaurierung. Aber zugleich entsteht heute ein unglaublich großer Schatz an Wissen, wenn die Dokumentation so gut ist, dass sie für zukünftige Projekte nutzbar bleibt.
KNA: Wie steht es um die Finanzierung? Sind die Arbeiten für den Erhalt der großen Kirchen und Baudenkmäler dauerhaft gesichert?
Faller: Ich kann nicht für alle sprechen und schon gar nicht über die Dauerhaftigkeit der Finanzierung. Wir haben in den vergangen Jahren sehr viel dafür getan, neue Unterstützer, Freunde und Förderer zu gewinnen. Die Hälfte unseres Etats stammt aus Spenden und Mitgliedsbeiträgen. Diese enorme Unterstützung ist keine Selbstverständlichkeit. Diese Wertschätzung immer neu anzufachen, ist eine wichtige Daueraufgabe. Hier in Freiburg wie allgemein zum Erhalt aller Bau- und Kulturdenkmälern.
KNA: Auch durch Ihren Einsatz hat die Weltkulturorganisation Unesco das Bauhüttenwesen als immaterielles Kulturerbe anerkannt. Hat sich diese jahrelange Antragsarbeit gelohnt?
Faller: Auf alle Fälle, wenn auch nicht finanziell. Es dürfte schwierig sein, hier konkret die positiven Effekte des Kulturerbe-Titels zu beziffern. Aber ich glaube schon, dass die Bedeutung der Bauhütten dadurch stärker in die Öffentlichkeit gerückt ist. Dabei ist die Weitergabe von Traditionen und Techniken sowie das Teilen des gesamten Wissensschatzes eine wichtige Aufgabe. Genauso wichtig sind die Entwicklung und Erprobung neuer Techniken, durch die die Bauhütten schon immer Kompetenzzentren waren - und es bis heute sind...
KNA: ... und auch morgen sein werden?
Faller: Ich hoffe, dass die Auszeichnung auch dabei hilft, die Zukunft der Bauhütten zu sichern. Denn es gibt immer wieder Überlegungen, sie aus Kostengründen aufzulösen und die Arbeiten durch freie Betriebe ausführen zu lassen. Das wäre eine Katastrophe! Weil dann das über Jahrhunderte aufgebaute und gespeicherte Wissen der Bauhütten und deren handwerkliche Fähigkeiten schnell verschwinden würde. So könnten wir das Freiburger Münster nicht erhalten. Es ist ja auch jetzt schon bedauerlich, dass es Deutschland gerade noch 13 Bauhütten gibt, die Zahl der zu erhaltenden Großkirchen liegt hier deutlich höher.
KNA: Wie ist das Bauhütten-Team bislang durch die Corona-Pandemie gekommen?
Faller: Zum Glück relativ gut. Planerische Arbeiten sind wo möglich ins Homeoffice verlegt worden. In der Werkstatt haben wir eine sehr gute Abluft-Anlage, und im Sommer ist die Arbeit auf den Gerüsten am Münster ebenfalls problemlos möglich gewesen. Im Winter sind wir neue Wege gegangen, und haben auch für Steinmetze Homeoffice organisiert, indem sie entweder kleine Werkstücke aus Stein oder auch Gipsmodelle zu Hause anfertigen konnten. Der Münsterladen war am meisten von den Einschränkungen betroffen. Mit der Einrichtung eines Online-Shops ist es aber gelungen, den Laden zumindest am Leben zu erhalten.
Das Interview führte Volker Hasenauer.