Schuster bezeichnet Vorgänge bei Documenta als erschütternd

"Dunkelrote Linie überschritten"

Zu Beginn des neuen jüdischen Jahres hat der Zentralrat der Juden in Deutschland die Vorgänge um die Documenta als das erschütterndste Ereignis des vergangenen Jahres bezeichnet. Es habe sich indes abgezeichnet, so Josef Schuster.

documenta-Halle in Kassel / © Swen Pförtner (dpa)
documenta-Halle in Kassel / © Swen Pförtner ( dpa )

Im Interview der "Welt am Sonntag" sagte Schuster: "Die Vorgänge um die Documenta erschüttern mich noch immer." Der Zentralrat habe bereits lange vor der Eröffnung die Sorge geäußert, dass es auf der Kunstausstellung zu israelbezogenem Antisemitismus kommen könnte.

Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland / © Christophe Gateau (dpa)
Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland / © Christophe Gateau ( dpa )

"Kulturstaatsministerin Claudia Roth hatte mir zugesichert, dass sie von der Documenta-Leitung die Information habe, dass es keinen Antisemitismus auf der Documenta geben würde. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, was dann mitten in Deutschland, in Kassel, geschah, mit öffentlichen Mitteln gefördert."

"Entwicklung in diese Richtung gesehen"

Schuster sagte, die Ereignisse auf der Documenta seien nicht aus dem Nichts gekommen. "Bereits in den vergangenen Jahren haben wir eine Entwicklung in diese Richtung gesehen, auch in der Kunst- und Kulturszene." In den ersten Generationen nach dem Krieg habe man zur Schoah weitgehend geschwiegen, auch zur Frage der eigenen Schuld.

"Mit zunehmendem zeitlichem Abstand erkennen Teile der Bevölkerung heute nicht mehr, was im Nationalsozialismus geschehen ist beziehungsweise es interessiert sie offenbar nicht. Klischeebilder und Ressentiments gegen Juden sind bis in die Mitte der Gesellschaft verbreitet."

Documenta trage besondere moralische Verantwortung

Mit der Documenta sei eine "dunkelrote Linie überschritten" worden, sagte Schuster. Er stellte die künftige staatliche Finanzierung der Schau infrage. Es "kommt auf das zukünftige Konzept an", fügte er hinzu. "Die Documenta trägt als weltweit bedeutendste Ausstellung zeitgenössischer Kunst mit großer öffentlicher Wirksamkeit eine besondere moralische Verantwortung. Den Kuratoren muss klar sein, was in Deutschland geht und was in Deutschland nicht geht. Wenn das sichergestellt ist, hätte ich keine Bedenken gegen eine Förderung der öffentlichen Hand."

Antisemitismusbeauftragter warnt documenta vor "Hintertüren"

Nach dem Fund weiterer als antisemitisch kritisierter Bilder auf der documenta warnt der hessische Antisemitismusbeauftragte Uwe Becker die Verantwortlichen der Kunstausstellung davor, "Hintertüren für Antisemitismus" offenzulassen. "Erklärungen oder Formen der Einordnung sind falsche Mittel im Umgang mit Judenhass", sagte Becker am 29. Juli in Wiesbaden.

Am 28. Juli hatten die Gesellschafter der documenta - die Stadt Kassel und das Land Hessen - gefordert, die diskutierten Zeichnungen lediglich "bis zu einer angemessenen Kontextualisierung" aus der Ausstellung zu nehmen.

Broschüre "Presence des Femmes" auf der documenta / © Uwe Zucchi (dpa)
Broschüre "Presence des Femmes" auf der documenta / © Uwe Zucchi ( dpa )
Quelle:
KNA