Über die heilige Corona weiß man nicht viel. Historisch ist die angebliche frühchristliche Märtyrerin kaum greifbar, die überlieferten Lebensdaten gehen weit auseinander. Deshalb wurde sie vor 50 Jahren aus dem offiziellen Heiligenkalender der katholischen Kirche gestrichen. Die Volksfrömmigkeit ging aber schon immer eigene Wege. In Südostbayern lässt sich beobachten, wie die weithin eingeschlafene Verehrung der Schutzpatronin der Schatzgräber und Glücksspieler wieder auflebt - unter veränderten Vorzeichen.
Als die Pandemie Deutschland erfasste, tauchte bald die heilige Corona aus der Versenkung auf. Dass sie in alter Zeit auch gegen Seuchengefahr angerufen worden sei, hieß es sogar. Brauchtumsexperten wie Manfred Becker-Huberti halten das für fragwürdig. Von einer solchen Zuständigkeit sei in den einschlägigen mittelalterlichen Legenden keine Rede, sagt er. Auch fehlten in Darstellungen entsprechende Hinweise. Santa Coronas Wiederentdeckung habe einzig mit ihrem Namen zu tun, ist der Theologe überzeugt.
Heilige mit Krone
Für den Heiligenhimmel wäre eine solche Portfolio-Erweiterung nichts Ungewöhnliches. Auf dieselbe Weise kam Sankt Valentin, der seine Hand über die Liebenden hält, zu einer weiteren Mission zugunsten der Epileptiker. Vielfach bezeugt ist seine Anrufung gegen die "Fallsucht", nicht weil er zu Lebzeiten diesbezügliche Heilungswunder vorzuweisen hätte, sondern weil er so heißt wie er heißt: Valentin - "Fall net hin".
Das Virus hat seinen Familiennamen nicht von der Heiligen, aber beide haben etwas gemeinsam: Unter dem Mikroskop sieht der Erreger so aus, als würde er von einer Zackenkrone bekränzt. Genauso wie die heilige Corona, die durch ein grausames Martyrium die Krone des ewigen Lebens errungen haben soll. In vielen Ländern Europas hieß das gängige Zahlungsmittel lange Krone. Deshalb wurde die "Gekrönte" in Geldnöten angerufen. Namensgleichheit war also schon einmal Anlass, sie um Einschreiten beim Allerhöchsten zu bitten.
Von ihrer Verehrung sind in Deutschland nur noch Restbestände übrig: Es gibt einen Reliquienschrein in der Aachener Domschatzkammer, der nun vorzeitig restauriert wurde. Im Dom zu Münster steht eine Corona-Statue. In Südostbayern finden sich vier ehemalige Wallfahrtskirchen, die ihr geweiht sind, dazu einige weitere Kapellen und Gotteshäuser mit Corona als Zweitpatronin.
Neues Interesse an der Heiligen Corona
Der Heiligenkult folgt eigenen Gesetzen. Oft spielen lokale Bedürfnisse eine Rolle. Die Coronakirche in der Pfarrei Pfeffenhausen liegt mitten in der Hallertau, einem großen Hopfenanbaugebiet. Sie wurde im 15. Jahrhundert errichtet und verfügt über einen Schlupfaltar. Erntehelfer schoben sich einst gebückt unter ihm hindurch in der Hoffnung, bei ihrer anstrengenden Arbeit von Rückenschmerzen verschont zu werden. In jüngster Zeit, so hat es Pfarrer Günter Müller beobachtet, ist die Besucherzahl massiv gestiegen. "Viele kommen mit dem Radl."
In Altenkirchen, einem Weiler südlich von Dingolfing, kam 2002 im Turm eine Art Schatzkammer mit bis zu 500 Jahre alten Votivgaben für die Heilige zum Vorschein, darunter mehrere hundert geschnitzte und zum Teil fein gemusterte Löffel. Sie wurden der himmlischen Anwältin bei Magenleiden und Sprachproblemen dargebracht und, aufgemerkt, bei Erkrankungen des Mund- und Rachenraumes. Dokumente weisen darauf hin, dass die heilige Corona von Altenkirchen auch als Fürsprecherin in der Todesstunde empfohlen wurde. Das ist durchaus eine Referenz für neue Reverenz.
Die Vorsitzende der örtlichen Landjugend, Simone Blenninger, empfindet es jedenfalls als "etwas ganz Besonderes, dass wir eine Corona-Kirche haben. Sie steht offen und man kann immer eini gehn." Der Regensburger Generalvikar Michael Fuchs hat den Gläubigen ans Herz gelegt, die Heilige "im Gebet neu zu entdecken und anzurufen". So ein Appell löst nicht gleich eine Massenbewegung aus. Aber es tut sich was. Ein vom Bistum aktuell herausgegebenes Heiligenbild mit Gebeten wird verstärkt nachgefragt, in den Gästebüchern der Corona-Kirchen häufen sich die Einträge.