DOMRADIO.DE: Wie haben Sie die Verabschiedung von Bischof Bode am Sonntag mitverfolgt?
Pater Klaus Mertes SJ (Superior des Ignatiushauses in Berlin, hat 2010 den Missbrauchsskandal am Berliner Canisius-Kolleg mit aufgedeckt): Ich habe mit Personen gesprochen, die die Verabschiedung über die Übertragungskanäle mitverfolgt haben. Ich hatte das Gefühl, dass die, die dabei waren, sehr beeindruckt waren. Und das waren durchaus auch kritische Leute.
DOMRADIO.DE: Neben selbstkritischen Worten von Bischof Bode gab es auch lange Lob- und Dankesreden. Zum Beispiel hat der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Bode als starken Bischof mit Schwächen bezeichnet. Er hatte ihn aber auch gegen die Bezeichnung als "Vertuscherbischof" verteidigt. Konterkariert so etwas nicht ein wenig die vorher von Bischof Bode selbst geäußerten Dinge, wie zum Beispiel sein Schuldbekenntnis, das er abgelegt hatte?
Mertes: Das Bistum Osnabrück mit Bischof Bode war eines der wenigen, in denen ich das Gefühl hatte, in den letzten 13 Jahren immer willkommen zu sein. Es hat viele andere Diözesen gegeben, wo Mitarbeiter, die mich eingeladen hatten, mich anschließend auf bischöfliche Anweisung hin wieder ausladen mussten.
Ich habe persönlich Bischof Bode und sein Regiment in seinem Bistum mir gegenüber als äußerst fair und zuvorkommend erlebt. Ich hatte immer das Gefühl, mit dem Anliegen der Aufklärung von Missbrauch willkommen zu sein. Das ist mir sehr wichtig, das zu sagen, weil ich es in anderen Diözesen persönlich ganz anders erfahren habe. Insofern bin ich selbst durchaus auch Bischof Bode dankbar.
Auf der anderen Seite muss ich sagen, dass ich meine Skepsis hatte, auch schon gegenüber diesem großen Reue- und Schuldbekenntnis, das liturgisch sehr bald schon, ich glaube 2010, von ihm gestaltet wurde.
Der Grund ist, dass ich sowieso eine ziemliche Skepsis gegenüber all diesen großen Gesten habe. Wenn sie nicht mit einer Übernahme von Verantwortung verbunden sind, die sozusagen auf der säkularen Ebene, auf der Beziehungsebene zu den Opfern selbst zum Ausdruck kommt. Darin sollten die Forderungen, die sie haben, auf die man dann so oder so reagieren kann, aber auf die man jedenfalls reagieren muss, enthalten sein.
Ich denke an die ganzen Entschädigungsfragen, die damit zusammenhängen, die Aufklärungsfragen, die Frage nach der Unabhängigkeit der Aufklärung und so weiter und so fort. Da liegt ja die entscheidende Frage nach der Übernahme von Verantwortung. Die muss manchmal auch im Dissens mit Betroffenen oder einige Betroffenen getroffen werden, aber sie muss jedenfalls offen angegangen werden.
Das schien mir immer wichtiger zu sein als große Gesten, die natürlich auch nachträglich einen schalen Geschmack bekommen, wenn herauskommt, dass Bischof Bode tatsächlich auch vertuscht hat, wie er selbst zugegeben hat.
Eine Sache würde ich schon gern unterscheiden, nämlich den Unterschied zwischen Vertuschungen und Tätern. Vertuscher sind keine Täter im Sinne der Einzeltat. Weder Bode noch Zollitsch noch andere haben selbst Kindern sexualisierte Gewalt angetan. Sie stehen nur für das System, das es den Opfern nicht möglich gemacht hat zu sprechen und Gerechtigkeit zu erhalten. Das ist ein Unterschied, finde ich.
Ich finde, dass bei Tätern und überhaupt da, wo auf Vertuschung im Sinne der Annahme einer Straftat, mit der erklärten Absicht, eine Strafverfolgung zu verhindern, begangen worden ist, schon noch einmal zu unterscheiden ist. Deswegen, finde ich, gibt es zum Beispiel einen Unterschied zwischen dem Fall Bode und dem Fall Zollitsch.
Wenn Zollitsch tatsächlich wissentlich gelogen hat, um zu vertuschen und dies in der Position nach 2010 in den Fällen, um die es geht, getan hat, dann, glaube ich, ist nichts anderes als Reue möglich. Wenn überhaupt.
Strafe ist dann aber Teil, wenn Sie so wollen, des Abschiedsgeschehens. Insofern ist es wirklich nochmal wichtig, von Einzelfall zu Einzelfall zu unterscheiden.
