DOMRADIO.DE: Warum ist es überhaupt notwendig, wichtige Frauen der Geschichte in Nordrhein-Westfalen sichtbar zu machen?

Saskia Bellem (Projektleiterin FrauenOrte NRW): Wir finden es wichtig, die doch sehr einseitige Geschichtsschreibung etwas zurechtzurücken. Es scheint oft so, als sei die Geschichte Nordrhein-Westfalens von Männern für Männer geschrieben worden. Dabei wissen wir doch, dass auch viele Frauen entscheidend dazu beigetragen haben. Aber genau das wird sowohl im öffentlichen Raum als auch in den Geschichtsbüchern zu wenig abgebildet. Deswegen möchten wir große, bedeutende, aber auch weniger bekannte Frauen mit diesem Projekt wieder in den Mittelpunkt rücken.
DOMRADIO.DE: Wie erinnern Sie an den Orten, an denen die jeweilige Frau gewirkt hat, an sie?
Bellem: Wir hatten die Öffentlichkeit dazu aufgerufen, uns ihre Vorschläge zu schicken; sie sollten uns Namen von Frauen aus ihren Kommunen und Gemeinden nennen, die sie wichtig finden. Und an den Orten, an denen diese Damen gewirkt, gelebt, gearbeitet haben, hängen wir jetzt Plaketten und Infotafeln auf oder stellen Infostelen auf. Wir möchten, dass Menschen, die dort vorbeikommen, diese Tafeln sehen, stehen bleiben und darüber lesen, was diese Frauen an genau dieser Stelle bewirkt und geleistet haben.
DOMRADIO.DE: Gerade erst haben Sie zwei solcher Gedenkstelen in Werl aufgestellt – für Hedwig Dransfeld, die katholische Politikerin, die auch den Katholischen Frauenbund mitgegründet und mitgeprägt hat. Was macht sie gerade heute so wichtig?
Bellem: Alle Frauen, die wir mit einem FrauenOrt ehren, haben gemeinsam, dass sie sich gegen Widerstände durchgesetzt und in Domänen behauptet haben, die sehr lange hauptsächlich von Männern geprägt waren – zum Beispiel in der Politik. Teilweise haben sie dafür sogar Gefahr für Leib und Leben in Kauf genommen. Sie alle wollten das Leben von Frauen besser machen und zum Beispiel Bildung für Mädchen ermöglichen. Hedwig Dransfeld war vielseitig politisch und kirchlich engagiert. Dem wollten wir mit den Stelen an zwei Standorten Rechnung tragen, sodass die Leute sich jetzt informieren und sich ein Vorbild an ihrem Wirken nehmen können.

DOMRADIO.DE: Eine weitere wichtige katholische Frau war die Essener Äbtissin Mathilde. Warum lohnt es sich, ihrer zu gedenken?
Bellem: Äbtissin Mathilde hat im zehnten und elften Jahrhundert gelebt und ganz entscheidend die Reichtümer ihres Ordens vergrößert und vermehrt. Sie hat sehr klug gewirtschaftet und für ihr Kloster Kunstschätze angeworben. Sie war aber nicht nur Mäzenin, sondern auch eine weitsichtige und kluge Verhandlungsführerin. Noch heute sehen wir in Essen, vor allem im dortigen Domschatz, vieles von dem, was sie vor über 1.000 Jahren beschafft hat. Ihr Durchsetzungsvermögen kann uns noch heute Vorbild sei. Dem wollten wir mit einem FrauenOrt Rechnung tragen.
DOMRADIO.DE: Sie haben noch weitere Äbtissinnen im Projekt. Wen zum Beispiel? Und was zeigt das über die Bedeutung der Orden für Frauen ganz allgemein?
Bellem: Zum einen zeigt das, dass Klöster nicht nur Zufluchtsorte für Frauen sind, sondern auch Orte der Selbstermächtigung und Selbstverwirklichung. Äbtissinnen haben zum Teil so nachhaltig und visionär gewirtschaftet, dass diese Entwicklungen noch heute zu sehen sind. So hat zum Beispiel Fürstäbtissin Maria Kunigunde von Sachsen Schloß Borbeck in Essen mit ausgebaut, sie hat den Neubau und den Landschaftspark dort anlegen lassen. Sie haben in Essen aber auch so klug geplant, dass sie beispielsweise Bedürfnisse von Frauen besondere Rechnung getragen und einen Damenstift gegründet haben, mit eigenen Waschräumen für die Frauen. Wir würden heute sagen, diese Ordensfrauen waren in ihrem Wirken quasi feministisch.

DOMRADIO.DE: Unter den Kirchenfrauen ist auch die Protestantin Ursula Schafmeister. Was sind ihre Verdienste?
Bellem: Für Ursula Schafmeister gibt es seit März 2025 einen FrauenOrt in Bochum. Sie war die erste evangelische Pfarrerin in Bochum und hat sich vor allem in den 1970er Jahren stark dafür eingesetzt, dass Frauen und Männer in der evangelischen Kirche in Westfalen gleichgestellt sind, gleichberechtigt werden. Ihr und ihren Mitstreiterinnen war es nicht genug, Vikarinnen zu sein. Das reichte ihnen nicht an Befugnissen und an Berechtigungen. Sie haben lange gekämpft, bis sie dann die erste evangelische Pfarrerin wurde. Das ist etwas ganz Besonderes – ein Meilenstein für Frauen im Allgemeinen und für Bochum im Besonderen. Deswegen hat Ursula Schafmeister jetzt in Bochum ihren eigenen Erinnerungsort.
DOMRADIO.DE: Das Projekt FrauenOrte ist noch im Werden begriffen. Welche Reaktionen haben Sie dort bekommen, wo die Orte schon realisiert sind?
Bellem: Dieses Projekt erfährt wirklich universelle Liebe. Wir haben keinerlei Kritik bekommen, im Gegenteil können sich viele damit identifizieren. Die meisten finden, dass Menschen, die etwas geleistet haben, dafür auch gewürdigt werden sollen und sehen ein, dass Frauen in dieser Hinsicht viel zu kurz gekommen sind. Das sehen wir übrigens auch jeden Tag im Straßenbild: Nur zehn Prozent aller Straßen, die nach Menschen benannt sind, tragen einen Frauennamen. Bei Denkmälern und Statuen bewegen sich die Prozentsätze sogar nur im einstelligen Bereich. Dass wir auf diesen Missstand reagieren, nehmen die meisten Leute wahr und honorieren es auch.
DOMRADIO.DE: Was, wünschen Sie sich, sollen die FrauenOrte NRW bewirken?
Bellem: Die FrauenOrte NRW sollen im Idealfall bewirken, dass die Geschichtsschreibung korrigiert wird. Sie sollen den vielen Frauen den Platz in der Geschichte verschaffen, den sie verdient haben. Weil sie nämlich Wichtiges dazu beigetragen haben – im Großen wie im Kleinen. Das sollte sich in den Geschichtsbüchern genauso niederschlagen wie im Geschichtsunterricht. Zum anderen wollen wir schlicht Gerechtigkeit. Über die FrauenOrte bilden wir gerechter die Leistung von Menschen für die Geschichtsschreibung unseres Bundeslandes ab. Das macht sich dann auch im Straßenbild bemerkbar, wenn die Leute sich über die Stelen oder Infotafeln über solche Frauen informieren können. Im Idealfall verknüpft sich der Name der jeweiligen Frau dann genauso selbstverständlich mit einem Ort, mit einer Kommune, mit einer Stadt, wie es bei vielen Männernamen längst der Fall ist.
Das Interview führte Hilde Regeniter.