DOMRADIO.DE: Die Ortsbürgermeisterin Desire Beth hat in Interviews beschrieben, wie ein kleiner Ort zusammensteht. Wie haben Sie die Situation in den vergangenen Tagen in Kröv wahrgenommen?
Hubertus Kesselheim (Polizeiseelsorger): Genau so, wie Desire Beth es beschrieben hat. Die Menschen in Kröv stehen zusammen. Es ist ein toller Zusammenhalt. Ich erlebe das auch in der Vorbereitung auf den Gottesdienst. Wir haben eine Andacht mit Innehalten und Halt geben geplant.
Viele haben bei der Vorbereitung des Gartens für die Andacht angepackt. Sie haben Tische und Bänke gestellt und alles vorbereitet. Eine Musikgruppe hat sich gebildet, die die Andacht musikalisch begleiten möchte.
Das sind Menschen, die selbst auch betroffen sind, weil das eingestürzte Hotel, ihr Stammtisch und Treffpunkt war. Es war teilweise auch der Ort, an dem sie seit Jahrzehnten ein und aus gegangen sind.
DOMRADIO.DE: Sie haben am Sonntag der Toten in einem Gottesdienst gedacht. Sie sagen, dass dort jeder willkommen ist. Welche Bedeutung hat dieser Gottesdienst und auch ein möglicher Austausch danach?
Kesselheim: Ich nenne es Andacht. Wir bieten sie bewusst für die Rettungskräfte, für alle, die beteiligt waren und natürlich für die Menschen von Kröv an. Wir wollen in dieser Andacht dem Geschehen, vor allen Dingen den vielen Emotionen, die sehr unterschiedlich sind, Raum geben.
Wir haben auf der einen Seite tiefe Trauer und auf der anderen Seite Glücksmomente der Geretteten. Das zusammenzuführen und in Worte fassen zu können, wo keine Worte da waren, das ist der Sinn dieser Andacht, dieses Zusammenseins.
Wir wollen danach zu einem gemeinsamen zweiten Frühstück einladen, bei dem man noch zusammensitzen und sich zum Beispiel über die Grenzen der eigenen Organisation hinweg austauschen kann. Dass der Feuerwehrmann mit dem Roten-Kreuz-Helfer, der Notarzt mit den Menschen, die einfach nur Getränke zur Verfügung gestellt haben, ins Gespräch kommen kann.
DOMRADIO.DE: Sie sind seit vielen Jahren in Rheinland-Pfalz als Seelsorger unterwegs. Was können Sie in Kröv tun? Wie sieht Ihre Arbeit aus?
Kesselheim: Ich sage mal so, es ist eine nachgeordnete Arbeit. Krisenintervention bedeutet, dass man Menschen, denen der Boden unter den Füßen weggezogen worden ist, versucht, den Boden wieder unter die Füße zu geben.
Reden und vor allen Dingen Zuhören ist die wichtigste Aufgabe, die wir haben. Das ist nicht nur Aufgabe von Seelsorge. Das können die Menschen auch untereinander tun. Ich glaube, jeder kann ein Stück Seelsorger sein, wenn er bereit ist, wirklich zuzuhören.
Ich erlebe es immer wieder, dass Menschen, die am Rande eines Traumas stehen oder die ein Trauma erlebt haben, ganz oft dasselbe erzählen. Sie erzählen immer wieder das Gleiche und wollen es loswerden.
Das auszuhalten und sich immer wieder das Gleiche anzuhören, ohne es zu bewerten, ist eine ganz wichtige Aufgabe von Krisenbegleitung, von Traumabegleitung und von Seelsorge.
DOMRADIO.DE: Menschen machen Urlaub, gönnen sich eine Auszeit, fahren in ein schönes Hotel an der Mosel und dann passiert das Unglück. Die, die überleben, fahren mit diesem Schrecken nach Hause. Wie wird man damit fertig?
Kesselheim: Das ist die entscheidende Frage. Ich glaube, jeder hat das anders erlebt. Eine ältere Dame hat im Fernsehen über ihr Erlebnis berichtet. Sie war verschüttet und hat davon gesprochen, dass sie gebetet hat und dass sie ihren Urlaub nach diesem Unglück mit zwei Freundinnen, mit denen sie zusammen unterwegs ist, fortsetzt.
Sie sagt aus einem tiefen Gottvertrauen heraus: "Danke Gott, dass ich gerettet wurde. Das Leben geht jetzt weiter." Andere werden mit Sicherheit sehr darunter leiden, unter dem Eingeschlossen gewesen zu sein in dem langen Warten auf die Retter. Das sind traumatische Geschehnisse und damit umzugehen, das wird schwierig. Es wird vielleicht auch die eine oder andere längere therapeutische Begleitung brauchen.
DOMRADIO.DE: Sie sind sehr erfahren und haben schon viele Einsätze erlebt. Wie sehr nimmt sie so ein Unglück wie in Kröv persönlich mit?
Kesselheim: Jedes Ereignis ist anders. Das klingt vielleicht komisch, aber es ist etwas, was mich in den letzten Jahren prägt. Es ist ein Teil unseres Lebens. Es ist ein Teil unseres menschlichen Lebens, dass Dinge passieren, die wir kaum begreifen können. Das passiert von einem Augenblick auf den anderen.
Sei es ein schwerer Verkehrsunfall mit mehreren Toten, sei es eine Amokfahrt, wie wir sie in Trier erlebt haben oder die Flut im Ahrtal. Sei es der Einsturz eines Hotels. Es sind Dinge, die geschehen, und sie gehören tatsächlich zu unserem Menschsein dazu.
So tragisch wie es jeweils im Einzelfall ist. Die Helfer und Helferinnen wie auch wir Seelsorger können nicht sagen, dass wir dran gewöhnt sind, weil jeder Fall seine eigene Herausforderung hat.
Wir haben aber gelernt oder ich hoffe, dass wir alle gelernt haben, damit umzugehen und das einzuordnen als einen Teil unseres Lebens, in dem wir da sein müssen und in dem wir zueinander stehen müssen.
Das Inteview führte Carsten Döpp.