Ordensfrau half bei deutsch-französischer Aussöhnung

"Ich weiß, der Frieden ist zerbrechlich"

Schwester Theresita war vier Jahre als Friedensarbeiterin an einem Hauptort der alliierten Invasion in der Normandie. Zum 80. Jahrestag des D-Days hat sie Erinnerungen aufgeschrieben und sagt, dass Frieden im eigenen Herzen anfängt.

Der D-Day jährt sich zum 80. Mal und Schwester Theresia SMMP erzählt von ihrer Friedensarbeit / © Andreas Beer/ Schwestern der hl. Maria Magdalena Postel (privat)
Der D-Day jährt sich zum 80. Mal und Schwester Theresia SMMP erzählt von ihrer Friedensarbeit / © Andreas Beer/ Schwestern der hl. Maria Magdalena Postel ( privat )

DOMRADIO.DE: Sie haben eine besondere Beziehung zu den Orten des Geschehens von damals. Mit was für Gefühlen verfolgen Sie jetzt die Feierlichkeiten zum 80. Jahrestag des D-Days? 

Schwester Theresita Maria Müller SMMP (Ordensgemeinschaft der Schwestern der heiligen Maria Magdalena Postel im Bergkloster in Bestwig/Sauerland): Ganz gespannt! Ich freue mich, dass dort wieder viel los sein wird. Leider nicht in dem Département, wo ich gewohnt habe am Utah Beach, sondern am Omaha Beach im Département Calvados. Aber das haben die Verantwortlichen in Paris so entschieden, nicht die vor Ort; wahrscheinlich aus Sicherheitsgründen, weil ja viele führende Politiker aus aller Welt kommen und Zehntausende Veteranen und Touristen. Es ist richtig, finde ich, den Frieden und die Niederschlagung der Gewalt zu feiern, jedes Jahr und alle zehn Jahre besonders groß. So wie jetzt.

Sr. Theresita

"Sie wollten einen Raum öffnen, in dem Menschen die Thematik des Friedens und der Versöhnung bedenken und besprechen können."

DOMRADIO.DE: Eine ordensübergreifende Schwesterngemeinschaft an einem wichtigen ehemaligen Schauplatz des Zweiten Weltkriegs - was genau war damals die Idee 2011/2012, also kurz vor den 70. Jahrestag des D-Days? 

Sr. Theresita: In Sainte-Mère-Église spielt bis heute der Kriegstourismus eine große Rolle. Und da hatten einige die Idee, vor allem auch der Bischof der Diözese, an diesem Kriegsort einen Friedensort zu schaffen. Sie wollten einen Raum öffnen, in dem Menschen die Thematik des Friedens und der Versöhnung bedenken und besprechen können und auch ein Stück weit den Frieden lernen können. 

Utah Beach in der Normandie, Frankreich / © Zack Frank (shutterstock)
Utah Beach in der Normandie, Frankreich / © Zack Frank ( shutterstock )

DOMRADIO.DE:  Sie wurden als Deutsche in diese internationale Schwesterngemeinschaft berufen - als eine Frau aus dem ehemaligen Tätervolk. Eine nicht ganz einfache Rolle... 

Sr. Theresita: Das stimmt. Ich bin voller Mut und Enthusiasmus in die Normandie gegangen, habe dort aber auch zum ersten Mal in meinem Leben erfahren, dass Deutsche nicht willkommen sind. Ich habe immer wieder Erlebnisse gehabt wie von einem wärmenden Mantel, aber auch wie von einem nassen Waschlappen, der mir um die Ohren geklatscht wird. Wenn mich zum Beispiel jemand fragte: "Sie sind doch Deutsche! Heute war die Kapitulation Ihres Volkes, wissen Sie das?" Das zum Beispiel ist mir an einem 8. Mai passiert. Es gab noch viele weitere solcher und ähnlicher Bemerkungen. Aber das, glaube ich, gehört dazu. 

DOMRADIO.DE:  Gemeinsam mit Ihren französischen Schwestern vor Ort haben Sie dann das so genannte Haus des Friedens aufgebaut und dort Friedensarbeit gemacht, wo Krieg geherrscht hatte. Wie können wir uns das konkret vorstellen? 

Sr. Theresita: Zum Beispiel waren wir in der Kirche präsent, in der berühmten Kirche von Sainte-Mère-Église, wo der Fallschirmjäger John Steele bei der Invasion mit seinem Fallschirm am Kirchturm hängengeblieben war und wo bis heute eine Attrappe an ihn erinnert. Wir haben dort jeden Tag gemeinsam die Vesper, also das Abendgebet der Kirche, gebetet, und immer waren Leute da. 

Wir haben Workshops zum Frieden gehalten und Friedensspiele entwickelt, bei denen keiner gewinnt oder verliert, sondern man gemeinsam gewinnt, wenn man sich aufeinander einlässt. Wir haben Leute eingeladen, die Vorträge gehalten haben. Und wir haben uns selbst immer wieder miteinander versöhnt, wenn wir uns gestritten hatten. Wir haben also auch selbst Frieden eingeübt und versucht, ihn um uns herum zu verbreiten. 

