DOMRADIO.DE: Nach Angaben der kfd haben 2023 rund 45.000 Frauen den Verband verlassen. Ein Jahr zuvor zählte der größte katholische Frauenverband bundesweit noch 300.000 Mitglieder. Die kfd selbst führt das auf eine Erhöhung der Mitgliedsbeiträge von 25 Euro auf 40 Euro zurück. Aber ist es nicht auch ein Nebeneffekt der Kirchenkrise und der steigenden Austrittszahlen?
Heinrich Wullhorst (Kommunikationsberater und Autor des Buches "Leuchtturm oder Kerzenstummel: Die katholischen Verbände in Deutschland"): Ich glaube, da sind viele Faktoren im Spiel. Mich persönlich hat der dramatische Mitgliederverlust bei der kfd erschreckt.
Natürlich: wenn ein Mitgliedsbeitrag 14 Jahre nicht erhöht wurde – und das war ja offensichtlich so – dann ist eine Steigerung von 25 Euro auf 40 Euro schon relativ viel. Auf der anderen Seite sind das weniger als vier Euro im Monat, deswegen verlässt man eigentlich keinen Verband.
Ich glaube, man muss die gesamte Gemengelage sehen: Die Kirchenkrise macht da sicherlich einiges aus, denn die Bindung an die Kirche und die Pfarrgemeinden spielt bei der kfd eine große Rolle.
Wir müssen uns aber auch fragen: Wie verbandsaffin sind wir Deutschen heute noch? Brauchen und wollen wir noch Verbände? Wollen wir diese Strukturen noch und was bringt ein Verband? Ich glaube, das ist das Entscheidende und da müssen die Verbände zeigen, worin der Mehrwert einer Mitgliedschaft liegt.
DOMRADIO.DE: Es gibt viele andere katholische Verbände, zum Beispiel den Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ), den Bund Katholischer Unternehmer (BKU) oder Kolping. Schrumpfen die auch?
Wullhorst: Das ist unterschiedlich: Beim BDKJ ist das schwer zu sagen, weil er im Prinzip die Mitglieder einzelner Organisationen unter einem Dach vereint.
Aber viele andere Verbände verzeichnen auch einen demografischen Schwund: Kolping hat schon 2004 eine Beschlusslage geschaffen, um einen Kapitalstock zu bilden und Beitragserhöhungen in Zukunft möglichst zu vermeiden.
Bei der KAB (Katholische Arbeitnehmerbewegung) und beim BKU (Bund Katholischer Unternehmer) gibt es auch einen demografisch bedingten Mitgliederrückgang, weil viele in den 1970er, 80er und 90er Jahren beigetreten sind, als noch ein ganz anderes Verbandsbewusstsein herrschte.
Und beim CV (Cartellverband der katholischen deutschen Studentenverbindungen), dessen Pressesprecher ich bin, hatten wir durch die Corona-Krise einen Rückgang zu verzeichnen, den wir inzwischen aber wieder aufgefangen haben. Es gibt also viele unterschiedliche Ursachen für den Mitgliederrückgang, aber so dramatisch wie bei der kfd ist er anderswo nicht.
Und ein positives Bespiel sind die Pfadfinder, die nach wie vor Zulauf haben. Das ist eine spannende Entwicklung und es stellt sich die Frage, warum es denen gelingt, immer wieder junge Menschen zu gewinnen und anderen nicht.
DOMRADIO.DE: Vereine, Gewerkschaften und Parteien ringen ja auch um Mitglieder. Ist es nicht auch ein gesamtgesellschaftliches Phänomen?
Wullhorst: Ja, absolut. Ich glaube es wäre ein Fehler, alles auf die Kirchenkrise zu schieben. Es ist wirklich so, dass insgesamt die Bindung an Großorganisationen ein Problem ist und die Menschen fragen: "Was bringen die mir denn?"
Gerade bei der kfd ist es so, dass die sehr eng mit den Pfarrgemeinden verbunden sind und zu einer übergeordneten Bundesebene teilweise überhaupt kein Bezug besteht. Und dann wird es schwierig. Da müssen wir den Menschen klar machen, welchen Mehrwert so ein Verband leisten kann und wieviel Positives dadurch auch entsteht.
DOMRADIO.DE: Was ist denn der Mehrwert katholischer Verbände?
Wullhorst: Ich glaube, es muss klar sein, wofür sie stehen und es muss eine Offenheit für unterschiedliche Positionen und Meinungen geben, damit es nicht mehr Gegeneinander als Miteinander gibt.
Wenn man das Gefühl hat, dass ein Verband sehr einseitig in eine bestimmte Richtung geht, dann sagen andere vielleicht: Okay, das ist dann auch nicht mehr mein Verband.
DOMRADIO.DE: Und was würden Sie katholischen Verbänden raten, damit sie nicht in der Bedeutungslosigkeit verschwinden?
Wullhorst: Sie müssen zeigen, dass sie Heimat für Menschen sein können. Gerade jetzt, wo viele Menschen das Vertrauen in die Kirche und ihre Institutionen verloren haben, können die Verbände Heimat geben. Ich beobachte immer wieder, dass in den Strukturen vor Ort weiterhin verbandliches Leben stattfindet.
Das ist auch manchmal schwierig, weil Fehler gemacht wurden und dadurch Altersstrukturen entstanden sind, die möglicherweise dem Verband am Ende vor Ort nichts nutzen.
Aber letztlich ist ein Verband immer ein Stück Heimat. Und wenn wir das begreifen, ist das eine Chance zu zeigen: Wir sind nicht nur Teil von Kirche, bei uns könnt ihr euer kirchliches Engagement und euren Glauben leben. Ich glaube das ist eine große Chance, die Verbände ergreifen sollten.
Das Interview führte Ina Rottscheidt.