Politikwissenschaftler kritisiert Kirchenumgang mit Populismus

"Wieder zum Salz der Erde werden"

Der Politikwissenschaftler Werner Patzelt fordert von den Kirchen einen anderen Umgang mit Rechtspopulisten. "Es wäre schon eine Aufgabe von den Kirchen, den verlorenen Schafen nachzugehen", sagte er gegenüber domradio.de

Schilder einer islamfeindlichen Kundgebung / © Ricarda Schwitters (epd)
Schilder einer islamfeindlichen Kundgebung / © Ricarda Schwitters ( epd )

domradio.de: In dem an diesem Dienstag erscheinenden Buch "AfD, Pegida und Co.: Angriff auf die Religionen" haben Sie sich mit dem Verhältnis von Kirche und Populismus beschäftigt. Wie müssen die Reaktionen auf den wachsenden Populismus von Seiten der Kirchen aussehen, um effektiv zu sein?

Professor Werner Patzelt (Politikwissenschaftler an der TU Dresden): Zunächst einmal müssen wir begreifen, dass Populismus nicht nur aus gesellschaftlich verbreiteten Dummheiten und Vorurteilen entsteht. Wesentlich entwickelt es sich dann, wenn sich sehr viele Menschen in der Bevölkerung in ihren Sichtweisen, Anliegen und Sorgen nicht mehr von der politisch-medialen Elite vertreten fühlen. Dann protestieren die Leute gegen das etablierte politische System.

domradio.de: Politisches System, also die Demokratie?

Patzelt: Viele sind unzufrieden damit, wie unsere Demokratie funktioniert. Viele Leute wünschen sich von der Demokratie, dass sie mehr auf die Bürgerwünsche eingeht. Entzündet hat sich das Thema durch die Einwanderung insbesondere von Muslimen. Deren Religion stößt hier auf wenig Anerkennung. In Ostdeutschland hat es hauptsächlich damit zu tun, dass eine sich selbst ernstnehmende Religion auf eine religionsfrei gewordene Gesellschaft stößt.

domradio.de: Das heißt, die Politik hat eine große Mitverantwortung für diesen erstarkenden Rechtspopulismus? Es spielt aber auch eine entscheidende Rolle, dass zum Beispiel die Menschen, die zu uns kommen, anderen Glaubens sind?

Patzelt: So ist es. In Deutschland hat man sich ja an die Vorstellung gewöhnt, dass Glaube und Religion etwas Altmodisches ist und dem modernen, freiheitlichen und zukunftsorientierten Denken widerspricht. Daher soll Religion nach Möglichkeit ein flaches Profil haben und das Denken der Menschen nicht mehr prägen.

Nun kommt aber mit dem Islam eine Religion in unsere Gesellschaft, die sich ernst nimmt. Für die Muslime – insbesondere für diejenigen, die geflüchtet sind – ist die Religion wichtig, weil sie ein Stück Heimat transportiert. Damit wird unsere Gesellschaft nicht fertig.

domradio.de: Die ganze Gesellschaft?

Patzelt: Die Einzigen, die überhaupt intellektuell und emotional damit fertig werden können, sind Menschen, die selbst religiös sind. Religiöse Menschen - zum Beispiel praktizierende Christen - begreifen, dass der Islam für Muslime genauso das Dasein erfüllt und Sinn spendet, wie bei praktizierenden Christen auch. In Gebieten, wo es wenige bis gar keine aktiven Christen gibt, wird die Islamophobie besonders aufgebauscht. Das lässt sich zum Beispiel in Ostdeutschland beobachten.

domradio.de: Heißt das, dass das von Ihnen erwähnte flache Profil der christlichen Kirchen einfach versuchen sollte, sich zu schärfen und zu stärken?  

Patzelt: Es könnte nicht schaden, wenn Christen wieder das wären, was man biblisch als "Salz der Erde" bezeichnet. Stattdessen habe ich den Eindruck, dass viele Kirchen den institutionellen bequemen Kurzschluss suchen.

Das heißt: Kirchenführer verbinden sich mit politischen Führern und machen sich zu spirituellen und transzendentalen Handlangern politischer Gestaltungsarbeit. Das ist nicht nur im evangelischen, sondern auch im katholischen Bereich sichtbar. Das führt dann innerhalb der Glaubensgemeinschaft leicht zu einer Entfremdung zwischen Kirchenvolk und Kirchenführung.

domradio.de: Können Sie dafür ein Beispiel nennen?

Patzelt: Die evangelischen Kirchen haben sich weitestgehend mit der Einwanderungspolitik der Bundesrepublik identifiziert. Das hat innerhalb der evangelischen Kirche eine starke Revolte gegen eine allzu rot-grüne Kirchenleitung nach sich gezogen hat. Das hat pietistischen und freikirchlichen Tendenzen Aufschwung gegeben. Im katholischen Bereich bleibt abzuwarten, ob sich Ähnliches ergeben wird.

domradio.de: Was muss die katholische Kirche tun, um Kante gegen Rechtspopulisten zu zeigen?

Patzelt: Die katholische Kirche - wie überhaupt jede christliche Kirche  - muss Kante gegen Unmenschlichkeit zeigen. Ob sich die Unmenschlichkeit rechtspopulistisch, linkspopulistisch oder sonst wie äußert - das ist zweitrangig. Es täte der Kirche gut daran, zu wissen, dass das Reich Gottes nicht von dieser Welt ist. Politische Aufgaben sind nicht von der Kirche zu bewältigen, sondern Politik ist für andere Bereiche zuständig, als die Religion.

Was konkret politisch Verirrte - derzeit Rechtspopulisten - betrifft, schadet es nicht, sich das Beispiel vom guten Hirten und dem verlorenen Schaf vor Augen zu führen. Es wäre schon eine Aufgabe von Kirchen, den verlorenen Schafen nachzugehen und sie wieder einzufangen, statt zu sagen, die sind ohnehin weg. Oder: Wir geben diesen verlorenen Schafen noch einen Fußtritt, damit sie in die Bedeutungslosigkeit oder sonst wohin abstürzen. Hier scheinen mir die christlichen Kirchen nicht immer die richtigen Reaktionsmuster an den Tag gelegt zu haben.

Das Gespräch führte Uta Vorbrodt.

Am Dienstag erscheint das Buch "AfD, Pegida und Co.: Angriff auf die Religionen" im Herder-Verlag. Es enthält Aufsätze unter anderem vom Kölner Kardinal Wölki und dem Politikwissenschaftler Professor Werner Patzelt von der Technischen Universität Dresden.


Prof. Werner Patzelt / © Karlheinz Schindler (dpa)
Prof. Werner Patzelt / © Karlheinz Schindler ( dpa )
Quelle:
DR