DOMRADIO.DE: Vom 10. bis 12. September 2024 findet in Freising der internationale Renovabis-Kongress statt, in dem es um den Umgang mit Säkularisierung und religiöser Indifferenz in Europa geht, so steht es in der Ankündigung. Diese Entwicklung wird überwiegend auf die Kirchenkrise, die Missbrauchsskandale und die mangelhafte Aufarbeitung zurückgeführt. Gibt es aus Ihrer Sicht noch andere Gründe?
Pfarrer Prof. Thomas Schwartz (Hauptgeschäftsführer Renovabis): Das ist für alle Kirchen in Europa eine große Frage, nicht nur wegen des Missbrauchs, sondern auch, weil wir in einer komplexen Zeit leben, in der die Menschen die Bindung zur Kirche verlieren, weil sie ihnen keine glaubwürdigen Antworten mehr zu bieten scheint. Es gibt nicht nur bei uns in Deutschland Säkularisierungstendenzen, sondern auch beispielsweise in Polen und Kroatien. Eine neue Studie zeigt, dass dort nur noch ein Drittel aller jungen Leute dem Katholizismus nahestehen. Säkularisierung ist für uns die große Frage in einer Zeit, in der Konsum die alles beherrschende Religion zu sein scheint. Da kann eine Religion, die Verzicht und manchmal auch Genügsamkeit predigt, für manche Menschen nicht die Antwort bieten, die sie suchen.
DOMRADIO.DE: Gleichzeitig leben wir in unsicheren Zeiten: Der Krieg, der Klimawandel, der Verlust demokratischer Werte: Da müsste der Trost, den Kirche und Glauben spenden können eigentlich ein attraktives Angebot sein?
Schwartz: Das stimmt: Vielen Menschen gibt die Kirche natürlich Trost, aber bei weitem nicht mehr allen. Wir müssen uns klar machen, dass die Kirche eine Antwort unter vielen ist. In einer Gesellschaft, die einer Fülle von Herausforderungen gegenübersteht, dem technischen Fortschritt, dem Klimawandel, dem zunehmenden Individualismus sind Kirche und Glaube immer noch eine wichtige Instanz, an der man sich festhalten kann, aber eben nicht mehr für die Mehrheit, nicht selbstverständlich und unhinterfragt.
DOMRADIO.DE: Müsste die Kirche dann nicht – um in der Marktlogik zu bleiben - ihr Angebot verbessern?
Schwartz: Wenn wir bei diesen Begrifflichkeiten bleiben, können wir sagen, dass wir schon ein ordentliches Angebot haben. Gerade das, was der Papst in Bezug auf den Klimawandel oder den Umgang mit den Ausgegrenzten und Verlierern in Gesellschaften sagt, haben wir schon ein gutes Angebot. Manchmal denke ich, dass die Marketingstrategien besser sein könnten. Wir erwarten, dass alle sofort auf dieses Angebot eingehen. Aber wir müssen uns klar machen, dass es eben vielleicht nicht mehr eine Mehrheitsantwort sein kann, den Glauben zu leben. Wir müssen wieder zum Salz der Erde, zum Sauerteig der Welt werden und das ist nicht schlecht: Jesus hatte seinerzeit auch nur zwölf Jünger.
DOMRADIO.DE: Lautet deshalb der Titel Ihrer Konferenz: „Eine Mission haben – Glaubwürdig Zeugnis geben”?
Schwartz: Wir haben ganz bewusst viele unterschiedliche Gäste eingeladen, vom Erzbischof aus Vilnius bis hin zu einer Ordensfrau, die gleichzeitig Künstlerin ist. Unsere Gäste spiegeln vielfältige Formen des kirchlichen und gesellschaftlichen Engagements wider. Dialog lebt nicht unbedingt davon, dass man immer einer Meinung ist, sondern dass unterschiedliche Einstellungen und Vorstellungen zusammenkommen und man einander zuhört. Es gibt verschiedene Antworten und man kann von jeder einzelnen Antwort etwas lernen und bereichert werden. Das ist eine Chance, die wir wahrnehmen wollen.
DOMRADIO.DE: Mit dabei ist auch der evangelische Soziologe Detlef Pollack, der sich seit vielen Jahren mit Fragen der Säkularisierung in Deutschland auseinandersetzt. Sie schauen also nicht nur auf Mittel- und Osteuropa, sondern auch auf Deutschland?
Schwartz: Renovabis versteht sich als Werk, das den Dialog zwischen Ost und West fördert. Das bedeutet, dass wir durchaus auch unsere eigene Situation in Deutschland in die Diskussionen einbringen wollen und müssen, damit wir aus den Gesprächen mit unseren Partnern, aber auch mit dem, was wir anbieten können, zu einem gemeinsamen Fortschritt beitragen können. Und von daher bin ich sehr glücklich, dass Professor Pollack an dem Kongress teilnimmt und sicherlich Interessantes einzubringen hat.
DOMRADIO.DE: Welche Botschaft sollte von Ihrem Kongress ausgehen?
Schwartz: Wir sollten mutig und angstfrei miteinander reden können. Wir sollten die Situation der Säkularisierung nicht nur als Bedrohung für die Kirche betrachten, sondern als eine Chance, in einer Zeit der Profillosigkeit unser Profil zu schärfen und zeigen, dass wir der Gesellschaft in Ost und West etwas zu bieten haben. Wenn wir das hinkriegen, wäre ich sehr glücklich.