Missbrauchsbeauftragter kritisiert Vernachlässigung des Themas

Sonntagsreden helfen nicht weiter

Zu wenig Engagement? Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, kritisiert eine Vernachlässigung des Themas Missbrauch auch vonseiten der Politik. Zugleich fordert er Schutzkonzepte an Schulen.

Einsamer Teddybär / © Frank Rumpenhorst (dpa)
Einsamer Teddybär / © Frank Rumpenhorst ( dpa )

"Ich habe bis heute den Eindruck, dass nur die, die unmittelbar für Kinderschutzthemen zuständig sind, sich sehr engagieren, aber die eher kinderschutzferne Politik meinem Themenfeld nicht die notwendige Priorität beimisst", beklagte Rörig in einem Interview des "Tagesspiegels am Sonntag".

Da Kinderschutz oft an fehlendem Geld scheitere, schaue er auch auf die zuständigen Finanzressorts, sagte Rörig. "Politische Sonntagsreden mit dem Tenor, die Kinder und Jugendlichen sind unsere Zukunft und sie brauchen stärkere Rechte, müssen von der Politik endlich mit dem tatsächlichen Tun in Einklang gebracht werden."

Missbrauchsbeauftragter für jedes Bundesland?

Die Bundesländer mit ihren Zuständigkeiten für Polizei, Justiz, Bildung, Jugend, Soziales, Gesundheit und universitäre Forschung hielten den "Schlüssel" für den Erfolg bei der Bekämpfung von sexueller Gewalt in ihren Händen. Jedes Bundesland sollte dringend einen eigenen ressortübergreifenden Masterplan gegen sexuelle Gewalt entwickeln, forderte Rörig. "Ich habe auch angeregt, dass in jedem Land ein Missbrauchsbeauftragter berufen wird." Er solle möglichst beim Regierungschef angesiedelt sein und einen ressortübergreifenden Masterplan federführend erarbeiten und vorantreiben.

"In diesem Zusammenhang geht mir oft ein bitterer Gedanke durch den Kopf: Wer in der Verantwortung für den Schutz von Kindern und Jugendlichen steht und nicht alles ihm Mögliche unternimmt, um maximalen Schutz vor sexueller Gewalt zu ermöglichen, setzt sich auf Dauer dem Vorwurf der Duldung aus", gab Rörig zu bedenken.

Zugleich sprach er aber auch von einigen sehr wichtigen Änderungen in der Gesetzeslage, etwa zur Verbesserung von verdeckten Ermittlungen bei sogenanntem Cybergrooming und beim Zugang zum Darknet. Sie seien Ende 2019 von der großen Koalition beschlossen worden. "Das darf nicht übersehen werden, weil dies auch die Ermittlungsbehörden in den Ländern unterstützt."

Er hoffe, dass es jetzt weitere positive Entwicklungen gebe, auch weil Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) ein "sehr gutes" Reformpaket vorgelegt habe. "Leider verkürzte sich die Diskussion nach Aufdeckung des Falls Münster auf Strafverschärfungen.

Es muss aber dringend auch in Prävention, Kooperation, Qualifizierung und in Hilfen investiert werden. Wobei ich natürlich die Strafverschärfung begrüße."

Rörig fordert Schutzkonzept an Schulen gegen sexuelle Gewalt

Rörig fordert nach den jüngsten Missbrauchsfällen zudem von jedem Bundesland ein schulisches Schutzkonzept gegen sexuelle Gewalt und ressortübergreifende Masterpläne der Ministerien. Jeder zuständige Senator oder Minister wisse, "dass ein schulisches Schutzkonzept gegen sexuelle Gewalt ein zentraler Baustein dafür ist, dass man unter den Mädchen und Jungen Opfer von Missbrauch erkennt", sagte Rörig dem "Tagesspiegel am Sonntag" weiter. Mit Ausnahme von Mecklenburg-Vorpommern seien in keinem Bundesland Schulen dazu verpflichtet, ein eigenes Schutzkonzept zu entwickeln.

Es sei wichtig, dass eine Schule zu einem "zentralen Schutzort" gegen sexuelle Gewalt werde, betonte Rörig. Pädagogen seien für betroffene Kinder wichtige Vertrauenspersonen. "Lehrkräfte könnten erkennen, wenn sich ein Kind verändert. Aber dafür brauchen sie eine entsprechende Fortbildung. Ich fände es sehr wichtig, in dem jeweiligen Schulgesetz festzulegen, dass Schulen die notwendige finanzielle und personelle Unterstützung erhalten."

Zu einem schulischen Schutzkonzept gehört nach den Worten Rörigs auch, "dass allen Schülerinnen und Schülern alters- und entwicklungsangemessene Präventionsworkshops angeboten werden, alle Lehrkräfte zum Thema fortgebildet sind und in allen Schulen interne und externe Beschwerdemöglichkeiten eingerichtet und bekannt gemacht werden". Der Beauftragte forderte eine gesetzliche Verpflichtung der Schulen, denn ohne gesetzlich garantierte finanzielle und personelle Unterstützung könnten sie dies nicht flächendeckend leisten.


Johannes-Wilhelm Rörig / © Matthias Jung (KNA)
Johannes-Wilhelm Rörig / © Matthias Jung ( KNA )
Quelle:
KNA