Mit Appellen an die friedensstiftende Aufgabe der Religionen hat am Sonntag in Berlin eine Internationale Konferenz der christlichen Gemeinschaft Sant'Egidio begonnen. Als "Kraft der Versöhnung" könnten sie einen unverzichtbaren Dienst für die Menschheit leisten, sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.
Vor ranghohen Vertretern von Juden, Christen, Muslimen und weiteren Weltreligionen verurteilte er zugleich die Unterstützung des Angriffskriegs auf die Ukraine durch die russisch-orthodoxe Kirche. "Religion darf niemals Rechtfertigung von Hass und Gewalt sein", betonte das deutsche Staatsoberhaupt.
"Glaubwürdige Akteure des Friedens"
Auch der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, bezeichnete es als "nicht hinnehmbar", dass eine christliche Kirche den Krieg gegen ein Nachbarland legitimiere. Er wertete es als Beispiel dafür, dass alle Religionen zu unterschiedlichen Zeiten ihrer Geschichte den Dämonen der Friedlosigkeit und Gewalt nachgegeben hätten. "Selbstkritik der Religionen ist also unabdingbar", so Bätzing, "damit die Religionen glaubwürdige Akteure des Friedens sind".
Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Präses Annette Kurschus, warb für "eine starke Ukraine, die sich und ihre Freiheit verteidigen kann", und zugleich für Verhandlungen, um "die Waffen zum Schweigen zu bringen".
"Teil der Lösung und Teil des Problems"
Auch die beiden Hauptstadt-Bischöfe Christian Stäblein und Heiner Koch haben die Notwendigkeit des Dialogs der Religionen betont. Erzbischof Heiner Koch sagte in seinem Grußwort, Religion könne beides sein: "Teil der Lösung und Teil des Problems; Ursache und Brandbeschleuniger von gewalttätig ausgetragenen Konflikten, aber auch eine formende Kraft für den Frieden." Die Religion berühre die Identität der Einzelnen, aber auch von Gemeinschaften und Gesellschaften: "Deshalb ist sie von herausragender Bedeutung für den Frieden."
Am Beispiel des geplanten Berliner Drei-Religionen-Projektes House of One sagte Stäblein, der Dialog müsse nicht nur zwischen den Religionen, sondern auch zwischen den Konfessionen einer Religion geführt werden. "Aber er lohnt sich. Es entsteht Verständigung, Begegnung, ein Projekt des Friedens", sagte der Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) am Sonntag in seinem Grußwort.
Weiter sagte Stäblein, "in diesen Zeiten des Krieges in Europa und den lauter werdenden Verächtern unserer erkämpften Demokratie könnte nichts notwendiger und aktueller sein, als dass wir weiterhin unablässig für den Frieden beten und uns für Demokratie, Freiheit und Nächstenliebe einsetzen".
Gleichen Respekt für die Religionen
Wie Steinmeier würdigte der Präsident des afrikanischen Staates Guinea-Bissau, Umaro Sissoco Embalo, das weltweite Engagement von Sant'Egidio in kriegerischen Konflikten, das unter anderem 1992 zu einem Friedensschluss in Mosambik geführt hatte. Embalo rief die Führungspersönlichkeiten der Religionen auf, die Staaten beim Einsatz für ein lebenswertere Welt zu unterstützen.
Der Großimam der ägyptischen Al-Azhar-Universität, Ahmed Al-Tayyeb, betonte ebenfalls, die Welt sei "mehr denn je auf die Stimmen der Religionen angewiesen". Er forderte gleichen Respekt für deren heilige Symbole und kritisierte Koran-Verbrennungen in westlichen Ländern wie auch den Abriss von Kirchen in Pakistan. Zudem verurteilte der Großimam die Verletzung der Menschenrechte von Frauen in Afghanistan, über die bei der Auftaktveranstaltung die Studentin Zohra Arabi aus eigenem Erleben berichtete.
Tausend Teilnehmer hoher Qualität
In Vertretung des Präsidenten der Europäischen Rabbinerkonferenz, Pinchas Goldschmidt, warb Zsolt Balla für einen weitgefassten Friedensbegriff. Das hebräische Wort Schalom bedeute eine harmonische Einheit der Beteiligten und sei mehr als eine Abwesenheit von Konflikten, erklärte der Leipziger Rabbiner. Sant'Egidio-Gründer Andrea Riccardi betonte, das Beispiel Berlin zeige, wie gemeinsamer friedlicher Druck von Menschen Mauern zu Fall bringen könne.
Zu dem am Sonntag eröffneten internationalen Friedenstreffens versammeln sich bis Dienstag rund 250 hochrangige Vertreter von Weltreligionen in Berlin. Es steht unter der Überschrift "Den Frieden wagen. Religionen und Kulturen im Dialog". Es werden rund tausend Teilnehmende, unter ihnen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), und Gäste aus über 30 Ländern erwartet. In 20 Foren geht es um Themen wie Umweltkrise, Migration, interreligiöser Dialog, Demokratie, Globalisierung, Abrüstung oder Künstliche Intelligenz.