DOMRADIO.DE: Viele begreifen offenbar wieder stärker die Bedeutung der Natur für uns Menschen. Wir bauen zum Beispiel wieder Kräuter an und beschäftigen uns mit der Wirkung. Dabei ist das ein ganz altes Wissen unserer Vorfahren. Wie kommt es wohl zu dieser Entwicklung?
Dr. Rainer Hagencord (Leiter des Instituts für Theologische Zoologie e. V.): Das fällt mir auch auf. Ich habe gestern noch mit meiner Mutter, die inzwischen 93 ist, gesprochen. Sie sagt, in ihrer Grundschulzeit gehörte das noch dazu, dass man Kräuter sammelte, trocknete und sich auch genau damit beschäftigte, wofür das eine oder andere Kräutlein gut ist. Wir können im Grunde auch hier im Münsterland von einem indigenen Wissen sprechen. Den Begriff verwenden wir im Zusammenhang mit Menschen, die in Lateinamerika oder in anderen Orten dieser Welt leben, denen ein Wissen vorliegt, was uns Menschen als Teil der Natur sieht. Das kennen wir aber auch hier in Europa - die Kräutersegnungen morgen sind ein Hinweis darauf.
DOMRADIO.DE: Ist die Natur für uns ein Segen?
Hagencord: Unbedingt. Ich schlage mal den Bogen von den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen, die sich mehr und mehr breitmachen, hin zu den ersten Seiten der Bibel. Da sind nicht zu allererst die Pflanzen, aber sie sind natürlich auch Teil des Mythos des Sieben-Tage-Werkes. Aber spätestens die Tiere sind die Gesegneten, sie sind die zuerst Gesegneten der Schöpfung. Segen ist hier etwas, das in der Schöpfung vorliegt, also nicht etwas, was von außen dazukommt, was wir vielleicht auch als einen Missbrauch verstehen können, wenn wir bestimmte Dinge segnen und somit Gott spielen. Nein, die biblischen Autoren wissen, dass der Segen in der Schöpfung liegt.
DOMRADIO.DE: Warum tut die Natur uns so gut?
Hagencord: Weil wir Naturwesen sind. Je stärker wir die Umweltzerstörung wahrnehmen, je stärker wir erleben, wie uns Lebensmittel aus der industriellen Nutzung oder industriellen Herstellung nicht guttun, desto mehr werden wir wieder aufmerksam. Ein Stichwort ist auch das sogenannte Waldbaden. Als man vor zehn Jahren das erste Mal darüber nachdachte, erntete man nur ein Lächeln. Inzwischen wird es von der Krankenkasse bezahlt.
Dahinter stecken auch naturwissenschaftliche Erkenntnisse, dass bei dem, der im Wald unterwegs ist - wenn auch nur eine halbe Stunde - die Herzfrequenz verringert wird. Ein anderer Stoffwechsel tritt in Kraft, die Atmung wird verändert. Das sind wirklich medizinisch nachweisbare Prozesse, die im Wald stattfinden. Die Kräuterbücher, ich habe heute wieder reingeschaut, sind so allumfassend. Dort wird beschrieben, dass da eine Königskerze, ein Rainfarn oder ein Johanniskraut wirklich nachweisbare Wirkungen auf andere Organe und Stoffwechselvorgänge aufzeigen.
DOMRADIO.DE: Wie ist das umgekehrt? Ist der Mensch auch ein Segen für die Natur?
Hagencord: Die Antwort ist relativ einfach. Wir sind gerade dabei, unsere Lebensgrundlagen zu vernichten und zu zerstören. Das ist genau das Gegenteil von dem, was biblisch angesagt ist, dass wir ein Segen sein sollen. Dass wir jetzt die Chance haben, kann ein ganz wichtiger Baustein sein, ein anderes Bewusstsein herzustellen, in die Natur einzutauchen. Wir wissen, dass wir Teil der Natur sind, dass wir ohne Pflanzen und Tiere überhaupt keine Überlebenschance mehr haben. Dass es uns auch guttut.
