DOMRADIO.DE: In Rom tagt im Moment die katholische Weltsynode. In der Evangelischen Kirche in Deutschland ist die Synode bereits seit 1949 ein wichtiges Leitungsgremium. Wie würden Sie ganz allgemein dieses Konzept von Synodalität mit Ihrem evangelischen Blick definieren?
Nikolaus Schneider (2010 bis 2014 Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland): Synodalität kommt vom griechischen Sýnodos, gemeinsam auf dem Weg sein. Das heißt, hier sind Menschen bei der Leitung der Kirche gemeinsam auf dem Weg. Wir verstehen die Synode als das verbindliche Leitungsorgan der Kirche. Sie hat dabei die Aufgabe, den Leitungswillen Christi durchzusetzen, sodass er zum Handeln der Kirche wird. Das ist der Grundgedanke.
DOMRADIO.DE: Manche sagen, eine Synode der evangelischen Kirche sehe oftmals eher wie eine Parlamentsveranstaltung oder ein Parteitag aus. Wie ist das aus Ihrer Innensicht? Welche Rolle spielt die Spiritualität bei den Synoden der EKD?
Schneider: Sie ist ganz entscheidend, weil wir ja den selben Anspruch haben, dass dort der Leitungswille Christi zum Durchbruch kommen soll. Und dem dient der Gottesdienst, dem dienen die täglichen Andachten. Die Beratungen etwa in den Ausschüssen beginnen immer mit einem Gebet und einer Betrachtung von Gottes Wort.
Es gibt auch in unseren Synoden ein sehr intensives geistliches Leben, das dem dienen soll, dass eben Gottes Geist zum Zuge kommt und dass Gottes Geist sich gegen den menschlichen Geist, der ja auch in unseren Synoden eine wichtige Rolle spielt, aber im Vatikan ja genauso, durchsetzen kann.
DOMRADIO.DE: In Deutschland hat die katholische Kirche bis zum Frühjahr den Prozess des Synodalen Weges durchgeführt. Da gab es von außen ja auch viel Kritik, dass der Prozess nicht spirituell genug abgelaufen wäre, dass das mitunter mehr ein Gegeneinander als ein Miteinander gewesen ist. Was ist da Ihr Blick von außen aus?
Schneider: Das kam mir sehr vertraut vor. Ich finde, das sind auch richtige Schritte. Man darf das Streiten miteinander nicht als einen Gegensatz zu Spiritualität sehen. Wir gehen davon aus, dass der Geist Gottes nur einer sein kann und sich dann auch in den Beschlüssen auf einen Konsens hin durchsetzen soll.
Wir haben etwa in evangelischen Ordnungen sogar die Vorschrift, dass wir uns um Konsens zu bemühen haben. Wir sollen die Beschlüsse möglichst einstimmig fassen, weil wir denken, darin drückt sich eben Christi Leitungswillen aus. Wenn Einstimmigkeit nicht hinzubekommen ist, dann Einmütigkeit. Einmütigkeit heißt, es gibt keine Gegenstimmen, sondern höchstens Enthaltungen.
Es gibt die weitere Vorschrift, dass wenn wir dann zu Schlüssen gekommen sind, die dann aber auch von allen zu tragen sind. Dieses geistliche Bemühen heißt nicht, dass es keinen Streit und keine Auseinandersetzung oder Diskussionen geben darf. Es heißt, dass es in alldem ein Bemühen um Einmütigkeit oder Einstimmigkeit geben soll. Aber das ist eine Forderung an alle.
Das hat mich schon beim Synodalen Weg ein Stück irritiert, dass es dann sozusagen Vetorechte bei Bischöfen oder bei qualifizierten Minderheiten von Bischöfen geben kann, die das alles aufhalten können. Das ist irritierend für mich.
DOMRADIO.DE: Theologisch gesehen drückt sich der Wille Gottes also nicht unbedingt nur dadurch aus, dass Harmonie herrscht, sondern er kann sich auch durch Streit ausdrücken. Man muss nur versuchen, einen gemeinsamen Weg zu gehen. Ist das richtig?
Schneider: Genau das denken wir auch. Nur dass einem bestimmten kirchlichen Amt, dem Priesteramt, dem Bischofsamt oder dem Papstamt, zugebilligt wird, dass hier sozusagen mit einer gewissen Garantie das Leitungswollen Christi zum Ausdruck kommt. Das halten wir für falsch.
DOMRADIO.DE: Papst Franziskus wird bezüglich des Synodalen Wegs in Deutschland das Zitat zugesprochen: "Wenn ihr so weitermacht, werdet ihr zu einer zweiten evangelischen Kirche. Das braucht ihr nicht, denn es gibt schon eine gute evangelische Kirche in Deutschland." Wie blicken Sie eigentlich auf so eine Aussage?
Schneider: Die finde ich sehr unglücklich. Erstens, finde ich, gehört es sich nicht, mit der Existenz einer weiteren Kirche gegen einen bestimmten Weg, der eingeschlagen wird, zu argumentieren.
Und zum Zweiten weiß ich nicht, ob er das wirklich ernst meint, dass es eine gute evangelische Kirche gibt. Dann müsste er eigentlich auch evangelische Prinzipien anerkennen. Aber das sehe ich nicht.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.