DOMRADIO.DE: Herr Nersinger, wie hat man denn traditionell im Vatikan gefeiert? Mit Umzug, Kostümen, Kamelle?

Ulrich Nersinger (Vatikan-Kenner und Journalist): Gefeiert hat man insbesondere in der Stadt Rom. Im Vatikan selber ist das weniger ausgeprägt gewesen, aber die Päpste waren große Förderer des Römischen Karnevals. Also vor allen Dingen Martin V., der 1417 auf dem Konzil von Konstanz zum Papst gewählt wurde.
Er hat die alten römischen Karnevalsbräuche, die es seit der Antike gegeben hatte, erweitert. Die Römer konnten fortan an mehreren Tagen feiern.
Mit Paul II. gab es einen Papst, der aus Venedig kam. Er führte 1466 die sogenannten Karnevalsrennen ein. Das war damals die Hauptbelustigung in Rom. Wer schon mal in Rom war, kennt vielleicht die Via del Corso. Diese Straße hat der Papst so genannt, weil auf ihr die Karnevalsrennen stattfanden.

DOMRADIO.DE: Die Feierlichkeiten wurden also wegen der Päpste umfangreicher?
Nersinger: Ja, sie dauerten nun bis zum Abend des Karnevalsdienstags. Teilweise wurde der Karneval direkt durch die Päpste finanziert. Sixtus IV. hat im 15. Jahrhundert die Gehälter der Professoren und Lektoren der Sapienza, der großen römischen Universität, zur Finanzierung des Karnevalsfestes besteuert.
DOMRADIO.DE: In seiner 200-jährigen Geschichte musste der Rosenmontagszug in Köln ja schon 39 mal ausfallen. Weltwirtschaftskrise, Krieg, Sturm, Streit im Festkomitee oder Corona sind nur einige der Gründe. Ist der Karneval in Rom schon einmal ausgefallen?
Nersinger: In Rom fiel Karneval weniger häufig aus. Ich habe mal nachgeschaut: 1631 fiel er aus, weil die Pest in Rom herrschte. 1703 hatten wir in ganz Italien ein gewaltiges Erdbeben. Solche Katastrophen waren meistens die Gründe für den Ausfall eines Karnevalsfestes.
In den Heiligen Jahren versuchte man interessanterweise, den Karneval zurückzudrängen oder sogar ganz zu untersagen. Aber ansonsten ist eigentlich immer Karneval gefeiert worden. Aber natürlich haben auch schwere Erkrankungen oder der Tod von Päpsten eine Rolle gespielt.

DOMRADIO.DE: Einmal hat man den Tod des Papstes an Karneval ja verschwiegen.
Nersinger: Genau. Als Benedikt XIII. 1730 an einem Karnevalstag starb, hat man den Tod des Papstes verschwiegen. Man wollte die Römer nicht zu irgendwelchen Gegenreaktionen aufreizen, denn für die Römer war das Karnevalsfest doch etwas sehr Existenzielles.
Man befürchtete, dass es zu Aufständen kommen könnte, sollte Karneval ausfallen. Daher hat man den Tod des Papstes bis zum Ende des Karnevalsfestes verschwiegen.
DOMRADIO.DE: Also war es dem Vatikan immer wichtig, dass der Karneval stattfindet. Warum eigentlich?
Nersinger: Der Karneval war seit der Antike eine Institution des Zusammenlebens. Er war und ist ja eine Umkehrung der Verhältnisse. Aus dem Sklaven oder aus dem Diener wurde der Herr, und aus dem Herrn wurde der Diener.
Im Karneval sah man einen Anlass, der auch Kritik an den bestehenden Verhältnissen erlaubte und damit auch viel Dampf aus mancher angespannten Situation herausnahm. Es handelte sich also um ein Korrektiv in politisch schwierigen Situationen.
DOMRADIO.DE: Für Papst Franziskus ist dieses Jahr wegen seiner Krankheit logischerweise nicht an Karneval zu denken. Aber wie steht er denn generell dem ausgelassenen Feiern zu Beginn der Fastenzeit gegenüber?
Nersinger: Ich weiß es nicht genau, aber ich vermute, dass er als Südamerikaner dem Karneval etwas aufgeschlossener entgegensteht. Man muss natürlich sehen, dass der Karneval in Rom seit Jahrzehnten kein großes Ereignis mehr ist. Das hat übrigens auch mit dem Ende des Kirchenstaates zu tun.
Nach dem Ende des Kirchenstaates 1870 wollte die italienische Regierung mehr Seriosität propagieren und hat den Karneval als etwas Niederes, als etwas Plebejisches angesehen und hat das Volksfest mehr oder weniger unterbunden. Der Karneval konnte sich nach der Zeit, als die Päpste als große Förderer aktiv gewesen waren, nicht mehr erholen.

Wenn man Reinhard Raffalt, den großen Schriftsteller, der viel über Rom geschrieben hat, zur Hand nimmt, dann liest man von deprimierenden Zuständen. Man habe damals nur noch vereinzelt Kinder gesehen, gekleidet mit schlecht sitzenden Uniformen der Schweizer Garde, und ein paar wenige Leute, die Konfetti warfen. Aber der echte römische Karneval ist seither leider tot.
DOMRADIO.DE: Haben Sie selber mal was Karnevalistisches in Rom erlebt?
Nersinger: Man hat mal versucht so einen Umzug zu machen und man macht ihn auch heute noch. Aber der ist, wie Reinhard Raffalt schon prophezeit hat, eher kläglich. Der Karneval ist in Rom einfach nicht mehr präsent. Es gibt ihn noch ab und zu in Bällen für geschlossene Gesellschaften, aber eine richtige Volksbelustigung ist er leider nicht mehr.
DOMRADIO.DE: Also wir halten fest, in Ihrer Heimat Eschweiler ist der Karneval viel größer.
Nersinger: Ja, natürlich, keine Frage!
Das Interview führte Carsten Döpp.