Es ist ein sonniger Tag wie aus dem Werbeprospekt für Oberammergau, als am Samstagmittag ein Reisebus in der Nähe des Passionstheaters stoppt. Aus ihm steigen 29 vorwiegend ältere Frauen und Männer.
Erst hat die Gruppe aus Israel die Ettaler Klosterkirche besichtigt, nun ist sie in den Passionsspielort zurückkehrt. Dorthin, wo sie tags zuvor auf der Bühne sah, wie man sich in einem oberbayerischen Bergdorf vorstellt, was sich vor 2.000 Jahren in Jerusalem zugetragen hat. Die Reisegesellschaft erlebte mit, wie Jesus sich mit dem Hohen Rat und dem Römer Pontius Pilatus anlegt - und wie er am Kreuz stirbt und aufersteht.
Ein Wiedersehen
Spielleiter Christian Stückl nimmt die Gäste in Empfang. Die Leiterin der israelischen Gruppe und der Theatermacher kennen sich. Yisca Harani, wie Stückl Jahrgang 1961, traf den Regisseur, als dieser mit seinen Hauptdarstellern 2019 das Heilige Land bereiste. Ihre ganze Kraft hat die aus einer jüdischen Familie stammende Frau, deren Vorfahren einst in München lebten, in diesen ungewöhnlichen Trip gesetzt. Seit Jahren engagiert sie sich im jüdisch-christlichen Dialog. Harani lehrt Mitgliedern des diplomatischen Dienstes oder Reiseleitern, was Religionen gemeinsam haben und was sie trennt.
Zugleich ist sie mit Leidenschaft in der Erwachsenenbildung tätig, um jüdischen Mitbürgern die Geschichte des Christentums näher zu bringen. Dabei gewann sie auch jene Interessenten für ihre Idee, die sich mit ihr auf den Weg ins katholische Bayern gemacht haben. Ärzte, Künstler, in der High-Tech-Branche Tätige sind darunter, die meisten von ihnen im Ruhestand. Was sie antreibt? "Curiosity - Neugier", sagt Harani. Zwei Drittel der mitreisenden Israelis haben einen europäischen Hintergrund, manche sprechen deutsch: "Ich bin ein Berliner", sagt ein Mann.
Harani will Brücken bauen zwischen Menschen und Religionen. Dafür hat sie diese Tour gezielt ausgearbeitet. Ihre Mitreisenden erleben an Fronleichnam im Marienwallfahrtsort Altötting die bayerisch-katholische Volksfrömmigkeit. Sie lernen aber auch den christlichen Antisemitismus kennen, wie er sich in einem mittelalterlichen Wandbild an der Außenmauer von Sankt Jakob in Wasserburg am Inn zeigt. Darin ist die Kirche "Ecclesia" als schöne Frau dargestellt im Gegensatz zur "Synagoga", gegen die das Schwert erhoben wird.
Einordnung und Lob
Wie hart es war, die Antijudaismen aus dem Text des Passionsspiels zu bekommen und dieses seit 1990 in eine neue Zeit zu führen, davon berichtet Stückl. In der Theaterkantine, dort, wo sonst die Darsteller nach der Aufführung auf ein Bier zusammenkommen, sitzen die Besucher aus Israel. Auf Englisch berichtet er, wie die katholischen Kirche und auch Adolf Hitler versuchten, das Spiel zu instrumentalisieren. Worte wie "Propaganda" oder "reichswichtig" fallen - Begriffe, für die die Besucher keine Übersetzung brauchen.
Sie diskutieren mit dem Theatermann über Pilatus, den er aufgrund der Historie und entgegen den Evangelien als brutalen Machtmenschen zeichnet. Die meisten Christen dächten nach wie vor, er sei ein guter Mann gewesen, erläutert Stückl. Harani ergänzt, in der koptischen Kirche werde Pilatus sogar als Heiliger verehrt. Lob kommt für die großartige Musik und das Bemühen, die antisemitischen Teile zu tilgen.
Kritik und Rückmeldungen
Eine Dame wirft ein, dass ihr im ersten Spielteil bei den Auseinandersetzungen zuviel geschrien worden sei. Als Angehörige eines Volkes, das Familienmitglieder in der Schoah verloren hat, habe dies bei ihr bedrückende Assoziationen ausgelöst. Stückl hält kurz inne und sagt, er werde darüber nochmal nachdenken. Kritik kommt auch an manchen Begriffen, mit denen im englischen Textbuch die alttestamentlichen Szenen der Lebenden Bildern überschrieben sind. Es mögen Feinheiten sein, aber wichtig zu hören, wenn man das Denken und Fühlen des Anderen besser verstehen lernen will.
Am Ende lädt Stückl alle ein, mit ihm auf die Bühne zu kommen. Für einen Moment erhalten die Besucher eine Ahnung, was es heißen muss, vor 4.300 Zuschauern zu spielen. Ein toller Platz, um ein Gruppenfoto zu machen. Es ist dieser Perspektivenwechsel, der wichtig ist, und der als Motto über dieser Begegnung stehen könnte.