DOMRADIO.DE:  Deutsche und Franzosen waren ja lange Zeit Erbfeinde in Europa. Wie haben beide Nationen diese Feindschaft nach 1945 - über Jahrzehnte hinweg - überwinden können? Was war das Rezept der Versöhnung? 

Sr. Theresita

"Wenn Deutschland und Frankreich zusammenstehen, kann Europa wieder stark werden und wachsen."

Sr. Theresita: Sehr wichtig war sicher die deutsch-französische Jugendarbeit. Es gab so viele Initiativen und Begegnungen; man hat sich jährlich getroffen, miteinander gespielt, gefeiert und Zeltlager gemacht, um sich wieder einander anzunähern. Da waren Menschen wie zum Beispiel Robert Schuman, die für den Kohle-Stahl-Vertrag gearbeitet und diese Europäische Wirtschaftsgemeinschaft gegründet haben. 

All diese Initiativen waren wichtig, die auf der einen Überzeugung begründet waren: Wenn Deutschland und Frankreich als die wohl stärksten Länder Europas zusammenstehen, kann Europa wieder stark werden und wachsen. 

Außerdem gab es viele ehemalige Kriegsgefangene, die immer wieder in das jeweils andere Land zurückgegangen sind und erzählt haben, wie wohl sie bei den vermeintlichen Feinen gefühlt haben; die einander zugehört haben. Sich erzählen lassen und zuhören, wieder und wieder: Das ist das Wichtigste, wenn Versöhnung geschehen soll. Das habe ich so erlebt.  

DOMRADIO: Sie selbst haben die Gemeinschaft in der Normandie 2015 wieder verlassen. Aber die Gemeinschaft gibt es noch immer und auch ihr Haus des Friedens. Wie ist die Arbeit dort heute? 

Sr- Theresita: Was wir damals angefangen haben, ist vollendet worden. Die Scheune vor dem Haus ist tatsächlich in eine große Friedensscheune mit Raum der Stille umgebaut worden. Es sind dort wieder drei Schwestern, eine aus einer ökumenischen Gemeinschaft in der Schweiz und zwei Schwestern aus dem Apostolischen Karmel in Frankreich. 

Gerade im Moment gibt es auch noch eine engagierte Deutsche, die Witwe des damaligen Chefs der Kreditanstalt für Wiederaufbau, die dort mitarbeiten will. Sie will jetzt in Sainte-Mère-Église anfangen und vielleicht ein paar Wochen bleiben, ein paar Monate oder länger. Auch der große Freundeskreis, den wir damals gegründet haben, ist immer noch aktiv und hilft viel. Also geht die Arbeit Gott sei Dank gut weiter. 

DOMRADIO.DE:  Sie haben Ihre Erfahrungen aus der Friedensarbeit in der Normandie jetzt mit einigem zeitlichen Abstand niedergeschrieben, und zwar in einem Moment, in dem schon Putins Angriffskrieg in der Ukraine in Gang war. Inwieweit haben dieser neue Krieg in Europa und auch der Krieg in Nahost ihre Gedanken beeinflusst? 

Sr. Theresita

"Ich denke daran, wie zerbrechlich der Frieden ist und wie notwendig es ist, unablässig für den Frieden zu arbeiten."

Sr. Theresita: Der Gedanke dran hat mir noch einmal sehr deutlich vor Augen gestellt, wie zerbrechlich der Friede ist. Wir haben hier in Westeuropa weit über 70 Jahre in Frieden gelebt. Und jetzt haben wir einen Krieg vor unserer Haustür. Zwischen uns und dem Krieg liegt nur Polen, dann kommt schon das Land, in dem heute Krieg herrscht. 

Ich denke daran, wie zerbrechlich der Frieden ist und wie notwendig es ist, unablässig für den Frieden zu arbeiten, sich für ihn zu engagieren.  Dazu gehört auch, selbst friedlich zu sein, Frieden um sich herum zu verbreiten und auch für den Frieden zu beten. Das ist mir durch den russischen Angriffskrieg noch einmal sehr klar geworden.  

DOMRADIO.DE: Was ist Ihre persönliche Botschaft zum 80. Jahrestag des D-Days? 

Sr. Theresita: Da zitiere ich eine meine Lieblingsaussagen von Mahatma Gandhi - "Sei du selbst die Veränderung, die du für die Welt willst". Anders gesagt: Friede muss im eigenen Herzen beginnen. Ich kann nicht von anderen verlangen, friedlich zu sein, wenn ich es selbst nicht bin. 

Eben so wenig kann ich von anderen verlangen, sich zu versöhnen, wenn ich selbst nicht bereit bin, zu verzeihen und mich zu versöhnen.  Ich muss mich selbst verändern, an mir selbst arbeiten in den Punkten, in denen ich Veränderungsbedürftigkeit um mich herum oder in der Welt sehe. Wenn wir alle am Frieden im eigenen Herzen arbeiten würden, ginge es der Welt sicher besser. 

Das Interview führte Hilde Regeniter.

Quelle:
DR