Eigentlich schien die Amtszeit von Spaniens Ministerpräsident Pedro Sanchez Ende Juli besiegelt: Bei der vorgezogenen Parlamentswahl belegten die von ihm geführten Sozialisten (PSOE) nur den zweiten Platz hinter der konservativen Volkspartei (PP).
Doch nach monatelangen Verhandlungen ist Sanchez nun fast am Ziel angelangt: Mit den Stimmen von katalanischen und baskischen Separatisten will er sich an diesem Donnerstag im Amt bestätigen lassen.
Amnestiegesetz spaltet die Gesellschaft
Möglich wird dies durch politische Zugeständnisse, die vor der Wahl kaum jemand für möglich gehalten hätte. Vor allem ein als Gegenleistung verabredetes Amnestiegesetz spaltet die Gesellschaft. Es sichert Drahtziehern und Unterstützern des verfassungswidrigen katalanischen Unabhängigkeitsreferendums von 2017 Straffreiheit zu.
Größter Profiteur wäre der im Brüsseler Exil lebende Ex-Regierungschef Kataloniens, Carles Puigdemont. Sollte das Gesetz tatsächlich verabschiedet werden, hindert ihn nichts mehr an einer triumphalen Rückkehr nach Barcelona.
Kritiker sehen dadurch die Einheit des Landes in Gefahr. Denn Puigdemont und seine Getreuen könnten sich ermutigt fühlen, einen erneuten Abspaltungsversuch zu wagen.
Für die Zentralregierung wäre das verheerend: Eine Loslösung der wirtschaftsstarken Region Katalonien würde dem spanischen Staat die finanziellen Grundlagen entziehen.
Kritik: "Pakt mit Kriminellen"
Die Zeitung "El Mundo" in Madrid warf Sanchez in einem viel beachteten Kommentar vor, aus Machtkalkül einen "Pakt mit Kriminellen" zu schließen. "Ein Staatsstreich in Zeitlupe, ohne Polizeihut und Waffen, aber mit einem Plastiklächeln und lauter Lügen", so das renommierte Blatt. Viele Spanier sehen das ähnlich.
Hunderttausende demonstrierten in den vergangenen Tagen gegen das Amnestiegesetz. In einigen Fällen schlugen die Proteste in Gewalt um. In der Hauptstadt hat derweil am Mittwoch die entscheidende Parlamentsdebatte begonnen.
Während Sicherheitskräfte das Gebäude weiträumig abriegelten, verteidigte Sanchez seinen Kurs: "Wir beginnen heute den verfassungsmäßigen Prozess, der zur Bildung einer verfassungsmäßigen Regierung führen wird."
Bischöfe äußerten Ablehnung des Gesetzes
Auch in der Kirche sorgt das für Aufruhr. Zwar bezog die Spanische Bischofskonferenz bislang nicht offiziell Stellung zum Amnestiegesetz. Doch mehrere Bischöfe äußerten zuletzt unverhohlen Ablehnung.
"Dass einige Politiker andere Politiker amnestieren, als Gegenleistung dafür, dass sie mit ihren Stimmen an der Macht bleiben, ist unmoralisch", sagte etwa Jose Ignacio Munilla, Bischof von Orihuela-Alicante.
Der angekündigte Fahrplan werde mit all seinen Lügen und Fallstricken in die Tat umgesetzt, kritisierte Oviedos Erzbischof Jesus Sanz. Es handele sich nicht um eine großzügige Amnestie, sondern um eine "kalkulierte Amnesie" - mit schädlichen Folgen für das ganze Land.
Angespannte Beziehungen zwischen Kirche und Regierung
Angespannt sind die Beziehungen zwischen Kirche und Regierung schon länger. Ein Großteil der Bischöfe hoffte im Vorfeld der Juli-Wahlen auf einen Machtwechsel im Moncloa-Palast. Schließlich hatten die Sozialisten unter Sanchez in den vergangenen Jahren zeitweise das gesamte Staat-Kirche-Verhältnis infrage gestellt.
Drastische Lockerungen in Sachen Abtreibung, Sterbehilfe und Genderwahl sorgten für zusätzlichen Unmut im Klerus. Mit Blick auf ein kürzlich verabschiedetes neues Tierschutzgesetz ließ sich der Botschafter des Papstes; Erzbischof Bernardito Auza, zu der provokanten Bemerkung hinreißen:
"18 Monate Gefängnis für das Töten einer Ratte - während man alles unternimmt, um Abtreibung zu erleichtern." Regierung und Kirche im katholisch geprägten Spanien, so scheint es also, sind derzeit eher Gegner als Partner.
Ministerpräsident Sanchez bestärkte diesen Eindruck am Mittwoch. In seiner Rede im Parlament kündigte er an, die Kirche im Fall seiner Wiederwahl zur Verantwortung zu ziehen:
"Wir werden die katholische Kirche auffordern, sich zu verpflichten, alle Opfer von Missbrauch durch den Klerus anzuerkennen und ihnen Wiedergutmachung zu leisten."
Um der Forderung Nachdruck zu verleihen, brachte er unter anderem eine Verschärfung des Strafrechts ins Spiel.