Es wird sehr viel von Verzicht geredet, und eine Gesellschaft will das offenbar auch nicht. Das zeigen die aktuellen Umfragen: 90 Prozent sind zwar damit einverstanden, dass gegen den Klimawandel was getan wird, aber nur die Hälfte davon ist auch bereit, den persönlichen Lebensstil zu verändern.
Darum ist möglicherweise auch ein Fest wie morgen, in dem das in den Gemeinden noch mal deutlich wird, dass der Segen in der Natur liegt, ein wichtiger Impuls für eine sozial ökologische Transformation, die jetzt ansteht.
DOMRADIO.DE: Pflanzen und Tierwelt gehören zusammen. Wie gehen wir mit Tieren heute um? Da denke ich zum Beispiel an die Insekten, die totgeschlagen werden, ohne dass wir Menschen darüber nachdenken, was eigentlich Insekten für uns tun.
Hagencord: Wir haben das Glück, dass das Institut für Theologische Zoologie eine Heimat am Haus Mariengrund hat. Dort haben wir neben unserem wunderbaren Kräutergarten auch die Bienenwiese, dort residiert dann die entsprechende Königin mit ihrem Volk und daneben wohnen unsere Esel. Das heißt, wir haben hier die Natur mit drei verschiedenen Repräsentantinnen und dazu zählen auch die Bienen.
Die Bienen sind einerseits sogenannte Zeigerorganismen. Das heißt, je nachdem, wie es den Bienen geht, geht es auch den anderen wildlebenden Insekten. Und denen geht es nun wirklich schon lange an den Kragen. Wie gut Honig ist, wissen wir. Ich nehme den Honig auch, wenn ich merke, da kommt eine Erkältung. Wenn es ganz heftig wird, nehme ich auch das Propolis. Das ist ein wirksames Mittel, das die Bienen herstellen, um ihre Waben vor Bakterien und Viren zu schützen. Das wirkt unmittelbar. Das wussten auch schon uralte Völker, dass hier die Bienen mit ihren Produkten sozusagen ein Segen für uns sind. Wir gehen dann weiter zu unseren Eseln, die auch in tiergestützter Arbeit ein Segen für Menschen sind, die Erkrankungen haben, die einen reduzierten Lebenswillen haben. Unsere Esel sorgen auch dafür, dass Menschen wieder heiler werden.
DOMRADIO.DE: Warum ist es für die Seele vieler Menschen so wohltuend mit Tieren zusammen zu sein?
Hagencord: Ein Freund von mir, der eine große Einrichtung der Jugendhilfe leitet - in dieser Einrichtung sind sehr viele Kinder und Jugendliche aus unsäglichen Situationen gestrandet - wirken Lamas und Pferde und auch Kamele segensreich. Mein Freund sagt immer, die Tiere lesen keine Akten und auch unsere Esel sind immer total vorbehaltlos, absolut präsent, man kann sagen voller Liebe, weil sie sich uns zuwenden, dann, wenn sie wollen. Es ist also eine Freiheit, die im Spiel ist.
Dann erleben manche Menschen Kontakt mit unseren Eseln. Den Kontakt gestalten wir so, dass die Menschen schweigend auf die Wiese gehen, dass die Esel kommen, wenn sie wollen. In diesem Kontakt geschieht oft etwas, dass die Menschen hinterher aufatmen und sagen: Das war jetzt wirklich ein Segen für mich, dieser Kontakt mit unseren beiden Eseln.
DOMRADIO.DE: Wie können wir den morgigen Mariä-Himmelfahrtstag nutzen?
Hagencord: Indem wir den Blick von den Kräutern, die uns guttun, weiten in die Landschaften, die wir dringend einer anderen Landwirtschaft zuführen müssen, hin zu den Tieren, für die wir sowohl in den Ökosystemen dieser Erde als auch in der industriellen Tierhaltung, in den Schlachthöfen alles andere als ein Segen sind. Also dringend ab morgen den Konsum verändern.
Das Interview führte Dagmar Peters.