Religionsunterricht bleibt trotz Kirchenaustritten gefragt

Wissensvermittlung und Bildung statt Missionierung

Religionsunterricht hat weiter einen starken Rückhalt in der Elternschaft. Und das trotz sinkender Kirchenmitgliedszahlen. Gerade die persönliche Identitätsfindung und die Orientierungshilfe werden dabei als wertvoll erachtet.

Autor/in:
Carsten Döpp
Symbolbild Religionsunterricht in der Schule / © Julia Steinbrecht (KNA)
Symbolbild Religionsunterricht in der Schule / © Julia Steinbrecht ( KNA )

DOMRADIO.DE: Sie sind selbst Lehrer für katholische Religion: Wie wirkt sich der Mitgliederschwund der Kirchen auf den Religionsunterricht aus? 

Marcus Hoffmann (Vorsitzender des Bundesverbandes der katholischen Religionslehrer an Gymnasien / BKRG): Er schlägt nicht in der Weise durch, wie sich das im Augenblick in den Kirchen-Austrittszahlen in den letzten Jahren widerspiegelt. Wir haben eine Abmeldequote vom Religionsunterricht, aber sie entspricht bei weitem nicht den Kirchenaustritten. In NRW lag sie in den letzten Jahren bei 1,8  Prozent. Da hat der Religionsunterricht zum Glück noch einen ganz guten Stellenwert. 

DOMRADIO.DE: Welchen Stellenwert hat er denn bei den Eltern zum Beispiel? 

Hoffmann: Es gibt immer noch einen breiten Konsens dafür, dass Religionsunterricht nötig und sinnvoll ist. Vor allem, weil er zum einen den Schülerinnen und Schülern ein Grundwissen über verschiedene Religionen bieten soll. 

Marcus Hoffmann

"Religion hat längst noch nicht ausgedient."

Zum anderen zeigt sich, dass Schülerinnen und Schüler für ihre eigene Identitätsfindung und die positive Gestaltung ihrer Religionsfreiheit Bezüge und Bildung brauchen. Von daher, denke ich, dass es im Augenblick einen großen Konsens gibt, dass es religiöse Bildung braucht. Umstrittener ist natürlich die Frage, in welcher Form die am besten in der Schule stattfinden kann und soll. 

DOMRADIO.DE: Was sagen Sie denn als Experte, in welcher Form dies passieren sollte? 

Hoffmann: Grundsätzlich bin ich der Überzeugung, dass es religiöse Bildung in der Schule braucht. Da sind verschiedene Organisationsformen denkbar. Diese werden sich aufgrund sehr großer Unterschiede in Zukunft regional und lokal ausdifferenzieren müssen, was die religiöse Sozialisation und Prägung angeht.

Es wird häufig gefordert, ob man nicht den konfessionellen Religionsunterricht durch eine Art "Religionskunde" oder einen Ethikunterricht ersetzen kann. Da würde ich grundsätzlich sagen, dass vieles denkbar ist. 

Bauchschmerzen bereitet mir aber das zugrunde liegende Denkbild, dass es im klassisch-konfessionellen Religionsunterricht darum ginge, Schülerinnen und Schüler zu katholischen oder evangelischen Nachwuchsgläubigen zu machen. Denn das ist nicht der Fall. Es geht um eine transparente Positionalität. 

Eine Kerze steht auf dem Boden im Mittelkreis zu Beginn einer Unterrichtsstunde an einer Schule in Bonn am 25. November 2022. Daneben liegen religiöse Motivkarten. / © Harald Oppitz (KNA)
Eine Kerze steht auf dem Boden im Mittelkreis zu Beginn einer Unterrichtsstunde an einer Schule in Bonn am 25. November 2022. Daneben liegen religiöse Motivkarten. / © Harald Oppitz ( KNA )

DOMRADIO.DE: Manchen wird es zu schwammig, wenn aus Religionsunterricht "Religionskunde" oder Ethikunterricht wird. Eine konfessionelle Kooperationen zwischen katholischem und evangelischem Unterricht gibt es schon. Was ist Ihnen da besonders wichtig? 

Hoffmann: Für Kinder und Jugendliche ist es wichtig, dass sie an verschiedenen Positionen heranreifen. Das passiert in jedem Fach, denn kein Lehrer unterrichtet wertneutral. Einerseits ist das gar nicht möglich, anderseits auch gar nicht gefordert. Denn jede Lehrkraft muss im Sinne von Demokratie und sozialer Verantwortung agieren. Entscheidend ist, wie man mit seiner eigenen Position umgeht. 