DOMRADIO.DE: Lenkt man mal den Blick vom Bistum Osnabrück ins Allgemeine, ist dann eigentlich überhaupt die Eucharistiefeier ein geeigneter Rahmen für solch eine große Zahl an Lob- , Dankes- und Abschiedsreden? Ist das überhaupt der Rahmen, wo man so etwas durchführen kann?
Mertes: Ich persönlich bin auch da skeptisch. Ich würde in vergleichbarer Situation erwägen, einfach mal ganz darauf zu verzichten. Es wäre sinnvoll, Dankesworte, die angemessen sind, auch in angemessener Weise zu sagen, aber nicht sofort die Hochform der Eucharistie damit zu verbinden, zumal sie ja ganz entscheidend auch das Element der Versöhnung zum Ausdruck bringt.
Und die Versöhnung ist eben noch nicht da. Dass sie uns in einem tieferen Sinne geschenkt wird und auch geschenkt werden wird, dürfen wir glauben. Aber in der konkreten Beziehungsarbeit, in der Diözesen und kirchliche Verantwortliche, mich eingeschlossen, mit Opfern und Opfervertretern stehen, ist es schwierig, das Thema der Versöhnung auf diese Weise so stark in den Mittelpunkt zu stellen. Da liegt mein Bedenken.
DOMRADIO.DE: Wie sollten Ihrer Ansicht nach generell Führungskräfte oder kirchliche Mitarbeiter, die in hohen Positionen ihrer Verantwortung nicht gerecht geworden sind, denn grundsätzlich verabschiedet werden?
Mertes: Sie müssen verabschiedet werden. Abschiedslos gehen, geht auch nicht, denn die Art und Weise, wie ein Abschied gestaltet wird, sagt eben immer auch ganz viel über das Ganze aus. Wenn überhaupt nichts gemacht wird, ist es natürlich auch eine Aussage. Also man kommt nicht darum herum, am Abschied einer Amtszeit, zumal dann, wenn sie so bedeutend ist wie ein Bischofsamt, diesen Abschied irgendwie zu gestalten.
Es gibt mindestens zwei, die an diesem Abschied zu beteiligen sind. Das ist zum einen die Gemeinde, also das Volk Gottes, theologisch gesprochen, auf der einen Seite und der Bischof auf der anderen Seite. Beide müssen es gestalten.
So kann zum Beispiel ein Bischof, wie es Zollitsch getan hat, seinen Abschied so gestalten, dass er die Ehrentitel, die er bekommen hat, zurückgibt. Das ist ja auch eine Abschiedshandlung, mit der er zugleich etwas zum Ausdruck bringt, was deutbar ist und einen Diskurs über seine Amtszeit ermöglicht.
Aber wenn man ohne Abschied geht, zerstört man auch die Diskurse.
DOMRADIO.DE: Es gibt Pfarrer oder Abteilungsleiter, die sind bei den einen sehr beliebt, werden in Schutz genommen und andere sind wiederum froh, wenn sie endlich weg sind. Wie soll man denn hier einen Abschied so gestalten, wenn man sich nicht einmal in der Beurteilung der Arbeit oder der Leistung einig ist?
Mertes: Das ist eine schwierige Frage. Ich war jedes Jahr damit in kleinerem Rahmen befasst, wenn ich als Kollegsdirektor Kollegen oder Kolleginnen verabschieden musste, mit denen ich zum Teil auch in großem Dissens war. Am Ende bleibt nichts anderes übrig als die Wahrheit auszusprechen und nicht zu lügen.
DOMRADIO.DE: Also mit anderen Worten auch bei der Verabschiedung eines Pfarrers oder eines Abteilungsleiters sollte man durchaus sagen, was er Gutes getan hat und was weniger Gutes und wo er versagt hat?
Mertes: Ja. Und zwar ohne sich in die Position des Richters zu erheben. Das ist sogar der nächste Punkt. Es geht ja nicht darum, beim Abschied nochmal zu richten, um zu vernichten. Aber es geht schon darum, Stellung für diejenigen Personen zu beziehen, die zum Beispiel durch Vertuschung noch verletzbar sind, aber auch Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die schwer in ihrem Vertrauen verletzt worden sind.
Wenn ich es richtig verstanden habe, war es vor allem am Ende die Rückmeldung der Mitarbeiter und der Mitarbeiterinnen des Bistums Osnabrück, die Bischof Bode dazu veranlasst haben, zu merken: Ich habe kein Vertrauen mehr, ich trete zurück.
Also es ist wichtig, die Gefühle derjenigen, die sich durch bischöfliches Versagen, durch Unterlassen oder Taten verletzt fühlen, im Verabschiedungsprozess zumindest rhetorisch anwesend sein zu lassen. Das ist ganz wichtig und das ist etwas anderes, als sich anlässlich eines Abschieds zum Gerichtsvollstrecker aufzurecken.
Das Interview führte Jan Hendrik Stens.