DOMRADIO.DE: Das ist für Sie eine intensive Zeit an Weihnachten. Empfinden Sie da eigentlich Stress?
Rainer Maria Schießler (Münchner Stadtpfarrer): Nein, die eigentliche Arbeit findet ja vorher statt. Geistig vorbereiten, organisieren, praktisch arbeiten, die Kirche herrichten, mithelfen, alles aufbauen. Wir haben immer eine große Krippe in der Kirche und dann die ganzen Adventskonzerte, die absolviert werden wollen. Aber wenn das alles geschehen ist und am 23.12. abends die Proben für die ganzen Gottesdienste durch sind, dann kann ich mich nur fallen lassen.
DOMRADIO.DE: Was haben Sie den Menschen in Ihren Predigten mit auf den Weg gegeben?
Schießler: Wir haben das als Team vorbereitet. Für uns war es das Wichtigste, die Predigt so zu gestalten, dass falls jemand aus Magdeburg, aus dem Gazastreifen, aus der Ukraine unter uns ist, uns abnimmt, dass das Gesagte ehrlich ist. Wir dürfen nicht verdrängen und nicht auf ein Idyll setzen, dass sowieso nur bei uns hier vielleicht wirksam sein könnte, aber woanders gar nicht stattfindet. Es ist wichtig, dass wir mit allen Menschen überall auf der Welt, in ihren Bedrängnissen und Nöten dieses Weihnachten feiern.
Wir haben in der Christmette einen Poetry Slam miteinander entwickelt, wo es genau darum geht, was auch der Papst in seiner Predigt thematisiert hat: Weihnachten heißt einen Traum Wirklichkeit werden lassen. Und immer haben wir den Leuten gesagt: Träume sind harmlos, solange sie noch nicht Wirklichkeit sind. Aber an Weihnachten wird dieser Traum Wirklichkeit.
DOMRADIO.DE: Weil Sie gerade Magdeburg erwähnt haben: Dieser Anschlag hat viele über die Weihnachtsfeiertage gelähmt. Der Bundespräsident sprach von einem dunklen Schatten, der über den Feiertagen liegt. Wie haben Sie diesen Anschlag thematisiert?
Schießler: Ich habe sogar gesagt, dass er mehr als ein Schatten ist, es ist wie eine bleierne Decke, die auf uns liegt und dass wir diese Decke nicht einfach wegschnippen können. Wir sind nicht der Geist aus der Wunderlampe, sondern wir leben in der bleiernen Decke.
Aber das Trostvolle an Weihnachten ist ja, dass die Geburt Jesu genau unter dieser Decke stattfindet, dass Jesus in eine Welt kommt, in der es genau so zugeht und er sich nicht vorwagt, sondern uns durch seine Gegenwart neue Kraft und neue Hoffnung gibt. So wie jeder Mensch, der mir wichtig ist, den ich liebe, auch mir Kraft gibt.
Das habe ich in dem Poetry Slam formuliert, dass es an Weihnachten genau darum geht, den "Traumschlüssel" wieder in die Hand zu nehmen. Und dieser "Traumschlüssel" ist das Kind in der Krippe.
DOMRADIO.DE: Viele Menschen gehen ja nur an den Weihnachtstagen in die Kirche, sonst sieht man sie da eher nicht. Sie sagen, das sei durchaus in Ordnung, dass das so ist. Wie stellen Sie sich in den Gottesdiensten darauf ein?
Schießler: In dem wir sie zum Beispiel ganz herzlich begrüßen und ihnen sagen, was das mit uns macht, wenn einmal im Jahr in dieser Christmette die Kirche berstend voll ist. Wir merken dann, dass wir nicht nur notwendig sind, sondern wir machen es auch richtig, wir machen es gut. Und nur aus dieser Gemeinschaft heraus können wir unter diesem Schleier der Dunkelheit, der immer diese Welt umgeben wird, miteinander bestehen. Und da gehört jeder dazu.
DOMRADIO.DE: Schauen wir noch kurz nach vorne. Das neue Kirchenjahr hat schon angefangen. Was wünschen Sie sich Ihrer Kirche?
Schießler: Wir erleben jetzt im Heiligen Jahr die Öffnung der Heiligen Pforten und ich wünsche mir, dass die Kirche selber da durch geht, dass sie wie befreit durch ein Tor geht. Dass die Kirche sagt: "Hier sind wir und jetzt öffnen wir uns und lassen nichts draußen, wir nehmen jeden mit auf diesem Weg. Und wir hören auf, Unwichtiges zu Wichtigem zu machen."
Das Interview führte Carsten Döpp.