Marcus Hoffmann

"Schülerinnen und Schüler sollen verschiedene Perspektiven gegeneinander abwägen, sollen Argumente aus einer persönlichen Bedeutung heraus kennenlernen."

Eine Lehrkraft, die keine Innenperspektive hat, was eine Religion bedeutet, die kann dem keinen Wert beimessen. Insofern ist die Frage des didaktischen Engagements das Entscheidende, sodass man Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit gibt, sich dazu zu verhalten - auch gegebenenfalls in kritischer Distanz. 

DOMRADIO.DE: Allein den katholischen und evangelischen Unterricht zusammenzubringen, stellt Sie vor große Herausforderungen. Welche sind das und was sind die Chancen einer solchen Kooperation? 

Hoffmann: Der katholische und evangelische Religionsunterricht, der in Nordrhein-Westfalen in Form des kokoRUs (Anm. d. Red.: Konfessionelle Kooperation im Religionsunterricht) gemeinsam verantwortet wird, hat sich als Leitprinzip das Motto "Gemeinsamkeiten stärken - Unterschieden gerecht werden" gegeben. Es geht darum zu schauen, wo im christlichen Menschenbild sowie im Glaubens- und Bibelverständnis die ganz großen Gemeinsamkeiten liegen. 

Marcus Hoffmann

"Wo kann unser christliches Welt- und Menschenbild heute als Hoffnungsbotschaft für unsere Gesellschaft einen wichtigen Beitrag leisten?"

Das betrifft viele Unterrichtsinhalte und Lehrplanthemen. Auf der anderen Seite gibt es Bereiche, in denen konfessionelle Prägung vorhanden ist. Wenn es darum geht, welches Verständnis von Kirche man zum Beispiel hat. Oder wie wichtig ist mir Tradition oder die individuelle Glaubensfreiheit? Wie gehe ich mit der Beichte oder Sakramenten um, wo Lehrkräfte aus ihrer eigenen Biografie erzählen können? Was bedeutet es, als Kind zur Kommunion zu gehen oder eine Beichte abzulegen? Wie empfinden sie das heute? 

DOMRADIO.DE: Haben Sie ein positives Beispiel, wenn man an die religiöse Bildung von Kindern und Jugendlichen denkt - ein Beispiel, das während Kirchenkrise und Negativmeldungen die Hoffnung hochhält?

Hoffmann: Zum einen, wenn man bei Kindern und Jugendlichen ein ganz neues Verständnis aus den alttestamentlichen Texten erzeugt. Zum Beispiel, dass Aussagen wie "Auge um Auge, Zahn um Zahn" kein Aufruf sind, aus religiösen Motiven Gegengewalt zu rechtfertigen, sondern eine Gewaltspirale verhindern und keine übermäßige Gegenreaktion hervorrufen. 

Oder was wir in der Pandemie gelernt haben, wenn die Schöpfungsgeschichte fragt, ob diese Welt ein guter Ort ist - gibt es eine Hoffnung darauf zu vertrauen? Dann haben wir in der Coronarkrise gesehen, dass alles gut wird, dass alles gut ist. 

Die Grundaussage der Schöpfungsgeschichte hat das Weltvertrauen gestärkt, die Coronakrise zu meistern. Das haben wir im Religionsunterricht aufgegriffen. Dann wird deutlich, wo ein Text sein Potenzial entfaltet und dass es nicht darum geht, die wissenschaftliche Weltentstehung in erster Linie zu erklären. 

Das Interview führte Carsten Döpp.

Religionsunterricht

Der Religionsunterricht in Deutschland ist als einziges Unterrichtsfach im Grundgesetz abgesichert. Als ordentliches Lehrfach ist er den übrigen Schulfächern gleichgestellt. Schüler können sich aber aus Gewissensgründen abmelden.

Artikel 7 des Grundgesetzes schreibt vor, dass der Religionsunterricht unter staatlicher Aufsicht steht. Da der Staat aber zur weltanschaulichen Neutralität verpflichtet ist, kann er über die Inhalte nicht entscheiden. Über sie bestimmen die Religionsgemeinschaften. Deshalb wird der Unterricht in der Regel nach Konfessionen getrennt erteilt. 

Religionsunterricht in der Schule / © Juan Ci (shutterstock)
Religionsunterricht in der Schule / © Juan Ci ( shutterstock )
Quelle:
DR