epd: Wie politisch darf Kirche sein und sich äußern?
Rekowski: Christlicher Glaube hat immer eine Konsequenz für das Zusammenleben und Kirche eine Verantwortung für diese Welt. Die politische Dimension lässt sich daher vom Glauben nicht trennen. Zwar haben wir als Christinnen und Christen keine höheren Einsichten als andere Menschen, wir können aber zumindest wichtige Fragen stellen, die mit Gottes Perspektive auf diese Welt zu tun haben, und haben deshalb auch Unpopuläres anzusprechen.
In meinem Bericht vor der Landessynode habe ich mich zum Beispiel zum Klimaschutz geäußert und dabei einen Aspekt genannt, der in der Politik bislang ausgeklammert wird: Wenn wir die nötige Energiewende vorantreiben, gibt es auch wirtschaftliche Verliererinnen und Verlierer, also Menschen, die arbeitslos werden. Das darf uns jedoch nicht am Klimaschutz hindern, der eine Zukunftsfrage der Menschheit ist. Wir müssen aber entstehende soziale Folgen gemeinschaftlich und solidarisch tragen und dürfen die Betroffenen nicht alleinlassen.
epd: Was erwarten Sie in erster Linie von der künftigen Bundesregierung?
Rekowski: Ich halte das Thema Gerechtigkeit für zentral. Die Bundesregierung muss sich sozialer Probleme wie Kinder- und Altersarmut, niedrige Löhne und steigende Mieten annehmen. Wenn eine Erzieherin oder Altenpflegerin in Düsseldorf wohnen will, kann sie das mit ihrem Gehalt praktisch nicht finanzieren. Wenn es zu einer Großen Koalition kommt, wünsche ich mir, dass sie auch den Mut hat, die großen Fragen anzupacken und nicht kleinmütig ans Werk zu gehen. Dazu gehören auch mutige und weitreichende Schritte gegen den Klimawandel – wie gesagt mit Abfederung der sozialen Folgen.
epd: Sie sind auch Vorsitzender der EKD-Kammer für Migration. Welche Flüchtlingspolitik sollte die künftige Bundesregierung nach Ihrer Ansicht verfolgen?
Rekowski: Nach dem großen Flüchtlingszuzug 2015 hat sich die anfängliche Willkommenskultur in Richtung einer Haltung der Abschottung gewandelt, Flüchtlinge wurden plötzlich unter völlig anderen Vorzeichen betrachtet. Eine Rolle hat vermutlich auch gespielt, dass die humanitäre Flüchtlingspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel als alternativlos bezeichnet worden ist. Es ist nach wie vor richtig, dass wir Menschen helfen, die aus Angst um Leib und Leben ihre Heimat verlassen – unsere Verantwortungsethik endet nicht an der Landesgrenze.
Über die genaue Ausgestaltung der Hilfe, über das Wie und Wo von Unterbringung oder ähnliche Fragen muss man aber diskutieren. Das ist auch wichtig für die Akzeptanz in der Bevölkerung. In diesem Sinne hoffe ich auch auf eine Debatte über ein Einwanderungsgesetz – da geht es ja um gewünschte Zuwanderung. Auch hier muss man sich über die Kriterien verständigen. Der Diskurs über solche Themen hat aus meiner Sicht das Potenzial zu einer befriedenden Wirkung in unserer Gesellschaft.
Beim Familiennachzug bin ich nach wie vor überzeugt, dass er auch Menschen mit dem eingeschränkten subsidiären Schutz nicht verweigert werden darf: Wenn das Grundgesetz die Familie unter einen besonderen Schutz des Staates stellt, können wir nicht sagen, dass Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz von ihren Angehörigen getrennt bleiben müssen. Die Gewährung des Familiennachzugs würde ja auch nicht zu einer Masseneinwanderung führen.