In Bolivien sind am Montag (Ortszeit) in verschiedenen Städten tausende Menschen auf die Straßen gegangen, um gegen die Verhaftung der ehemaligen Interims-Präsidentin Jeanine Anez sowie weiterer ehemaliger Kabinettsmitglieder und Oppositioneller zu demonstrieren.
Sie werfen der Regierung des sozialistischen Präsidenten Luis Arce sowie Ex-Präsident Evo Morales vor, Regierungsgegner gezielt politisch verfolgen und den Rechtsstaat aushöhlen zu wollen. Proteste wurden aus La Paz, Santa Cruz, Cochabamna, Beni, Sucre gemeldet. Die Oppositionshochburg Santa Cruz bot Regierungsgegnern "politisches Asyl" an.
Morales kritisiert Kirche
Boliviens Ex-Präsident Evo Morales hatte zuvor die katholische Kirche nach ihrer Kritik an der Verhaftung von Anez scharf attackiert.
Einige Vertreter der katholischen Kirche hätten sich auf die Seite der Unterdrücker gestellt, sagte Morales laut "El Deber" am Montag (Ortszeit). Diese Kirchenvertreter hätten die einfachen Menschen vergessen und forderten die Freiheit der Putschisten, so Morales.
Boliviens Justizminister Ivan Lima forderte laut "El Deber" 30 Jahre Haft für Anez wegen zahlreicher Massaker in deren Amtszeit.
In einer ungewöhnlich deutlichen Erklärung hatte die Bolivianische Bischofskonferenz am Wochenende das Vorgehen der bolivianischen Justiz verurteilt und die Freilassung der Verhafteten gefordert. Die Demokratie fordere den Respekt vor den Menschenrechten. Die Bischöfe könnten angesichts der politischen Verfolgung nicht schweigen, zitierte das Portal Erbol aus der Erklärung. Es könne nur Demokratie geben, wenn eine unabhängige Justiz respektiert und nicht politischen Interessen einer im Amt befindlichen Regierung unterworfen werde.
Demokratie bedeute Respekt vor der Wahrheit. Es dürfe keine falsche Version der Geschichte, keine Verdrehung der Wahrheit und keine Manipulation der Bolivianer geben.
Menschenrechtsorganisationen schließen sich Kritik an
Inzwischen schlossen sich verschiedene Menschenrechtsorganisationen der Kritik an. Jose Miguel Vivanco, Amerika-Direktor von Human Rights Watch, erklärte, Bolivien erlebe ein trauriges Schauspiel politischer Verfolgung. Erika Guevara Rosas, Amerika-Direktorin von Amnesty International, verwies darauf, dass ihre Organisationen seit Jahrzehnten auf eine Krise der Straflosigkeit verwiesen habe, die nur durch eine wirklich unabhängige und unparteiische Justiz beendet werden könne.
Die Verhaftung von Anez und weiterer Funktionsträger setze die Herrschaft einer parteiischen Justiz fort.
Bolivien wurde nach der Präsidentschaftswahl im Oktober 2019 von heftigen Unruhen erschüttert. Schon die erneute Kandidatur des damaligen Präsidenten Evo Morales war nach einem verloren gegangenen Referendum über eine dazu notwendige Verfassungsänderung hoch umstritten.
Morales brach sein Wort und setzte seine Kandidatur gegen das Wählervotum auf juristischem Wege durch. Nach den Präsidentschaftswahlen warf die Opposition dem seit 2006 regierenden sozialistischen Präsidenten Wahlbetrug vor, Hunderttausende gingen auf die Straße. Morales bestand zunächst auf einem Sieg im ersten Durchgang.
Morales trat zurück
Eine Kommission der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) sprach in einem Abschlussbericht von schwerwiegenden Manipulationsversuchen und empfahl Neuwahlen. Morales trat auf Druck aus Reihen regierungsnaher Gewerkschaften, der Ombudsstelle des bolivianischen Volkes, der Armee und der Polizei zurück, ging zunächst nach Mexiko und später nach Argentinien ins Exil. Unter Berufung auf spätere Studien aus den USA wies Morales die Manipulations-Vorwürfe zurück und spricht seitdem von einem Putschversuch gegen ihn.
Die OAS blieb hingegen bei ihrer Darstellung. Morales' Parteifreund Luis Arce gewann die von Anez organisierten Neuwahlen deutlich und ist inzwischen im Amt. Morales selbst kehrte nach Bolivien zurück und ist in führender Funktion innerhalb der Regierungspartei tätig.