DOMRADIO.DE: Wie sehr hat sie die Nachricht vom Tod überrascht?
Pater Martin Maier SJ (Hauptgeschäftsführer des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat): Ich war überrascht, weil er doch scheinbar auf dem Weg der Besserung war. Ich hatte gehofft, dass er sich noch einmal erholen und sein Amt als Papst weiter ausüben können würde. Von daher war ich überrascht und sehr traurig.
DOMRADIO.DE: Sie haben lange in Lateinamerika gelebt. Haben sie ihn jemals persönlich kennengelernt?

Maier: Ich konnte ihn 2015 treffen, als ich mit Pater John Sobrino, dem Befreiungstheologen aus El Salvador, in Rom war. Das war eine sehr schöne Begegnung, kurz nach der Seligsprechung von Erzbischof Oscar Romero, die Papst Franziskus persönlich ein großes Anliegen war. Sobrino und ich hatten die Gelegenheit, in Santa Marta an dem Gottesdienst mit ihm teilzunehmen und danach ein kurzes Gespräch mit ihm zu führen. Das war sehr herzlich. Er hat Sobrino am Ende umarmt. Für Sobrino war das sehr wichtig, weil er mit Papst Benedikt XVI. seine theologischen Schwierigkeiten gehabt hatte. Papst Franziskus sagte am Ende dieser kurzen Begegnung: "Schreib weiter!". Das war ein ganz anderes und neues Signal.
DOMRADIO.DE: Wie haben Sie ihn als Menschen erlebt?
Maier: Er war ein sehr zugewandter Mensch, der ganz für den Augenblick da war. Das hat mich sehr bewegt und berührt.
DOMRADIO.DE: Er war Jesuit – genauso wie Sie. Was waren jesuitische Elemente am Papst und an seinen Entscheidungen? Haben Sie da etwas im Pontifikat wiedererkannt?
Maier: Ja, die Methode der Jesuiten - wenn man es so nennen möchte - ist die Unterscheidung der Geister. Es geht darum herauszufinden, wo Gott heute Zeichen gibt, seinen Willen zeigt, eine Richtung weist. Das war auch die Methode von Papst Franziskus. Er hat die entscheidenden Zeichen unserer Zeit wahrgenommen: Flucht, Armut, Klimawandel, Ökumene, der interreligiöse Dialog und auch, dass die Technologie neue Chancen für die Kommunikation und Annäherung eröffnet. Für alle diese Themen war Franziskus sensibel.
Franziskus wollte keine Räume besetzen, sondern Prozesse in Gang bringen. Er hat in weiten Zeiträumen gedacht. Das hat auch mit der ignatianischen Spiritualität zu tun, die Entwicklungen ihre Zeit gibt und darauf vertraut, dass die ausgesäten Samenkörner aufgehen und Frucht bringen. Das braucht Zeit und Geduld. Gleichzeitig musste er als Papst die plurale Kirche zusammenhalten. Es war seine Verantwortung. Er musste der Hüter der Einheit sein. Von daher hat er in strittigen Fragen keine schnellen Entscheidungen getroffen, sondern eine Richtung aufgezeigt.
DOMRADIO.DE: Viele sagen, dass unter Franziskus ziemlich viel liegen geblieben wäre. Er habe es nicht geschafft, die Kirche zu reformieren. Wie sehen Sie das, was hinterlässt er uns?
Maier: Ich sehe es so, dass er die Kirche wieder an ihren Ursprung geführt hat: zur Freude des Evangeliums und zu Jesus von Nazareth. Er wollte die Erneuerung. Das kam schon in seiner Namenswahl zum Ausdruck. Der Heilige Franziskus hatte im 13. Jahrhundert eine Vision davon, wie er die Kirche wiederaufbauen wollte. Das war ein Projekt von Papst Franziskus. Darum war sein erstes programmatisches Schreiben "Evangelii Gaudium", also die "Freude am Evangelium".
Er wollte die Freude am Evangelium wiedererwecken. Das andere große Thema seines Pontifikats war die Barmherzigkeit. Er wollte diese Barmherzigkeit, die Jesus selber gelebt hat, wieder lebendig machen. Das hat er auch ausgestrahlt, nicht nur mit Worten, sondern auch in Taten, wie die Fußwaschung im Gefängnis am Gründonnerstag, seine Hinwendung zu den Migranten und Geflüchteten bis hin zu seinem Tod in die Auferstehungsfreude hinein. Das war sein letztes großes Zeichen.
DOMRADIO.DE: Franziskus hinterlässt eine gespaltene Kirche. Es gibt Reformer und Bewahrer. Es gibt die Europäer und den globalen Süden. Es gibt die, die finden, dass Kirche politisch sein muss und jene, denen es zu viel ist. Das wird ein großer Spagat, den sein Nachfolger da leisten muss.
Maier: Das ist die große Herausforderung, eine Glaubensgemeinschaft von inzwischen 1,4 Milliarden Menschen weltweit zusammenzuhalten. Auch da hat Franziskus ein Beispiel gegeben. Er hat immer wieder auf das Bild des Hirten angespielt. Wenn er sagte, dass der Hirte nah bei seinen Schafen sein muss. Manchmal muss er vorangehen. Manchmal muss er mitten in der Herde sein und hören, was sie bewegt. Manchmal muss er auch ganz am Ende der Herde sein und sich um die kümmern, die nicht mehr mitkommen. Das war sein Verständnis vom Amt des Bischofs und des Papstes.
DOMRADIO.DE: Wie wahrscheinlich ist es, dass der nächste Papst wieder ein Lateinamerikaner wird?
Maier: Das wissen wir nicht. Es gibt im Konklave auch Kardinäle aus Lateinamerika. Mir fallen durchaus Namen ein, über deren Wahl zum Papst ich mich freuen würde. Aber wir wissen es nicht. Ein Konklave hat immer seine eigene Dynamik. Wir vertrauen darauf, dass der Heilige Geist mitmischt und dafür sorgt, dass die Kirche immer wieder den Papst findet, den sie zu einer bestimmten Zeit braucht.
Bei Franziskus war das der Fall. Er hat mit der Kurienreform und dem weltweiten synodalen Prozess innerkirchlich so viel verändert, dass eine neue Atmosphäre in der Kirche eingekehrt ist: Ein Stil des Dialogs, des Vertrauens und nicht mehr des Misstrauens und der Verurteilung. Synodalität bedeutet, gemeinsam auf einem Weg zu sein, um herauszufinden, was Gott von seiner Kirche in der Welt von heute möchte.
Da hat Papst Franziskus mit seinen großen Enzykliken, wie "Laudato Si" und "Fratelli Tutti" wichtige Richtungen aufgezeigt. So wie Jesus es schon im Evangelium gesagt hat: Vertraue ich darauf, dass diese Saat aufgeht, wächst sie und Früchte bringt (Anm. d. Red.: Gleichnis von der selbstwachsenden Saat, vgl. Mk 4,26–29).
Das Interview führte Ina Rottscheidt.