DOMRADIO.DE: Hedwig Dransfeld ist früh Waise geworden und war schwer krank. Aber sie hat nie aufgegeben und ist später zum Role Model für andere Frauen geworden. Wie hat sie das geschafft?

Dr. Anne Deter (Diözesanvorsitzende des Katholischen Deutschen Frauenbundes (KDFB) im Erzbistum Paderborn): Ich finde es sehr beeindruckend, dass sie wirklich nie aufgegeben hat, dass sie sich trotz ihrer schweren Krankheit und trotz des frühen Verlustes ihrer Eltern so durchgekämpft hat. So hat sie es geschafft hat, schon mit 16 Jahren nach Paderborn ans Lehrerinnen-Seminar zu kommen.
Relativ früh hat sie im Jahr 1905 die Zeitschrift "Die christliche Frau" – die heutige KDFB-Zeitschrift "engagiert" - übernommen und als Sprachrohr für Frauenrechte ausgebaut. Ihr Ziel war dabei immer klar: Sie wollte Frauen stark machen in Bildung, Gesellschaft und Politik. Dabei war ihr bewusst, dass Einigkeit stark macht, dass Frauen Netzwerke, Bildung und auch Mut zur Teilhabe brauchen.
DOMRADIO.DE: Hedwig Dransfeld hat zum Beispiel für das Frauenwahlrecht gekämpft. Was waren ihre wichtigsten politischen Verdienste?
Deter: Da sollten wir betonen, dass Hedwig Dransfeld sich nicht nur für das Wahlrecht eingesetzt hat, sondern echte Mitbestimmung der Frauen wollte. Sie zog 1919 in die Weimarer Nationalversammlung ein und war später Abgeordnete des Zentrums im Reichstag. Sie hat sich dabei schon früh für bessere Bildung, soziale Absicherung von Frauen und auch für Reformen im Ehe- und Familienrecht, beispielsweise im Vormundschaftsrecht, eingesetzt.
Sie kämpfte dafür, dass Frauen nicht einfach nur Wählerinnen sind, sondern auch Gestalterinnen der Politik werden. Dabei war ihr Einfluss enorm. Wir kennen das aus dem Grundgesetz, aber auch in der Weimarer Verfassung finden wir schon den Satz, dass Männer und Frauen rechtlich gleich sind. Das ist ein Meilenstein, für den sie gestritten hat. Hedwig Dransfeld sagte auch, dass Frauen sich selber ermächtigen müssen, dass sie selbst aktiv werden und sich vernetzen müssen. Dabei war ihre Botschaft klar: ‚Die Zeit will es, ob wir wollen oder nicht.‘
DOMRADIO.DE: Als Katholikin hat sie sich auch in der eigenen Kirche für Emanzipation eingesetzt, zum Beispiel als Präsidentin des Katholischen Frauenbundes. Was hat sie da angestoßen, worauf hat sie Wert gelegt?
Deter: Zum einen war ihr auch dort wichtig, dass Frauen nicht nur Mitglieder und Zuschauerinnen sind, sondern auch mitbestimmen. Das hat sie in ihrer Organisation, im Katholischen Frauenbund, durch Bildung vorangetrieben. Sie hat sich dafür eingesetzt, dass Mädchen die gleichen Bildungschancen haben wie Jungen. Nicht nur, damit sie zu Hause die richtigen Ansprechpartner sind, sondern damit sie sich selbst ermächtigen und nach vorne kommen können.

Sie hat sich für Mitbestimmung der Frauen in der Kirche eingesetzt und für soziale Gerechtigkeit. Als Gedächtnis an Hedwig Dransfeld bleibt die Frauenfriedenskirche in Frankfurt, die sie mit aufgebaut hat. Dieses Mahnmal für Frieden nach dem Ersten Weltkrieg war komplett von Frauen initiiert und bezahlt. Hedwig Dransfeld sagte schon 1912: "Jede Frau hat das Recht auf ihre eigene Meinung und darauf, dass sie respektiert wird". Sie wollte nicht nur Anerkennung und Teilhabe, sie wollte auch Mitwirkung und Mitbestimmung in Kirche und Gesellschaft.
DOMRADIO.DE: "Die Stunde ruft uns zur Tat" - das war Hedwig Dransfelds Leitwort und tiefe Überzeugung. Wie aktuell ist ihr Zeugnis heute, wo zum Beispiel der Frauenanteil im neu gewählten Bundestag gesunken ist und jetzt bei nicht einmal einem Drittel liegt?
Deter: Das Motto könnte gar nicht aktueller sein: "Die Stunde ruft uns zur Tat". Das müssen wir uns eigentlich jeden Tag auf den Laptop und auf den Spiegel schreiben. Denn in der Tat ist der Frauenanteil im Bundestag gesunken, wir haben auch immer noch keine Gleichberechtigung und Gleichstellung bei den Gehältern. Wir sehen Frauen in vielen anderen Bereichen der Wirtschaft und der Verwaltung noch immer unterrepräsentiert.
Hedwig Dransfeld hätte sicherlich gesagt, "Es reicht nicht über Frauenrechte zu reden, wir müssen handeln!" Demokratie lebt bekanntlich von Beteiligung und wir brauchen eine echte Gleichberechtigung. Diese ist noch nicht erreicht und Dranfelds Botschaft ist, dass nicht warten dürfen, bis sich etwas verändert. Wir müssen selbst handeln, wir müssen es selbst in die Hand nehmen.
DOMRADIO.DE: Zu ihrem 100. Todestag am 13. März werden jetzt in Werl, wo Hedwig Dransfeld lange gelebt und gearbeitet hat, zwei Gedenkstelen für sie aufgestellt - im Rahmen des Projekts FrauenOrte NRW. Wo genau und warum ist das wichtig?
Deter: Es werden Gedenkstelen an Erinnerungsorten aufgestellt in der Stadt, wo sie gewohnt hat und am Friedhof, wo sie beerdigt ist und wo schon ein Denkmal des Katholischen Frauenbundes steht. Wichtig ist dabei, dass diese Stelen nicht einfach nur Hinweise darauf sind, dass Hedwig Dransfeld hier gelebt hat, dass sie hier begraben ist. Sie sollen sichtbar machen, was lange unsichtbar war, nämlich dass hier eine Frau wirklich Geschichte geschrieben hat.
Ihr Beispiel zeigt, dass Bildung, politisches Engagement und soziale Verantwortung zusammengehören, dass wir zusammen gestalten müssen. Deswegen ist diese Ehrung auch so wichtig. Sie erinnert uns daran, wie wichtig Frauen für unsere Gesellschaft sind. Ohne Frauen wie Hedwig Dransfeld wäre unsere Gesellschaft heute eine andere. Es geht nicht nur um diese Erinnerung, sondern sie soll auch uns Frauen heute ermutigen, uns einzumischen. Dafür stehen meines Erachtens diese Stelen. Ich will mit dem KDFB dafür sorgen, dass dieses Vermächtnis weiterlebt und dass wir es auch in die Zukunft tragen. Denn es ist noch viel zu tun.
Das Gespräch führte Hilde Regeniter.